Mental Health

Psilocybin aus halluzinogenen Pilzen: Hoffnung bei therapieresistenter Depression?

Warum eine Pilzsubstanz das Hirn wie eine Schneekugel schüttelt: Am Mannheimer ZI läuft die deutschlandweit größte Studie zu Psilocybin aus halluzinogenen Pilzen bei Depression. Zwei Probanden berichten jetzt, was sie erlebten

Von 
Lea Seethaler
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Ein Stoff aus halluzinogenen Pilzen rückt mehr und mehr in den Fokus der Depressionsforschung: In Mannheim läuft die deutschlandweit größte Studie dazu. © ISTOCK

Mannheim. Ein Team unter Leitung von Gerhard Gründer vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI) untersucht die Wirkungsweise von Psilocybin, dem Wirkstoff aus halluzinogenen Pilzen, bei therapieresistenten Depressionen. Zwei Probanden der Studie sind Lia und Klaus. Ihre Erfahrungen haben sie dem ZI mitgeteilt. Das Besondere bei Lia und Klaus: Ihre Depressionen gelten als behandlungsresistent. Das heißt, gebräuchliche Psychopharmaka wirken bei ihnen kaum.

Lia und Klaus nehmen an der ZI-Studie zu Depressionen teil

Lia sagt, die Depression sei eine „graue Wolke“, die ihr Hirn einnimmt. Sie zieht sich zurück, geht nicht ans Telefon. Schreibt nicht zurück. Bleibt im Bett. Klaus beschreibt seine Depression als Gleichgültigkeit. Und als Getrenntsein von den eigenen Gefühlen: „Es war das Schlimmste, das Leben nicht mehr fühlen zu können. Nur noch zu funktionieren.“

Forschungsgegenstand: Wie genau wirkt Psilocybin? - Details zur Studie

  • Die Dauer der Wirkung sei individuell „sehr unterschiedlich“, so das ZI: „Von keiner Veränderung bis hin zu einem halben Jahr oder längerer Symptomfreiheit ist alles dabei.“
  • Erst kürzlich erschien im Fachblatt JAMA eine Studie: Eine Dosis Psilocybin hatte die Depression sogar noch sechs Wochen nach Einmalgabe gelindert.
  • Welche Faktoren letztlich darüber entscheiden, wie nachhaltig eine psychedelische Therapie im Einzelfall ist, sei noch völlig unklar, so die Forscher aus Berlin und Mannheim. Dies könne nur durch weitere Studien genauer untersucht werden.
  • Die Forschenden interessiert jetzt: „Was verändert sich, wenn die Substanz häufiger gegeben wird? Wie wirkt Psilocybin über einen längeren Zeitraum?“
  • Die Frage ist zudem: Wie lassen sich die Substanzsitzungen am besten mit der Psychotherapie verknüpfen? Nur auf diesem Weg könne eine seriöse und sichere Therapie gewährleistet werden, betont das ZI.
  • Auch Psychiater Mazda Adli von der Charité Berlin betonte kürzlich, dass es wichtig sei, solche Substanzen unter ärztlicher Aufsicht einzunehmen, da sie zu einer Art Entfremdungserleben führen könnten. „Einige Menschen erleben dabei dissoziative Erfahrungen. So haben manche das Gefühl, dass sie durch den Raum schweben, dass sich Farben ändern oder die Intensität von Geräuschen. Manche finden das auch gar nicht unangenehm, andere schon, und manche Menschen merken einfach gar nichts.“
  • Gerhard Gründer erläutert derweil: „Bis zu einer möglichen Zulassung dieser Therapie in Deutschland und dem Rest Europas ist es aber noch etwas hin. Es braucht noch weitere, noch größere, multizentrische, sogenannte Phase-3-Studien mit positiven Ergebnissen. Auch die Frage der Kostenerstattung durch die gesetzlichen Krankenkassen beschäftigt uns sehr und fließt in die Planung weiterer Studien mit ein.“
  • Die EPIsoDE-Studie wird vom ZI mit der Charité in Berlin und der gemeinnützigen Organisation Mind Foundation durchgeführt. Sie wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert. Die Rekrutierung der Studie ist abgeschlossen. 

Die beiden sind zwei von 144 Probanden der nach Angaben des ZI deutschlandweit größten Studie zur Wirksamkeit und Sicherheit von Psilocybin in der Depressionstherapie. Die Studie mit dem Namen EPIsoDE will herausfinden, ob und wie gut die Gabe von Psilocybin kombiniert mit Psychotherapie bei behandlungsresistenten Depressionen hilft.

„Unsere Untersuchungen sollen zeigen, ob Psilocybin eine bessere antidepressive Wirksamkeit hat als ein Placebo. Gleichzeitig erfassen wir dabei auch mögliche Risiken der Therapie für unsere Patientinnen und Patienten“, erklärt Studienleiter Gerhard Gründer, der am ZI die Abteilung Molekulares Neuroimaging leitet.

Psychedelika können neue Strukturen im Gehirn schaffen

Psychedelika oder auch Halluzinogene sind Substanzen, die Bewusstsein, Wahrnehmung und emotionales Erleben verändern, beschreiben die Forscher. Sie ermöglichten neue Erfahrungen und setzten Veränderungsprozesse in Gang: „Psychedelika können dafür sorgen, dass alte Denk- und Verhaltensmuster aufgebrochen werden“, betonen die Wissenschaftler.

