Interview

Prostituierte in Mannheim: Sexkauf-Verbot wäre übergriffig

Lina Leonie arbeitet als Prostituierte in Mannheim, früher in der Lupinenstraße, mittlerweile selbstständig und ohne Zuhälter. Ein Gespräch über ihren Alltag, Liebe, Sex, Geld und aktuelle Diskussionen

Von 
Valerie Gerards
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Lina Leonie arbeitet als selbstständige Prostituierte in Mannheim. Im Interview spricht sie unter anderem darüber, wie sie zur Sexarbeit gekommen ist. © Valerie Gerards

Mannheim. Lina Leonie, wir sprechen Sie unter ihrem Künstlernamen an. Sie haben während Ihres Abiturs erstmals Geld als Sexarbeiterin verdient. Wie kam es dazu?

Lina: Ich hatte ein plötzliches Obdachlosigkeitsproblem und habe von einem Tag auf den anderen dringend Geld und eine Unterkunft gebraucht. Daher bin ich in die Lupinenstraße gegangen und habe gefragt, ob ich hier wohnen und arbeiten könne.

Wie alt waren Sie?

Lina: Damals war ich 19, wobei das meiner Meinung nach zu früh war. Prostitution sollte nicht schon ab 18, sondern erst ab 21 Jahren erlaubt sein, da diese Entscheidung sehr weitreichend ist und eine höhere geistige Reife voraussetzt.

Damals kostete ein Quickie 30 Euro, Analverkehr 50 Euro, Küssen 20 Euro und so weiter.

Welche Erfahrungen haben Sie anfangs gemacht?

Lina: Ich bin ins kalte Wasser gesprungen. Von einem Security-Angestellten in der Lupinenstraße konnte ich mir 240 Euro leihen, um die ersten Anschaffungen zu machen. Er erklärte mir auch, was ich brauchen würde: Küchenrolle, hohe Schuhe und Dessous. Er erklärte mir die Preisgestaltung in der Lupinenstraße und sagte mir, wie die Arbeit dort funktioniert. Damals kostete ein Quickie 30 Euro, Analverkehr 50 Euro, Küssen 20 Euro und so weiter. Dann ging es auch schon los. Ich glaube, dass ich zu Anfang viele Fehler gemacht habe und noch vieles lernen musste.

Welche Fehler waren das?

Lina: Ich habe mich vielen negativen äußeren Einflüssen zu sehr ausgesetzt und mich unter Wert verkauft. Als Nerd, der ich war und eigentlich irgendwie auch immer noch bin, musste ich auch mein Äußeres anpassen und lernen, was man eigentlich von mir sehen will.

Wie lange haben Sie dort gearbeitet?

Lina: In der Lupinenstraße war ich etwa ein halbes Jahr. Dann hatte ich genug Geld gespart und endlich ein eigenes passendes Apartment zum Wohnen und Arbeiten in Mannheim gefunden. Ich hatte herausgefunden, dass es im Internet Freierforen gibt, in denen die Herren sich über uns Damen austauschen. Ich lernte, richtig zu inserieren, welche Internetseiten es dafür gibt und erzielte höhere Preise. Ich habe aus meiner Not eine Tugend gemacht, und daraus ist inzwischen eine Leidenschaft geworden.

Sie haben sich zwischenzeitlich aus der Prostitution zurückgezogen und ein Intermezzo in der Altenpflege gehabt.

Lina: Nach der Schule wusste ich nicht so richtig, was ich machen sollte. Da ich mit Menschen gut kann, wollte ich zunächst Altenpflege lernen und später in Richtung Pflegemanagement gehen, um die Zustände in der Pflege zu verbessern. Daher habe ich einen Bundesfreiwilligendienst absolviert. Aber das System Altenpflege ist so kaputt, dass man als Einzelner nichts ändern kann. Das habe ich nach dem einen Jahr begriffen.

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Wie sind Sie zurück zur Sexarbeit gekommen?

Lina: Ich lernte in meiner Prostitutionsauszeit meinen heutigen Mann kennen, heiratete, reiste ein bisschen herum und fing mit einem Biotechnologie-Studium in Mannheim an. Neben dem Studium verdiente ich Geld mit erotischen Massagen. Aber dabei blieb es nicht. Durch die hohe Nachfrage nach meinen Dienstleistungen geriet mein Studium mehr und mehr ins Hintertreffen.

