Christopher Street Day

Schwuler Aktivist August Fleischmann kämpfte schon in den Zwanzigern

In München wurde er wegen seiner Homosexualität erpresst. In Mannheim fand er eine neue Heimat. August Fleischmann lebte hier Anfang des 20. Jahrhunderts. Wie der Aktivist für homosexuelle Menschen kämpfte

Von 
Waltraud Kirsch-Mayer
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August Fleischmann bekannte sich zu seiner Homosexualität. © Marchivum

Mannheim. Bunt, schrill, fröhlich - diese Adjektive dürften auch für Mannheims bevorstehende Christopher-Street-Day-Parade zutreffen. Die Selbstverständlichkeit, ausgelassen in der Öffentlichkeit zu feiern, haben sich Schwule, Lesben und andere Queere erst erstreiten müssen. Und deshalb drängt sich auf, an frühe Wegbereiter zu erinnern. Beispielsweise an den in den 1920ern auch in Mannheim unerschrocken wirkenden Aktivisten August Fleischmann.

August Fleischmann floh von München nach Mannheim

Wer zu dem Autor und Herausgeber emanzipatorischer Schriften wie „Der Seelenforscher“ recherchiert, gerät zunächst in Verwirrung. Es finden sich nämlich vorwiegend Texte, die Fleischmann als Vorkämpfer der Münchner Homosexuellenbewegung würdigen. Und die im NS-Dokumentationszentrum der bayerischen Landeshauptstadt Anfang des Jahres eröffnete Ausstellung über die Vielfalt diverser Lebensentwürfe zwischen Kaiserreich, Weimarer Republik und Nachkriegs-BRD präsentiert ausführlich dessen Schicksal.

Die Quellen

Informationen zu August Fleischmann (1859 bis 1931) wurden folgenden Publikationen entnommen:

  • „Queer im Leben!“, eine Marchivum-Schriftenreihe (Band 9) ,die „ geschlechtliche und sexuelle Vielfalt in Geschichte und Gegenwart der Rhein-Neckar-Region“ dokumentiert. Daran mitgearbeitet hat auch der Historiker Christian Könne.
  • Projekt „Der Liebe wegen“ über Menschen im deutschen Südwesten, die aufgrund ihrer Sexualität ausgegrenzt und verfolgt wurden. 

Dass der Mann mit dem nach oben gedrehten Schnauzbart 1915 München verließ und letztlich in Mannheim hängen blieb, kam nicht von ungefähr: Als Opfer einer Erpressung und verurteilter Homosexueller wollte er einen neuen Lebensmittelpunkt.

Fleischmann wehrte sich gegen Erpressung von Homosexuellen

Auch an Rhein und Neckar setzte sich Fleischmann dafür ein, eindeutig-zweideutige Erpressungsversuche bei der Polizei zu melden. Dass damals nicht nur in der Großstadt München Homosexuelle Drohungen ausgesetzt waren, angeschwärzt zu werden, wenn sie kein Schweigegeld zahlen, hat der Historiker Christian Könne ebenfalls für die Rhein-Neckar-Region recherchiert.

Klar sind nur solche Fälle belegt, bei denen Erpresser angezeigt wurden. So musste ein von einem Mannheimer Gericht verurteilter Malergeselle eineineinhalb Jahre ins Gefängnis, weil er homoerotische Kontakte eines Kaufmannes zu Geld machen wollte. Manchmal endete ein Erpressungsversuch mit Suizid - aus Angst, trotz heimlicher Zahlungen aufzufliegen und gesellschaftlich geächtet zu werden.

Erpresser treibt schwulen Bankdirektor in Frankenthal in den Tod

Ein in Frankenthal spektakulär verhandelter Prozess sorgte auch rechts des Rheins für Aufsehen: In dem pfälzischen Städtchen hatte ein Bankdirektor 1911 Gift geschluckt, weil er wegen seiner Homosexualität mehrfach mit finanziellen Forderungen unter Druck gesetzt worden war. Ein junger Angestellter des Geldinstituts hatte ihm insgesamt 7000 Mark, damals eine riesige Summe, abgeknöpft. Vier Jahre kam der Erpresser, der sich mit dem Geld in Berlin und Frankfurt ein schönes Leben gemacht hatte, hinter Gitter.

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Kampfschriften gegen den Strafparagrafen 175 und Betrachtungen zu dem „dritten Geschlecht“ - ein Begriff, den der Arzt und Vordenker der Homosexuellen-Bewegung Magnus Hirschfeld erfunden hatte - vertrieb der Neu-Mannheimer Fleischmann von seiner Wohnung aus. Später gründete er eine Ortsgruppe des „Bundes für Menschenrechte“.

Und in seinem 1922 im Eckhaus H4,10 eröffneten Antiquariat gab es die Zeitschrift „Freundschaft“ , die darüber informierte, wo schwule Männer und lesbische Frauen gesellig unter sich sein konnten. Beispielsweise im Lokal „Zum Rheintor“ in E7 ,4. Oder im Hotel-Restaurant „Central“ am Tattersall.

Fleischmann gab Zeitschrift für schwule Menschen raus

Der zugezogene Aktivist übernahm die Rolle eines Netzwerkers. Jedenfalls prangte unter einer „Freundschaft“-Kleinanzeige mit der Botschaft, dass der „Erosophische Klub Okulta“ in Mannheim „solide Personen“ sucht, der Name Fleischmann und dessen Adresse „T4 Nr. 3“. In der Zeitschrift tauchten auch Annoncen mit der Überschrift „Kameradschafts-Ehe!“ auf - was eine Scheinehe meinte. Nicht selten richtete sich das Angebot einer kaschierenden Heirat an Witwen mit Kind.

August Fleischmann, der sich 1929 als Aktivist zurückzog und zwei Jahre später in Weinheim starb, hatte den Mut, sich zu seiner Homosexualität zu bekennen. Gleichwohl wusste er um damit verbundene Gefahren. Deshalb sicherte er seinen Kunden ausdrücklich zu, deren Bestellbriefe nach Erledigung sofort zu vernichten. Beispielsweise nachdem er seine Aufklärungsschrift „Erosophische Probleme, Wissenschaftliche Studien aus dem Liebesleben” auf die Post gebracht hatte. Oder seine zum Lebensunterhalt vertriebenen Postkarten mit Männer-Akten. Jene nackten „Jünglingsschönheiten“, die Blumen schnuppernd bäuchlings auf einem Fell liegen, würden es heutzutage vermutlich lediglich als nostalgische Kuriosität in ein Männer-Magazin schaffen.

Freie Autorin

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