Mannheim. Falls Robert Habeck Bundeskanzler wird, hat er in den ersten Tagen viel vor. An Ideen scheint es ihm jedenfalls nicht zu mangeln. Für die Instagram-Seite dieser Redaktion danach gefragt, was er als Kanzler als Erstes angehen wolle, kündigt Habeck an, sich „sofort“ dafür zu engagieren, dass Deutschland sich international für eine Milliardärsbesteuerung einsetzt.
Nun kommen manche Ideen gemeinhin ja aber auch erst im Gespräch, noch dazu in einer Diskussion. Etwa anderthalb Stunden nach der für Instagram gegebenen Antwort erfasst Habeck - der inzwischen mit „MM“-Chefredakteur Karsten Kammholz auf dem Podium im Rosengarten sitzt - ein anderer Gedanke. Einer, der sich weniger um die Weltpolitik, sondern mehr um die vor Ort dreht.

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Sanierung von Sportstätten als lokales Thema aufgegriffen
In der Wahlarena des „Mannheimer Morgen“ berichtet er von jungen Sportlerinnen, die erzählt hätten, dass sie bei Turnieren nicht trinken würden, um runtergekommene Toiletten in Schul- oder Sportanlagen nicht nutzen zu müssen. Vorhin habe er auf die Frage nach dem ersten Projekt „eine große Antwort gegeben“, sagt Habeck. „Vielleicht hätte ich eine kleine Antwort geben sollen.“ Denn, dass Sportlerinnen nichts trinken würden, weil die Toiletten nicht saniert seien, dürfe nicht sein.
Etwa 250 Menschen sind am Sonntag in den Stamitzsaal gekommen. Man hätte den Saal mehrfach füllen können. Habeck ist der erste Spitzenpolitiker, der die Wahlarena des „Mannheimer Morgen“ besucht. Auch alle anderen Parteien seien angefragt worden, erklärt Chefredakteur Kammholz zu Beginn. Für die Sozialdemokraten kommt am 25. Januar Parteichef Lars Klingbeil. Zudem gibt es am 17. Februar eine Debatte mit den Mannheimer Kandidatinnen und Kandidaten der großen Parteien.
Fehlt Habeck die „Story des erfolgreichen Ministers“?
Ob es überhaupt zum ersten Projekt als Bundeskanzler kommt? Die Ausgangsposition für Habeck ist schwierig. Die Grünen hinken in Umfragen hinterher, liegen deutlich hinter CDU und AfD und auch hinter der SPD. Habeck selbst habe als Wirtschaftsminister wie vermutlich kein anderer vor ihm die Bevölkerung mit dem Heizungsgesetz „verunsichert“, kritisiert Kammholz. Das Gesetz zeige, dass Politik und Minister aus Fehlern lernen können, kontert Habeck. Nach einer Überarbeitung funktioniere es nun.
„Bis auf Journalisten hat mich im Wahlkampf noch niemand auf das Heizungsgesetz angesprochen.“ Zwar sei das Hickhack im „kollektiven Gedächtnis“ verhaftet - die Unruhe bei der Wärmeplanung führt er aber auf Ankündigungen der Union zurück, Förderungen wieder zurückzunehmen.
Ganz so einfach lässt Kammholz den Vizekanzler und Wirtschaftsminister aber nicht davonkommen. Schließlich fehle diesem doch auch jenseits des Heizungsgesetzes in Zeiten einer kriselnden Wirtschaft und vieler Insolvenzen die „Story des erfolgreichen Ministers“, hakt er nach. Ja, die Wirtschaft befinde sich in einer „tiefen, strukturellen Krise“, die mit „schwierig“ noch zu vorsichtig beschrieben sei, räumt Habeck ein. Eines der Probleme sei die Abhängigkeit von Exporten. Aktuell breche der Auto-Branche der chinesische Markt weg, weil deutsche Technik dort nicht mehr gefragt sei.
Ein zweites Problem sieht er in hohen Energiekosten. „Wir sind - und das soll auch so bleiben - ein hochindustrielles Land.“ Daher brauche die Wirtschaft viel Energie. Diese sei zu lange günstig aus Russland gekommen. Jetzt würden Versäumnisse deutlich. „Wir haben zu wenig Innovation“, kritisiert der Wirtschaftsminister und Kanzlerkandidat nun seinerseits. Politik könne Innovation begünstigen, indem sie Rahmenbedingungen schaffe. „Welche Technik oder welches Unternehmen sich durchsetzt, ist Marktgeschehen.“ Die Zukunft aber werde eine Kombination aus Digitalisierung und Dekarbonisierung sein.
