Serie Lieblingsstücke im Technoseum (Teil 3)

Sabine Hüttner: Die Seele der historischen Weberei im Mannheimer Technoseum

Für Sabine Hüttner ist die Weberei „wie eine Art lebendiger Organismus“, den sie hegt und pflegt und in all seinen Einzelteilen kennt.

Von 
Roger Scholl
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Mannheim. Guter Gott, was ist das denn? Ein gewaltiges Scheppern und Kleppern, ein Knarzen und Knallen, alles poltert, prustet und plackert, grad so, als habe man alle Teufel der Hölle auf einmal losgelassen. Und mitten drin steht Sabine Hüttner – und sie lächelt voller Glück. Das hier, diese Treibräder und Gestelle, die gußeisernen Hebel und Handhaben, die braun-ledernen Riemen und die abgefummelten Holzgriffe – das ist ihr Reich, und sie liebt es mehr als alles andere im Technoseum. Warum die Vorführtechnikerin diese warmen Gefühle entwickelt für die mechanische Weberei auf Ebene C, warum sie sämtliche Apparaturen, alle Schräubchen und das gesamte Gewirr aus Fäden und Fasern hegt und pflegt, das kann uns die Frau mit den vielen Talenten mit einem Satz erklären: „Für mich ist das hier eine Art lebendiger Organismus, es hat sein Eigenleben, seine Marotten, und mitunter … ja fast könnte man sagen: seinen eigenen Kopf.“

Job dank zufälligem Blick auf eine Zeitungsannonce im Müll

Schon als kleines Mädchen hat sich Sabine Hüttner im heimatlichen Aulendorf in Oberschwaben mehr für Werkstatt des Vaters interessiert als für die Küche, das Reich der Mutter: „Ich kann noch heute besser irgendeinen Mechanismus reparieren als Plätzchen backen.“ Vorerst bleibt das aber eine Art Hobby, sie lernt das Kaufmännische bei der Firma HELA, die Abkürzung steht für Hermann Lanz Aulendorf – einen örtlichen Traktorenhersteller. In der Freizeit entwickelt sie schon früh eine Begeisterung für historische Textilien, lernt die Weberei und macht später noch eine pädagogische Zusatzausbildung. Zu dem Job im Technoseum kommt sie, wie sie uns lachend erzählt, „durch den zufälligen Blick auf eine Zeitungsannonce im Müll“. Darin wird ein Vorführtechniker für eine historische Webmaschine gesucht. „Das hat mich dann doch interessiert“, kurz darauf hat sie den Job, den es ja eigentlich so gar nicht gebe: „Nein, das ist kein Lehrberuf, man ist hier sozusagen eine eierlegende Wollmilchsau.“

Serie Lieblingsstücke

Lieblingsstücke – wir alle haben sie, auch bei uns auf der Arbeit. Nicht immer freilich können andere Menschen sie auch bewundern, und nur sehr selten dürfen wir erklären, warum denn ein ganz bestimmtes Objekt nun eigentlich unser Lieblingsstück geworden ist.

Wir schauen in einer kleinen Serie hinein in ein beeindruckendes Mannheimer Museum, wir öffnen Türen, die sonst für das Publikum verschlossen bleiben, und lassen uns von den Menschen, die uns dort im Technoseum ihre Lieblingsstücke zeigen, erklären, warum ausgerechnet dieses oder jenes Objekt ihnen so ans Herz gewachsen ist.

Dass wir dabei vieles über die Frauen und Männern dort erfahren, die wir sonst als Besucher kaum jemals kennenlernen würden, macht den Blick auf die Lieblingsstücke umso spannender. scho

Sieben solcher seltenen Exemplare von Rundum-Talenten stellen ihre Fähigkeiten derzeit dem Technoseum zur Verfügung, Sabine Hüttner ist eine von zwei Frauen im Team. „Bevor sie zu uns kam“, umreißt Marit Terling, die Museumssprecherin, den Stellenwert, den die Alleskönnerin für ihren Arbeitgeber hat, „ging es der Weberei gar nicht gut, vieles war schlicht kaputt, anderes hat nicht funktioniert“. Die Maschinen sind alt, zum Teil stammen sie noch aus dem 19. Jahrhundert, es gibt also nicht mehr viele Menschen, die sie bedienen oder gar reparieren können. „Das Ganze ist ein Original-Ensemble, es ist hier genau so aufgebaut, wie es in einem Haus in Elzach im Schwarzwald stand.“ Als das Familienunternehmen dort den Betrieb aufgibt und die Erbinnen das Haus zur besseren Wohnnutzung umbauen wollen, übernimmt das Technoseum das Ensemble.

