Reiss-Engelhorn-Museen

Räuberische Seefahrer und ihr großer Einfluss auf Europa

Hochkarätige Leihgaben werden zur Ausstellung „Normannen“ erwartet, die 2023 nach Frankreich weiterzieht

Von 
Peter W. Ragge
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Der Viking Raider Stone zeigt die wahrscheinlich erste Darstellung eines Wikingerangriffs in Westeuropa. Sandstein, Ende 9. Jh. © Historic England Archive

Kampfäxte, Schwerter, Reliquienkästchen, Schmuck, Siegelsteine, Helme, Münzen, Dokumente – über 300 hochkarätige Leihgaben aus mehr als zehn Ländern kommen in den nächsten Wochen nach Mannheim. Vom 18. September an sind die wertvollen Exponate in der Sonderausstellung „Normannen“ der Reiss-Engelhorn-Museen zu sehen, um dann Ende Februar 2023 wieder auf die Reise zu gehen. Danach übernimmt das Museum der Schönen Künste in Rouen, der Hauptstadt der Normandie, die Mannheimer Ausstellung.

„Wir bekommen Leihgaben aus ganz Europa und vernetzen mit diesem Projekt ganz Europa“, sagt Viola Skiba, Direktorin der Stiftungsmuseen der Reiss-Engelhorn-Museen. Seit 2017 bereitet sie mit ihrem Team dieses erste, große kulturhistorische Ausstellungsprojekt des Hauses seit der Päpste-Sonderschau 2017 vor. Sie kooperiert dabei mit dem Museumsverband „Réunion des Musées Métropolitains Rouen Normandie“. Während die in Mannheim gezeigten Exponate im Frühjahr 2023 vom Rhein an die Seine wechseln, greift auch das Musée de Normandie – Château de Caen, das ein wichtiger Leihgeber der Reiss-Engelhorn-Museen ist, das Thema mit einer weiteren Ausstellung auf.

Einfluss des Ukraine-Kriegs

„Es ist das erste Mal, dass der Geschichte der Normannen eine so große Ausstellung mit so vielen Partnern gewidmet wird“, hebt Skiba hervor. Der wissenschaftliche Beirat der Ausstellung umfasst Experten aus sieben Ländern von Skandinavien über England und Frankreich bis nach Italien, denn Skiba hielt an dem Konzept der Reiss-Engelhorn-Museen fest, vor jeder Sonderschau fundierte Forschung zu betreiben. „Wir konnten aber oft nur hybrid tagen – manche Kollegen sind angereist, andere haben sich per Video zugeschaltet“, erzählt sie. Ein dicker wissenschaftlicher Aufsatzband ist bereits erschienen, der Ausstellungskatalog in Arbeit.

Die Ausstellung

Die Ausstellung läuft vom 18. September bis 26. Februar 2023 im Museum Zeughaus der Reiss-Engelhorn-Museen in C 5.

Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag 11 bis 18 Uhr, an baden-württembergischen Feiertagen 11 bis 18 Uhr, nur 24. und 31. Dezember geschlossen.

Eintritt: Erwachsene 13,50 Euro, Kinder und Jugendliche (6 bis 18) 4,50 Euro, Begünstigte 11,50 Euro, Azubis, Studierende 7,50 Euro.

Infobüro und Führungsbuchungen: Tel 0621/293 37 71, Fax: 0621 - 293 21 38, E-Mail rem.buchungen@mannheim.de. pwr

Zunächst behinderte die Corona-Pandemie das Projekt – die Ausstellung sollte schon im September 2021 zu sehen sein, wurde dann aber verschoben. Nun habe der Ukrainekrieg die Planungen „ganz heftig beeinflusst, denn unser Projekt ist aktueller, als man denken kann“, erklärt Skiba. Man habe daher „eine reduziere Objektlage“, wie sie es formuliert. Das bedeutet, dass fest zugesagte Leihgaben aus der Eremitage St. Petersburg nicht kommen. „Wir müssen mit der Lücke leben, werden das erklären und bewusst mit leeren Vitrinen arbeiten“, kündigt die Direktorin an.

