Mannheim. Nya starb am 10. Juli 2022, da war sie gerade 17 Monate alt. Ein Jahr nach ihrem Tod hat die Schwurkammer des Mannheimer Landgerichts ihren Vater Kevin G. zu siebeneinhalb Jahren Haft verurteilt – wegen gefährlicher Körperverletzung mit Todesfolge. Bereits am ersten Prozesstag hatte der 24-Jährige aus Viernheim eingeräumt, Nya eine Tablette seines Antidepressivums in die Milch gemischt zu haben.
Die Einjährige erbrach sich, nachdem sie eingeschlafen war. Sie atmete das Erbrochene ein, weil wichtige Schutzmechanismen ihres Körpers nicht mehr funktionierten. Nya hörte auf zu atmen, ihr Herz hörte auf zu schlagen. Sie starb – weil der Vater ihr das Medikament Trimipramin gab. Warum nur?
Was die Schwurkammer dem Angeklagten nicht glaubte
„Der Angeklagte beschloss, dass er den Abend frei von Störungen verbringen wollte“, sagte der Vorsitzende Richter Gerd Rackwitz am Mittwoch. Um einen Actionthriller im Fernsehen anzusehen und mit einer Frau zu chatten, in die er verliebt war, mit der er ein gemeinsames Essen plante. Ein anderes Motiv habe die Kammer nicht finden können, sagte Rackwitz.
Gleich zu Beginn der Verhandlung hatte Kevin G. über seine Verteidigerin Inga Berg eine Erklärung verlesen lassen. Darin gab er an, dass er sich am 10. Juli 2022 die Pulsadern aufschneiden wollte, um sein Leben zu beenden. Weil er nicht wollte, dass seine Tochter etwas davon mitbekomme, habe er das Mittel in ihre Milch gemischt. Das glaubte ihm die Schwurkammer allerdings nicht.
„Es gibt keine Hinweise darauf, dass der Angeklagte sich an diesem Abend tatsächlich das Leben nehmen wollte“, sagte Rackwitz und sprach von reinen Schutzbehauptungen. Kevin G. habe mit diesen Äußerungen versucht, sich und die Tat in einem besseren Licht darzustellen, sagte der Vorsitzende Richter.
Ja, es habe eine Zeit gegeben, im Frühjahr 2022, da sei es Kevin G. schlecht gegangenen. Nach der Trennung von Nyas Mutter entwickelte er Tics, er fühlte sich schlecht, kam in eine Klinik. Zwei Mal. Wegen einer depressiven Episode verschrieben ihm Mediziner Trimipramin.
Doch Kevin G. kam nur schlecht mit dem Medikament zurecht, morgens kam er nicht aus dem Bett, wirkte benommen, so hatte es seine Mutter als Zeugin vor Gericht beschrieben. G. suchte seinen Hausarzt auf, der ihm riet, die Dosis zu reduzieren. Mitte Juni soll G. das Antidepressivum abgesetzt haben. „Es ging ihm gut, er wirkte fröhlich, das haben uns die Zeugen im Verfahren beschrieben“, sagte der Vorsitzende Richter.
Kevin G. - Probleme in der Ausbildung
Der 24-Jährige habe sich zunehmend um Nya gekümmert und versucht, in die Vaterrolle hineinzuwachsen. Nach dem Ärger mit Nyas Mutter, der anstrengenden Beziehung, in der es zum Schluss auch zu Handgreiflichkeiten gekommen sein soll, die von seiner Ex ausgegangen sein sollen.
Zeugen hatten während des Verfahrens berichtet, da sich Kevin G. mit seiner Ausbildung zum Verkäufer schwertat, vor allem mit dem schulischen Teil. „Der Angeklagte hat eine Entwicklungsverzögerung, die wahrscheinlich auf eine Sauerstoffunterversorgung bei der Geburt zurückzuführen ist“, sagte Rackwitz. Und doch sei es ihm im Sommer 2022 – trotz aller Widrigkeiten in den Vormonaten – gut gegangen. Er war verliebt, machte Pläne für das Wochenende mit einer Frau, die er als „Traumfrau“ in seinem Handy abgespeichert hatte.
„Er wollte Nya sedieren“, sagte der Vorsitzende Richter. Als er die Tablette zerkleinerte und dem Mädchen die Milch verabreichte, sei Kevin G. voll schuldfähig gewesen. Und: „Er kannte die stark sedierende und bewusstseinstrübende Wirkung von Trimipramin.“ Allerdings ging die Kammer nicht davon aus, dass Kevin G. seine Tochter töten wollte, und folgte damit der Argumentation der Staatsanwaltschaft.
Was die Staatsanwaltschaft gefordert hatte
Oberstaatsanwältin Katja König hatte in ihrem Plädoyer eine Verurteilung wegen Körperverletzung gefordert – und den Mordvorwurf fallengelassen. Dennoch hatte sie sich für eine hohe Strafe ausgesprochen und 13 Jahre Haft gefordert. Weil G. seinem eigenen Kind geschadet habe – „einem fröhlichen, aufgeweckten, wehrlosen, 17 Monate altem Kind“, sagte die Oberstaatsanwältin. Und auch deshalb, weil Kevin G. Nya eine so hohe Dosis des Medikaments verabreicht hatte, die er in den Vormonaten selbst schlecht vertragen habe, die er selbst halbierte.
Auf Körperverletzung mit Todesfolge steht laut Gesetz eine Strafe zwischen drei und 15 Jahren. Die Verteidigung hatte sich in ihrem Schlussvortrag dafür stark gemacht, die Tat mit fünf Jahren zu bestrafen, weil Kevin G. massiv unter dem Verlust leide – und der Schuld.
Kevin G. hielt am Mittwoch den Blick starr auf den Boden vor sich gesenkt, zusammengekauert, während seine Mutter im Zuschauerraum weinte. Eine Mutter, deren Sohn ins Gefängnis muss, weil er ihre Enkelin getötet hat.
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