Justiz

Prozess um getöteten Obdachlosen in Mannheim: Urteil gefallen

Piotr K. muss sich seit Mitte Oktober vor dem Landgericht in Mannheim verantworten, weil er im vergangenen Winter den Obdachlosen Marián K. so schwer verletzte, dass er starb. Nun ist das Urteil gefallen

Von 
Agnes Polewka
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Am 10. Dezember 2022 starb der gehbehinderte Obdachlose Marián K. im Bereich des Obdachlosenunterstands am Hans-Böckler-Platz. © Florian Karlein

Mannheim. Piotr K. ist ein kranker Mann, er hört Stimmen und Explosionsgeräusche, Schüsse, wähnt sich immer wieder im Krieg. Einmal, da stürmte er in einen Laden, wies alle Menschen darin an, sich auf den Boden zu legen - zu ihrem eigenen Schutz, das hat eine Psychiatrische Sachverständige vor dem Mannheimer Landgericht vorgetragen. Seit Mitte Oktober muss sich Piotr K. vor Gericht verantworten, weil er im vergangenen Winter den gehbehinderten Obdachlosen Marián K. so schwer verletzte, dass er starb.

Am Donnerstag ist das Urteil in dem Verfahren gefallen: Der 26-Jährige muss dauerhaft in einer psychiatrischen Klinik untergebracht werden. Zum Tatzeitpunkt sei er nicht schuldfähig gewesen, sagte der Vorsitzende Richter Gerd Rackwitz in der Urteilsbegründung. Weil er an einer paranoiden Schizophrenie leide und nach wie vor gefährlich für andere Menschen werden könnte, sei die Unterbringung nötig.

„Was tust du mir an?“

Rackwitz beschrieb, was sich nach Ansicht der Kammer am 10. Dezember 2022 im Bereich im Bereich des Obdachlosenunterstands Cahn-Garnier-Ufer/Hans-Böckler-Platz zutrug: Piotr K. ging laut Zeugenberichten auf Marián K. zu, der auf einer Bank saß, die er zum Schlafplatz umfunktioniert hatte. K. beschimpfte den 37-Jährigen, als „Spitzel“ und als „Schwulen“. An dem Tag hatte er Bier und Wodka getrunken, Ecstasy und Amphetamine eingenommen. Dann habe er minutenlang auf den 37-Jährigen eingeschlagen, während Marián K. „Was tust du mir an?“ und „Lass mich in Ruhe“ gerufen haben soll, so habe es ein Zeuge berichtet.

Die Kammer zeigte sich überzeugt davon, dass Marián K. von dem 26-Jährigen geschlagen und auch getreten worden war. Piotr K. hatte die Tat bereits am ersten Verhandlungstag eingeräumt. Er erinnere sich an wuchtige Schläge, sagte seine Verteidigerin, die Mannheimer Rechtsanwältin Sabrina Hausen, zu Beginn des Verfahrens. Von Tritten wisse er aber nichts mehr. Heute, Monate später, falle es ihrem Mandanten schwer, sich selbst einzugestehen, dass er so stark auf einen anderen Menschen eingewirkt habe, dass er starb.

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Während des Prozesses hielt Piotr K. den Blick gesenkt, als Rackwitz Bilder vom Tatort auf die Leinwand des Gerichtssaals projizierte, wo sich ein Verbrechen am Rande der Gesellschaft zugetragen hat, das viele Menschen in der Stadt bewegte.

Das Milieu prägte die Ermittlungen: Ein Zeuge war nicht auffindbar, ein anderer musste aus dem Gefängnis ins Landgericht gebracht werden. Ein Dritter gab an, durch das Geschehen schwer traumatisiert zu sein, wurde audio-visuell vernommen. „Das ist kein besonders polizeifreundlicher Ort“, sagt ein Beamter zu Beginn der Verhandlung. „Am liebsten sieht und hört man uns nicht.“

Rackwitz beschrieb in der Urteilsbegründung die massiven Verletzungen des getöteten 37-Jährigen: Rippenbrüche, Einblutungen im Gesicht und am Hinterkopf, den Milzriss, der schließlich zu inneren Blutungen und zum Tod des Obdachlosen führte. Der Leichnam sei mit so massiven Verletzungen übersät gewesen, wie man sie ansonsten nach schweren Verkehrsunfällen sieht, sagte der Vorsitzende Richter. Dabei sei Marián K., der den Spitznamen Mario trug, ein gebrechlicher Mann gewesen. Einer, der Vorerkrankungen gehabt habe, auf den Rollstuhl angewiesen war - und sich nicht wehrte.

Auch als der 37-Jährige von der Bank auf den Asphalt fiel, habe Piotr K. nicht von ihm abgelassen. Regungslos hört Piotr K. zu, eine Dolmetscherin übersetzt die Ausführungen des Richters für ihn ins Polnische.

Psychotische Symptome gezeigt

Schon in seiner Heimat habe es Aufenthalte in psychiatrischen Kliniken gegeben, habe er ein Antipsychotikum bekommen, sagte Rackwitz. In Deutschland sei er sieben Mal stationär behandelt worden, immer sei er dabei von Polizeibeamten in den Kliniken vorgestellt worden, auch wenige Tage vor der Tat. In der JVA - inzwischen ist er im Psychiatrischen Zentrum Nordbaden (PZN) in Wiesloch untergebracht - habe er psychotische Symptome gezeigt, sagte Rackwitz.

Aktuell gehe es Piotr K. besser, er nehme seine Medikamente, zeige sich kooperativ. „Dennoch kommt derzeit nur eine geschlossene Unterbringung in Betracht“, sagte Rackwitz.

Verteidigung und Staatsanwaltschaft hatten in ihren Plädoyers beide die Unterbringung gefordert. Oberstaatsanwalt Andreas Grossmann betonte in seinem Schlussvortrag, dass bei dem Beschuldigten bereits seit der Kindheit vieles im Argen liege, die Eltern seien alkoholkrank gewesen, der Junge in Heimen und bei Pflegefamilien aufgewachsen, und auch die Mutter habe an einer Schizophrenie gelitten.

Rechtsanwältin Sabrina Hausen berichtete in ihrem Plädoyer, dass ihr in einem der ersten Gespräche mit dem Beschuldigten ein freundlicher und höflicher junger Mann gegenübergetreten sei, der sich über das Geschehene fassungslos gezeigt habe. „Er konnte es nicht glauben“, sagte die Verteidigerin. Dass ihr Mandant an einer psychischen Erkrankung litt, habe sie erst durch das Gutachten erfahren.

Im PZN in Wiesloch erhalte er zum ersten Mal eine konsequente Therapie. „Er macht das freiwillig, er ist behandlungseinsichtig, und er bewertet die Therapie als stabilisierend“, sagte Hausen.

Redaktion

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