Exponate aus Kiew indes werden im Zeughaus zu sehen sein – wenn auch teilweise nicht aus der Ukraine, sondern aus anderen Museen stammend. Cambridge schickt etwa den „Kiewer Brief“, die erste Erwähnung der Stadt und einer jüdischen Gemeinde. Das Dokument aus dem 10. Jahrhundert gilt als früher Beleg für das von normannischen Kriegern erschaffene, ja erkämpfte mittelalterliche Großreich „Kiewer Rus“ (hergeleitet aus „Rus“ als einer finnischen Bezeichnung für die Bewohner Schwedens) auf dem Gebiet der heutigen Staaten Russland, Ukraine und Belarus.

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„Unglaublich aktuell“ sei die Ausstellung daher, sagt Skiba. Aber schon vor dem Krieg war ihr wichtig, mit der Ausstellung Brücken in die Gegenwart zu schlagen. „Es ist ein faszinierendes Thema mit vielen Bezügen zu hochaktuellen Themen“, unterstreicht die junge, promovierte Wissenschaftlerin, die bereits bei den großen Sonderausstellungen „Die Wittelsbacher“ und „Päpste“ mitwirkte, ehe sie die Leitung des Normannen-Projekts übernahm. Vernetzung über Kontinente und Völker hinweg, Vielfalt, Mobilität, Kommunikation und Integration – die sich auf dem ganzen Kontinent ausbreitenden Nordmänner seien für all das ein herausragendes Beispiel. „Die Normannen spielen eine bedeutende Rolle bei der Bildung von dem, was wir heute als Europa kennen“, erläutert Skiba: „Sie waren ein sehr, sehr mobiles Völkchen mit enormem Expansionsdrang und extrem erfolgreich darin, Länder zu erobern, aber sich dann auch schnell mit der örtlichen Bevölkerung zu verbinden, ja sich zu integrieren, sich in die Gesellschaft einzugliedern“, sagt sie. Diese kulturelle Offenheit, ja Anpassungsfähigkeit sei das Geheimnis ihres langfristigen Erfolgs auf dem ganzen Kontinent.

Skiba will die sich auf zwei Stockwerke im Zeughaus erstreckende Ausstellung daher als eine Art Europareise in sechs Kapiteln gestalten und die Besucher mitnehmen auf eine Reise, wie sie die als sehr geschickte Seefahrer und berittene Panzerreiter sowie brutale Kämpfer und Plünderer geltenden Männer aus dem Norden vom 8. bis zum Beginn des 13. Jahrhunderts unternommen haben.

Schätze aus vielen Ländern

Nachdem sie, aus dem Norden kommend, um das Jahr 1000 Gebiete in Nordfrankreich eroberten und einer ganzen Region ihren Namen gaben, zogen sie von hier aus weiter. Während Wilhelm der Eroberer 1066 England einnahm („Nicht überall ist der Begriff Normannen positiv besetzt“, so Skiba schmunzelnd), kämpften sich andere nach Osten und dann ans Mittelmeer vor, um das Königreich Sizilien zu gründen und die Iberische Halbinsel zu übernehmen. „Aus den einfachen Nordmännern wurden mit viel Geschick mächtige, geachtete Fürsten des Mittelmeerraumes“, macht Skiba den Wandel deutlich. Doch da sie von überall dort Leihgaben erhalten habe, aus Stockholm und Oslo im hohen Norden über London, Oxford und Cambridge sowie die Vatikanischen Museen bis zur Kathedrale von Barcelona, lasse sich „ihr kultureller Einfluss auf nie dagewesene Weise zeigen“.

Auch der berühmte Wandteppich von Bayeux aus dem 11. Jahrhundert, der die Flotte Wilhelm des Eroberers bei der Ärmelkanal-Überquerung zur Eroberung Englands darstellt, oder Teile vom „Schatz von Montecassino“ aus Rom werden zu sehen sein.

Redaktion Chefreporter

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