Mannheim

Prozess um Brust-OP in Mannheim: Muss die Krankenkasse die Kosten übernehmen?

Sie hat wegen einer Hormonstörung kaum Brüste: Eine junge Frau will das mit einer Operation ändern - und klagt, weil die AOK die Kosten nicht übernehmen will. Wie der Prozess ablief

Von 
Waltraud Kirsch-Mayer
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OP-Besteck liegt in einem Operationssaal während eines Eingriffes aus. (Archiv) © dpa

Mannheim. Das Sozialgericht an den Planken (P6, 20-21) beschäftigt sich häufig, aber keineswegs ausschließlich mit Konflikten rund um Hartz IV beziehungsweise Bürgergeld. Gestritten wird auch mit Krankenkassen wegen der Finanzierung spezieller Therapien oder Operationen. Der „MM“ besucht eine mündliche Verhandlung, bei der es um einen Brustaufbau geht, für den die AOK wegen fehlender medizinischer Gründe nicht zahlen will. Zu klären gilt, ob die von der Klägerin geltend gemachte körperliche Entstellung als seelische Belastung eine Kostenübernahme rechtfertigt. Die junge Frau verliert den Prozess.

Keine Brüste gebildet wegen Hirnentzündung und Hormonstörung

Im klimatisierten Verhandlungssaal ist die drückende Mittagshitze erträglich. Die Klägerin, die mit ihrem Anwalt Platz genommen hat, trägt ein Sommerkleid. Und dies offenbart, worum es geht: Unter dem dünnen Stoff zeichnet sich keinerlei Ansatz weiblicher Brüste ab. Der Vorsitzende Richter der 8. Kammer, Baris Akin, führt in den Sachverhalt ein.

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Die junge Frau leidet aufgrund der Autoimmunkrankheit NMDA-Rezeptor-Enzephalitis an einer Hirnentzündung samt Hormonstörung. Wohl deshalb bildete sich keinerlei Brustdrüsengewebe aus. Die Patientin hat vor zwei Jahren bei der AOK eine Mamma-Aufbauplastik beantragt und Atteste vorgelegt. Es folgten Gutachten und Gegengutachten. Die gesetzliche Krankenkasse beruft sich auf den Medizinischen Dienst, der den fehlenden Brüsten keinen Krankheitswert zuerkennt.

Klägerin schildert Belastung durch zu kleine Brüste

In der mündlichen Verhandlung kommt ein ähnlicher Fall zur Sprache, der 2019 vor dem Landessozialgericht Baden-Württemberg verhandelt wurde. Ein dortiger LAG-Senat entschied, dass fehlendes Drüsengewebe als Folge einer genetischen Besonderheit keinen Leistungsanspruch auf eine Brust-OP mit Silikoneinlagen bedinge.

In dem Mannheimer Prozess gibt der Anwalt zu bedenken, es gehe nicht um irgendwelche medizinischen Beschwerden oder um (spätere) biologische Funktionsstörungen in Zusammenhang mit der Produktion von Muttermilch. Vielmehr sei ausschlaggebend, dass die Mandantin ihren flachen Oberkörper als „auffällig“ und vor allem als „entstellend“ empfinde.

Ich fühle mich nicht als vollwertige Frau.
Klägerin

„Ich fühle mich nicht als vollwertige Frau“, erklärt die Klägerin und berichtet von neugierigen bis verletzenden Blicken - weshalb sie sich in kein Schwimmbad traue. Mit leiser Stimme erzählt die 20-Jährige, sich von einem Freund getrennt zu haben, weil sie aufgrund ihrer fehlenden Brüste vor Intimitäten Scheu habe. Der juristische Vertreter der AOK räumt ein, als Privatmann könne er die geschilderten Empfindungen nachvollziehen - aber es gelte den Anspruch auf Kostenübernahme „rechtlich einzuordnen“.

Prozess um Brust-OP: Gericht weist Klage ab

„Die Kammer sieht durchaus das seelische Leiden“, betont Sozialrichter Akin. Gleichwohl müsse die Klage abgewiesen werden. Die Rechtsprechung gestatte nur in engen Grenzen die Kostenübernahme von Eingriffen zur Veränderung des körperlichen Erscheinungsbildes. Bei der vorgetragenen Entstellung habe es an „Erheblichkeit“ gefehlt - auch deshalb, weil der empfundene Makel im Gegensatz zu Auffälligkeiten im Gesicht mit Kleidung verborgen werden könne, jedenfalls vor Blicken im Alltagsleben.

Jörg Herth, Präsident des Mannheimer Sozialgerichts. © Achim Keiper

Die Zeiten sind vorbei, als Hartz-Klagen das Sozialgericht Mannheim überrollten. Bei der Vorstellung des Geschäftsberichtes von 2022 mit Ausblick auf das laufende Jahr weist Präsident Jörg Herth darauf hin, dass inzwischen Konflikte rund um die Rentenversicherung die Spitzenposition einnehmen - gefolgt von Streitfällen aus dem Bereich Grundsicherung und dem Rechtsfeld Krankenversicherung.

Verhandlungen wieder in Präsenz

Beim erstinstanzlichen Sozialgericht, das für die Stadtkreise Mannheim und Heidelberg, außerdem für die Kreise Neckar-Odenwald sowie Rhein-Neckar zuständig ist, gingen 2022 insgesamt 2302 Klagen, außerdem 196 Anträge auf einstweiligen Rechtsschutz ein - damit 522 Verfahren weniger als im Jahr davor.

Allerdings signalisieren die ersten sechs Monate von 2023, dass der mit der Corona-Pandemie verknüpfte Rückgang bei Rechtsstreitigkeiten zum Stillstand gekommen ist. Jörg Herth nennt mehrere Gründe, die zur Abnahme der Verfahrenseingänge beigetragen haben: Weil während der Virus-Welle bei Hartz IV keine Sanktionen verhängt wurden, gab es auch weniger Auseinandersetzungen. Dazu kommt, dass durch eine Gesetzesänderung Prozesse zwischen Kliniken und Krankenkassen dort anhängig sind, wo die Versicherungen ihren Sitz haben. Herth: „Damit haben sich um die hundert Verfahren verlagert.“

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Beispielsweise zum Sozialgericht in Stuttgart, wo die AOK Baden-Württemberg ihre Zentrale hat. Nicht ohne Stolz betont Herth, dass in Mannheim die Laufzeit der Verfahren mit durchschnittlich neun Monaten auch diesmal wieder in Baden-Württemberg am kürzesten ist. Ein Großteil der Streitigkeiten werde in weniger als einem halben Jahr abgeschlossen - sofern keine Gutachten eingeholt werden müssen. Präsident Herth ist erleichtert, dass Verhandlungen wieder weitgehend in Präsenz stattfinden. Auch wenn Videoschalte nicht mehr wegzudenken sei. Zu dem mit Jahresbeginn eingeführten Bürgergeld gibt es bislang so gut wie keine Verfahren. Eine derartige Neuerung mache sich meist erst nach einem Jahr juristisch bemerkbar, kommentiert Herth.

Freie Autorin

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