„Mich hat es unheimlich gereizt, diese faszinierende Mechanik zum Leben zu erwecken, ich hatte ja vorher hauptsächlich auf einem Handwebstuhl gearbeitet“, erzählt sie und lässt den Blick liebevoll über die Maschinen schweifen. Sie fuchst sich richtig hinein in das Innenleben, alles wird aufgenommen, inspiziert, repariert, neu bestückt, Stunden, Tage, Wochen vergehen, bis die Weberei wieder in Betrieb gehen kann. „Ich war begeistert, als alles lief, begeistert“.

Historische Weberei im Technoseum

Die historische Weberei der Familie Störr aus Elzach im Schwarzwald können Besucher auf Ebene C im Technoseum erleben.

Die Maschinen stammen aus den Jahren 1876 bis etwa 1900 , das Ensemble läuft noch heute, man kann darauf Stoffe weben.

Sabine Hüttner und ihre Kollegen führen die Weberei vor und beantworten Fragen der Besucher .

Die Vorführungen dauern rund eine halbe Stunde.

Sie finden nicht regelmäßig statt, wer eine erleben will, sollte sich vorher im Technoseum erkundigen. scho

Schließlich folge die komplexe Anordnung nicht einfachen Regeln, „viele Menschen haben 125 Jahre lang damit und daran gearbeitet, sie haben Dinge verändert, improvisiert …“ Und dann zeigt sie uns ein kleines „X“ auf dem Rahmen eines Webstuhls: „Der Gründer der Elzacher Weberei hieß Xaver Störr“, und sie ist sich sicher, dass er sein Initial hier eingeschlagen hat, weil er stolz war auf das Erreichte. „Ich kann das verstehen.“

1865 Fäden müssen pro Webstuhl durch kleine Ösen geführt werden

Die ganze Familie Störr hat daran gearbeitet, in der Webstube Bettwäsche herzustellen, Männer, Frauen und auch Kinder, hier, den ganzen Tag lang, inmitten von diesem Heidenlärm. Allein die korrekte Einrichtung des Ensembles vor dem eigentlichen Produktionsprozess dauert eine Woche, 1865 Fäden müssen pro Webstuhl durch kleine Ösen geführt werden, „wenn alles läuft, dann schafft man in anderthalb Tagen 500 laufende Meter Stoff“. Wie sich das anfühlt – und anhört – weiß Sabine Hüttner ganz genau: Sie führt die Weberei dem Publikum vor, erklärt jeden Schritt, beantwortet geduldig und kurzweilig und humorvoll alle Fragen der Besucher und Besucherinnen.

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Eine davon will an diesem Tag wissen, ob man den Stoff, den Sabine Hüttner webt, im Museumsshop auch kaufen kann? „Aktuell nicht, aber ab und zu, etwa zum Weihnachten, stelle ich zum Beispiel Rucksäcke her, die man dann unten auch erwerben kann.“

Eine Arbeit, die sie liebt: „Wissen Sie, das hier ist der einzige Ort im Museum, der eine solche Ganzheit ist, nichts ist inszeniert, alles ist echt.“ Sogar die Türen und die Fensterrahmen des alten Hauses in Elzach haben man aus dem Schutt-Container retten können.

Eines freilich will sie noch sagen: „Ich war mal in Elzach, da ist mir zufällig die Erbin der Weberei begegnet. Wir haben uns lange unterhalten, und da hat sie plötzlich zu mir gesagt ‚Ach, warten Sie mal‘ und ist ins Haus gegangen. Dann hat sie mir etwas in die Hand gedrückt: den alten Schlüssel der Weberei … Das hat mich sehr berührt, das bedeutet mir viel.“

Redaktion Lokalredaktion, Koordinator Stadtteilseiten

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