Mannheim. Lange Zeit sah es gar nicht gut aus für Timo R. Der junge Mann, der in Wirklichkeit anders heißt, ist heute in seinen Zwanzigern. Vor zwölf Jahren bekam er vom Kinderarzt die niederschmetternde Diagnose: Leukämie, Blutkrebs. Jahrelange Behandlungen folgten, stärkste Medikamente mit schlimmen Nebenwirkungen.
Aber Timo hatte ein Ziel, kämpfte mit eisernem Willen gegen die Krankheit, und kehrte schließlich in die Oberstufe seines alten Gymnasiums zurück. Dass er schulisch wieder den Anschluss fand, ist nicht zuletzt der Schule für Kranke I am Universitätsklinikum Mannheim zu verdanken.
Besondere Schule feiert besonderes Jubiläum
Es gibt sie seit inzwischen 50 Jahren – Grund genug für eine Feier mit geladenen Gästen an diesem Freitag. Auch Bildungsbürgermeister Dirk Grunert wird einer Einrichtung gratulieren, die am 13. September 1973, damals noch an der Orthopädischen Klinik Lindenhof angesiedelt, ihre Tätigkeit aufnahm. Der Unterricht startete mit 15 Kindern, darunter sieben Grundschüler, fünf Hauptschüler, zwei Realschüler und ein Gymnasiast. Sie stammten aus verschiedenen Bundesländern, also auch mit unterschiedlichsten Lehrplänen und Lernmaterialien.
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Diese große Bandbreite prägt die Arbeit an der Schule für Kranke auch noch nach fünf Jahrzehnten, wie Rektorin Sibylle Schalk und ihre Stellvertreterin Bianka Pagani im Gespräch mit dem „Mannheimer Morgen“ hervorheben. Erforderlich seien Absprachen über den jeweiligen Lernstoff mit jeder einzelnen Schule, aus der die Kinder oder Jugendlichen ans Klinikum kommen. Das klappe aber ganz gut, berichtet Schalk von einer reibungslos funktionierenden Zusammenarbeit.
Großes Einzugsgebiet
Die Zahl der Schülerinnen und Schüler ist deutlich höher als im Jahr der Gründung, rund 50 werden übers ganze Jahr verteilt unterrichtet, insgesamt waren es etwa 350 im Schuljahr 2022/23. Begleitet werden sie von zehn Lehrkräften – im Krankenhaus einzeln oder in Kleingruppen, über Videokonferenzen auch zu Hause und in der Nachbetreuung von länger Erkrankten, die bereits wieder den Anschluss in ihrer regulären Schule suchen.
Die Schule für Kranke ist mit ihrem überschaubaren Kollegium eine der kleinsten in der Stadt Mannheim – aber auch eine mit dem größten Einzugsgebiet. Kinder und Jugendliche aus drei Bundesländern werden im Klinikum behandelt und unterrichtet – und nicht nur das. Neuropädiatrisch Erkrankte – etwa Schüler, die eine komplizierte Wirbelsäulen-Operation benötigen – kommen aus ganz Deutschland oder in Einzelfällen sogar aus anderen Ländern nach Mannheim, berichtet Schalk.
Dabei geht es in der Regel nicht um Unterricht, wie man ihn sich vorstellt – mit fünf oder sechs Schulstunden am Stück etwa. „Unser Zauberwort heißt Flexibilität“, sagt die Rektorin: „Wir müssen immer spontan handeln können.“ Denn natürlich können Schwerstkranke in vielen Fällen nur einen Teil des Unterrichtsstoffs bewältigen.
An manchen Tagen ist Lernen unmöglich
„An manchen Tagen geht es ihnen so schlecht, dass sie gar nicht lernen können.“ Oder die Lernphasen konzentrieren sich auf die Zeit zwischen zwei Chemotherapien. Wie einmal bei Timo R., bei dem unter der Chemotherapie eine Lähmung seines Körpers vom Hals abwärts einsetzte. „Wir suchen immer individuelle Lösungen“, erklärt Schalk, dazu gehöre die Absprache mit Ärzten, Therapeuten und Lehrkräften der anderen Schulen.
Um allen Kindern und Jugendlichen gerecht werden zu können, gibt es jeden Morgen eine detaillierte Besprechung. Die Lehrkräfte, die auch von ihren Fächern und Schularten her eine große Bandbreite abdecken, werden für den Kleingruppen-Unterricht mit maximal fünf Kindern gleichzeitig eingeteilt, oder sie besuchen einzelne Stationen.
Die Schule dient oft als Anker
Absprachen mit Ärzten oder Psychologen gehören ebenfalls zu den Aufgaben der Pädagoginnen und Pädagogen. „Im Grunde haben wir jeden Tag einen anderen Stundenplan“, bringt Schalk die Herausforderungen auf den Punkt. Es komme schon mal vor, dass ein Krebspatient eineinhalb Jahre im Klinikum verbringen oder ein chronisch Kranker immer wieder längere Klinikphasen bewältigen müsse. Die Hoffnung in allen Fällen „ist die Rückkehr in die Normalität“, sagt Sibylle Schalk. Beim Unterrichtsstoff „halten wir uns deshalb immer ans Konzept der Heimatschule – so dass Kinder dort anknüpfen können, wenn sie entlassen werden“.
Für die Schwerstkranken sei die Schule „oft ein Anker“, ein Stück Geborgenheit. Dabei lege man vor allem bei denen, die lange da sind, großen Wert auch auf den musisch-ästhetischen Bereich, berichtet Konrektorin Pagani, etwa durch die Gestaltung jährlicher Kalender.
Kooperation mit Zirkus Paletti
Die Schule biete auch „individuelle, auf die Kinder abgestimmten Bewegungsangebote, sobald die Ärzte grünes Licht dafür geben“. So kooperiert die Schule für Kranke mit dem nahe gelegenen Zirkus Paletti, um den Kindern und Jugendlichen „trotz Krankheit positive Körpererfahrungen zu ermöglichen“. Bis zu zwölf Schüler können dabei alle 14 Tage zwei Schulstunden im Pfeifferswörth verbringen. „Dabei sein können auch Kinder im Rollstuhl oder mit mehrfacher körperlicher Behinderung“, erklärt Bianka Pagani: „Wir versuchen alles, was möglich ist.“ So wie bei Timo R., der inzwischen einen erfüllenden Beruf im sozialen Bereich hat.
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