„Das macht sie für die Behandlung psychischer Erkrankungen interessant. Sie verändern dabei nicht nur unser subjektives Erleben, sondern beeinflussen auch unser Gehirn“, so das ZI. Verknüpfungen von Nervenzellen, die sich bei einer Depression zurückbilden, können durch psychedelische Substanzen wieder neue Strukturen herausbilden.

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Andrea Jungaberle ist Mitgründerin der Mind-Foundation und Teil des Studienteams an der Berliner Charité. Sie vergleicht diesen Prozess mit einer „Schneekugel in Bewegung“: „Psychedelika haben die Fähigkeit, Dinge durcheinander zu schütteln. Und das ist der Grund, warum sie so wunderbar funktionieren.“ Die Partikel, die in der Schneekugel aufwirbeln, landeten plötzlich ganz woanders als zuvor. So eröffneten sich nach einer Erfahrung mit Psychedelika ganz neue Gedanken und Perspektiven. Statt wie Medikamente einen Mangel im Gehirn zu beheben, solle Psilocybin den Blick auf das verändern, was bereits da ist.

Psilocybin-Behandlung: Begleitete Therapie ist wichtig

Nicht alle machten dabei positive Erfahrungen, betont das ZI. Halluzinationen könnten auch Ängste auslösen oder tief Verdrängtes ins Bewusstsein zurückholen. „Viele Patientinnen und Patienten erleben sich während und nach der psychedelischen Erfahrung mit Psilocybin als emotional geöffnet, sensibler und in Kontakt mit ihren tiefen emotionalen Wunden. Das kann sehr schmerzhaft sein“, sagt Lea Mertens, Studienkoordinatorin und Studientherapeutin am ZI. Viele Menschen hätten daher Angst vor einer psychedelischen Erfahrung.

In der Tat sei Respekt angebracht, erklärt Gründer. „Aber man muss keine Angst haben. Wenn Angst während der Erfahrung auftritt, ist das möglicherweise etwas, das am Ende sehr hilfreich ist.“ Mertens ergänzt: „Ähnlich wie in der regulären Psychotherapie liegt in der Konfrontation mit eigenen Ängsten und der Auseinandersetzung mit schwierigen Erfahrungen der Schlüssel der Verarbeitung.“ Wichtig für die Wirksamkeit, aber auch für die Sicherheit dieser Therapie sei die therapeutische und ärztliche Begleitung, betonen Gründer und Mertens.

Probanden beschreiben Behandlung als „lebensverändernste Erfahrung"

Bei Probandin Lia habe sich durch die Sitzungen etwas verändert. „Ich hatte davor nicht denselben Zugang zu mir selbst, den ich gestern erlebt habe. Das war, als ob einfach keine Blockaden mehr wären zwischen mir und mir selbst“, sagt sie nach ihrer ersten Erfahrung mit Psilocybin. Für Klaus geht es noch einen Schritt weiter: „Es ist die lebensveränderndste Erfahrung, die ich jemals gehabt habe.“

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Viele Menschen berichten nach einer psychedelischen Erfahrung „von einem Gefühl der Verbundenheit mit allem oder von Begegnungen mit anderen Wesen“, so das ZI. Diese Menschen haben den Eindruck, ihre Erfahrung nicht festhalten und in Worten ausdrücken zu können. Man spricht hier auch von einer „mystischen Erfahrung“, einer Erfahrung, die alles bisher Erlebte übersteigt. Die Erfahrungen von Lia und Klaus decken sich mit vielen anderen Erfahrungsberichten, die man dazu in anderen Studien findet.

„Auch einige Teilnehmende der EPIsoDE-Studie beschreiben derartige Erlebnisse und sind überwältigt - aber bei Weitem nicht alle“, teilt das ZI mit. Während manche eine völlig neue Sicht auf ihr Dasein zu bekommen scheinen, passiert bei anderen kaum etwas.

Es gibt Risiken: "Kein Selbstexperiment"

Es brauche „Geduld sowie Aufklärung über die Möglichkeiten und Grenzen der Substanz“, betont das ZI schlussendlich. „Psilocybin hat das Potenzial, vielen Menschen zu helfen. Dennoch: Psilocybin ist kein Allheilmittel und birgt auch Risiken.“ Ein Blick auf Psychedelika jenseits von Angst und Hype - das ist das Anliegen des EPIsoDE-Studienteams, so das ZI.

Und Gründer betont, dass man eine solche Behandlung nicht mit einem Drogen-Selbstexperiment vergleichen könne: „In Holland sind psilocybinhaltige Trüffel legal, und man kann sie dort im Laden kaufen. Es ist aber keineswegs eine Behandlung, so eine Substanz einmal einzunehmen. Man muss dies in einem Behandlungskontext gut vor- und nachbereiten.“

  • Wenn Sie selbst depressiv sind, wenn Sie Suizid-Gedanken plagen, dann kontaktieren Sie bitte die Telefonseelsorge im Internet oder über die kostenlose Hotlines 0800/111 0 111 oder 0800/111 0 222 oder 116 123. Die Deutsche Depressionshilfe ist in der Woche tagsüber unter 0800 / 33 44 533 zu erreichen
  • Hilfreich bei kleineren Krisen: Der KrisenKompass ist eine App, die eine Art Notfallkoffer für Krisensituationen darstellt. Mit Tagebuchfunktion und persönlichen Archiven, um positive Gedanken oder etwa Fotos, Erinnerungen oder Lieder zu speichern, kann ein persönliches Rüstzeug für schlechte Momente gepackt werden.

Redaktion Redakteurin und Online-Koordinatorin der Mannheimer Lokalredaktion

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