„Kann keine Politik für die Welt machen, wie ich sie mir wünsche“
Wunsch oder Notwendigkeit? Diese Frage wirft Habeck bei der Sicherheitspolitik auf. Für den Kriegsdienstverweigerer und Grünen ist es schwierig, über Aufrüstung zu sprechen. „Ich kann aber keine Politik für die Welt machen, wie ich sie mir wünsche. Ich muss sie für eine Welt machen, wie sie ist.“ Habeck spricht über Krieg in Europa und „eine heruntergewirtschaftete Bundeswehr“, deren Probleme gelöst werden müssten. Wie viel Geld in die Bundeswehr fließen muss, sagt er nicht konkret. „Was notwendig ist, muss getan werden.“
Die Frage nach dem Umgang mit neuen Schulden und der Schuldenbremse - sie steht wie ein Elefant im Stamitzsaal des Rosengartens. Vorwürfe der Konkurrenz, durch Aussagen zur Aufrüstung Angst zu schüren, weist Habeck indes zurück. „Es muss allen um Frieden gehen.“ Europa dürfe aber nicht zulassen, dass Grenzen mit Gewalt verschoben werden. „Dann ist Frieden nicht viel wert, weil es an anderer Stelle weitergehen wird.“
Habeck wirbt für einen neuen Stil. Einen, der eine kritische Selbstreflexion zulassen und es erlauben soll, Fragen auch mal offenlassen zu dürfen, bevor man zu schnell falsche Antworten finde. Dass er trotz Heizungsgesetz in Umfragen teils gleichauf mit Friedrich Merz liegt, „überrascht mich selbst auch“, sagt der Minister und will daraus einen Verdruss darüber ableiten, in der Politik die Schuld für Misserfolge stets bei anderen zu suchen und zu glauben, man selbst wisse immer alles besser. „Es ist Unsinn zu sagen, wenn die Wahl vorbei ist, ist Donald Trump weg, nehmen die Chinesen wieder unsere E-Autos, und Putin stellt den Krieg ein. Das ist alles nicht wahr. Die globale Erderwärmung wird nicht aufhören, wenn die Union die Wahl gewinnen sollte.“
Habeck hält Wahlsieg für eher unwahrscheinlich
Habeck räumt ein, „Underdog“ zu sein. Einen Sieg hält er wörtlich für unwahrscheinlich. „Mir und meiner Familie ist das klar: Würde dieser unwahrscheinliche Fall eintreten, verändert das unser Leben noch einmal ganz anders.“ Dennoch fühlt sich Habeck bereit, spürt sogar ein Momentum für die Grünen, das er am großen Interesse bei Veranstaltungen seiner Partei festmacht.
In der Union sieht Habeck den Hauptkonkurrenten. Bei aktuellen Themen und in der Gestaltung der Zukunft sei die „entscheidende Debatte im demokratischen Spektrum“ nicht die Frage nach „Schwarz und Grün“, sondern nach „Schwarz oder Grün“. Mit der SPD seien die Grünen traditionell eng beieinander. Die Grünen aber würden entschlossener als die SPD sagen, „wir haben eine neue Problemlage, die wir ernsthaft diskutieren müssen und für die wir neue Wege bereit sind zu gehen“.
Und falls es doch nicht reicht, dann Vizekanzler unter Merz? Im Zweifel müssten Kompromisse eingegangen werden, falls Alternativen fehlen, antwortet Habeck. Er selbst habe in Bündnissen mit CDU und SPD gute Erfahrungen gemacht. Auch in Richtung von CSU-Chef Markus Söder, der immer wieder eine Koalition mit Grünen ausgeschlossen hatte, sagt Habeck, im Unterschied zu „Feinden der Demokratie“ müssten sich demokratische Parteien „klar machen, dass es immer mehr gibt, das sie gemeinsam haben als das sie trennt“.
Dass das in Österreich nicht geklappt habe, wo nach dem Scheitern von Gesprächen zwischen ÖVP, SPÖ und Liberalen die laut Habeck rechtsradikale FPÖ eine Koalition führen könnte, sei ein „Drama“ und „historisches Versagen“, sagt der Vizekanzler. „Das darf sich in Deutschland nicht wiederholen.“
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