Internationaler Tag der seelischen Gesundheit - Forscherteam am ZI will den Umgang mit psychischen Erkrankungen ändern

Erste-Hilfe-Kurse für die Psyche starten in Mannheim

Von 
Lea Seethaler
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Das Leitungs-Trio des Projekts am ZI (v.l.): Tabea Send, Simona Maltese und Michael Deuschle. © Daniel Lukac

Mannheim. Was verbindet eine Magenschleimhautentzündung mit einer Depression? – psychische Krankheiten können, wenn sie lange nicht behandelt werden, chronisch werden. Das zeigen mehr und mehr Forschungen. Dieser Fakt ist für viele Menschen schwer zu begreifen. Und er kommt nur langsam an in einer Gesellschaft, die seit jeher psychische Erkrankungen tabuisiert:

Dazu gehören Depression, Angststörungen, Psychose oder Abhängigkeitserkrankungen.

Laut Angaben der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) leidet fast jeder dritte Erwachsene in Deutschland an einer seelischen Erkrankung. Kurz gesagt – Ihr Nachbar, Ihre beste Freundin, Ihr Arzt: Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass man einen Betroffenen kennt. In Behandlung ist von diesen aber nur ein geringer Prozentsatz.

Dabei gibt es in Deutschland eigentlich eine gute Versorgung und viele Früherkennungsangebote. Aber auch weil psychische Erkrankungen oft zu Ausgrenzung aus der sogenannten Normal-Gesellschaft führen, suchen nur wenige Hilfe oder sprechen darüber.

Das soll sich nun ändern. Am Mannheimer Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI) laufen seit Kurzem sogenannte „Mental Health First Aid (MHFA)“-Ersthelferkurse. Auf Deutsch übersetzt heißt das: Hier gibt es Erste-Hilfe-Kurse für psychische Störungen. Die Ersthelfer fungieren als Helfer und Lotsen, die Betroffenen im Gesundheitssystem vor Ort den Weg weisen.

Breites Unwissen im Alltag

Das Ziel des bundesweiten Programms: endlich das Stigma von psychischen Störungen zu beenden. „Unser Kurs soll so selbstverständlich sein wie der Erste-Hilfe-Kurs beim Führerschein, den fast jeder absolviert“, beschreibt es Michael Deuschle kurz. Er leitet gemeinsam mit Simona Maltese und Tabea Send das Projekt. „In der Gesellschaft herrscht breites Unwissen, gerade über die Chronifizierung, also die Verschleppung von – und über – psychische Erkrankungen selbst“, sagt Send. „Aber je früher behandelt wird, desto besser die Heilungschancen. Wir wollen hier ein Umdenken erreichen“, fügt Maltese hinzu. Sprich: Kollegen, Familie oder Freunde sollen erkennen, wenn jemand psychisch erkrankt, einschreiten und helfen. So wie sie es tun würden, wenn jemand die Symptome eines Herzinfarkts zeigen würde.

Angst, etwas falsch zu machen

Doch oft herrsche Unsicherheit, wie man es genau ansprechen soll, oder Angst, etwas falsch zu machen: Wie man Probleme der psychischen Gesundheit erkennt und auf Betroffene zugeht, steht deshalb im zwölfstündigen Ersthelferkurs im Fokus.

Geht zum Beispiel eine gute Freundin kaum mehr raus, sagt ständig Termine ab und zieht sich völlig zurück, könnte dies ein Warnsignal für eine sich einschleichende Depression oder depressive Phase sein. Dann ist der Ersthelfer gefragt. Er ist ausgebildet darin, diese Probleme sensibel anzusprechen. Und vor allem zuzuhören, da zu sein und zu unterstützen. Er ist das Gegenteil von dem im Alltag so oft ausgesprochenen „Hab dich nicht so, geh´ doch joggen – dann geht’s dir besser.“ Weil er weiß, dass die sich ankündigende Depression keine „Willensschwäche“ ist. Sondern eine multifaktorielle Krankheit, die oft in einem vollkommenen Verlust von Antrieb mündet.

Psychische Probleme werden meist durch ein Wechselspiel verschiedener Ursachen ausgelöst. Sie sind quasi Interaktion aus zurückliegender oder aktueller Belastungssituation mit einer genetischen Veranlagung, die zur Krankheit beiträgt.

Erste Hilfe kann dann die Begleitung zum Facharzt sein. Oder einen Termin beim Hausarzt für die Freundin auszumachen. Auch dieser bietet Hilfe bei psychischen Erkrankungen. Er kann erste Diagnosen stellen, behandeln und eventuell überweisen. Erste Hilfe kann aber auch sein zu sagen: „Komm, wir gehen gemeinsam spazieren, oder ich helfe dir beim Einkaufen, damit du rauskommst.“

Jeder kann helfen

„Ersthelfer kann jeder werden“, sagt Deuschle. „Wir erleben aber bei den Ersthelfern oft, dass es Menschen sind, die einen Betroffenen in ihrem engen Umfeld haben“, erklärt er. Wichtig dabei: Ersthelfer erstellen keine Diagnosen und behandeln nicht. Die Ersthelfer-Kurse kosten um die 200 Euro. Da die Kursgebühren für die Ersthelfer-Kurse vom jeweiligen Kursleiter, dem sogenannten Instruktor, festgelegt werden, kann der Preis etwas nach oben oder unten abweichen.

Am ZI werden auch diese Instruktoren ausgebildet. Interessenten für diese Tätigkeit können sich bewerben und werden „sehr sorgfältig“ ausgewählt, erklärt Maltese. Sie besitzen idealerweise schon Erfahrung im Umgang mit Betroffenen mit psychischen Störungen. „Das sind zum Beispiel Fachpfleger der Psychiatrie oder Menschen, die lange im Bereich der Unterstützung von psychisch Erkrankten gearbeitet haben“, ergänzt Send. Die meisten Instruktoren aber sind Psychotherapeuten oder Ärzte der Fachrichtung Psychiatrie.

Die Idee hinter den Kursen kommt ursprünglich aus Australien. Dort, in den USA und in Großbritannien sind die Kurse schon weit verbreitet. In Deutschland ist das Mannheimer ZI der Träger des Projekts, es läuft unter der Dachmarke der australischen Gründungs-Lizenzinhaberin „Mental Health First Aid International“. Gefördert wird es von der Beisheim Stiftung, einer Stiftung, die sich besonders bei Projekten zu psychischen Störungen engagiert.

Eine Selbstverständlichkeit der Ersthelfer-Kurse zu erreichen und viele wachsame Ersthelfer in die Welt zu senden, ist ein Ziel, das auch das Leitungstrio Deuschle, Maltese und Send vom ZI anstrebt. Damit diese Welt irgendwann eine ist, in der man nicht gefloskelt fragt: „Wie geht’s dir?“, sondern aufmerksam nachhört: „Geht’s dir heute gut?“.

  • Um Ersthelfer zu werden, muss man einen 12-stündigen Ersthelferkurs absolvieren.
  • Der Kurs kostet rund 200 Euro.
  • Kursangebote in der Nähe sind aufzufinden über folgenden Link: www.mhfa-ersthelfer.de/de/ersthelfer/kurs/ 
  • Am Montag, 12. Oktober, startet in Mannheim ein Kurs. Eine kurzfristige Anmeldung und Buchung ist möglich, bis der Kurs voll ist.
  • Ausführliche Infos unter www.mhfa-ersthelfer.de 
Infografik: So verbreitet sind psychische Probleme | Statista Mehr Infografiken finden Sie bei Statista

Redaktion Redakteurin und Online-Koordinatorin der Mannheimer Lokalredaktion

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