Wie wurde denn der Nebenjob zum Hauptberuf?

Lina: Ich wollte einen Onlyfans-Manager (Webdienst für erotische und pornografische Inhalte, Anm. d. Red.) in Hamburg treffen und dachte, wenn ich schon dorthin fahre, kann ich dort auch arbeiten und etwas Neues kennenlernen. Also habe ich beim Berufsverband für erotische und sexuelle Dienstleistungen gefragt, wo man in Hamburg gut arbeiten kann, und mir wurde eine gute Adresse genannt.

Dort habe ich dann eine Woche gearbeitet, meine Termine selbst gemacht und mein Geld für mich alleine gehabt. Das war zwar viel mehr Arbeit. Doch wenn ich dem Studium schon zeitlich nicht hinterherkomme, weil ich nur arbeite, dann will ich nicht auch noch die Hälfte am Tag abgeben müssen. Den Onlyfans-Manager habe ich übrigens lustigerweise bis heute nicht getroffen.

Ich arbeite von 10 Uhr bis Mitternacht und meine ganze Ernährungsweise ist darauf ausgelegt.

Die Motivation fürs Studium ging also verloren?

Lina: Wenn man dasitzt und eigentlich Physik lernen sollte, und gleichzeitig schreibt jemand dich an und ist bereit, dir beispielsweise 600 Euro für drei Stunden deiner Gesellschaft zu bezahlen, wenn du sofort vorbeikommst, dann machst du das Blatt nicht, sondern hast lieber Sex und bist hinterher 600 Euro reicher – abzüglich der Fahrtkosten und Spesen. Irgendwann habe ich mir gedacht: Mach wieder deinen alten Job und den konsequent.

Lieben Sie Ihren Beruf?

Lina: Ja. Ich habe eine nymphomane Veranlagung und bin fähig, sehr vielen Menschen sehr viel Liebe zu geben. Ich fühle mich sehr gut aufgehoben in meinem Beruf.

Auf Ihrer Preisliste stehen viele Dienstleistungen, die wie Kuscheln und Küssen auch zu einer Partnerschaft gehören. Stört sich Ihr Mann an Ihrem Beruf?

Lina: Nein, denn er ist in einer besonderen Position. Er braucht kein Kondom zu benutzen, wenn er mit mir schläft. Das ist ein großer Unterschied zum Kunden. Er sieht mich auch abends, wenn ich müde bin. Er kocht das Abendessen und kümmert sich um den Haushalt.

Wir sind außerdem eine Familie und haben ein Kind, das wir gemeinsam großziehen. Er unterstützt mich im Online-Marketing und dreht mit mir viele Videos, die ich verkaufe. Bei uns sind die klassischen Rollenbilder wohl umgekehrt.

Das klingt in der Tat so …

Lina: Mein Leben ist momentan darauf ausgerichtet, meinen Job so gut und effizient wie nur möglich zu machen. Ich arbeite von 10 Uhr bis Mitternacht und meine ganze Ernährungsweise ist darauf ausgelegt.

Das müssen Sie jetzt genauer erklären.

Lina: Wegen bestimmter Sexualpraktiken, die ich anbiete. Ich darf dabei nicht erbrechen müssen und ich muss den ganzen Tag über auch „innerlich sauber sein“.

Ein Weitspringer trainiert darauf, weit zu springen. Ich bin darauf trainiert, den ganzen Tag Sex haben zu können.

Und Sie lieben den Job trotzdem?

Lina: Ja. (lacht) Nicht immer gleich, aber schon. Ich bin sowohl seelisch wie auch körperlich darauf konditioniert. Ein Weitspringer trainiert darauf, weit zu springen. Ich bin darauf trainiert, den ganzen Tag Sex haben zu können.

Der Vergleich zum Profisport ist gut. Ich stelle mir Ihren Job schon extrem vor.

Lina: Das ist definitiv auch eine Konstitutionsfrage. Man muss sehr sportlich sein. Die Kunden denken immer, ich wäre jeden Tag im Gym. Aber dort bin ich nie. Ich habe nur sehr viel Sex und bin dadurch viel in Bewegung.

Ist es eigentlich schwierig für Sie, mit einem unattraktiven Mann zu schlafen, den Sie gar nicht sexy finden?

Lina: Nein. Klassische Schönheit ist etwas sehr Subjektives, und ich sehe mich als Dienstleisterin nicht in der Position, über die Attraktivität eines Menschen zu entscheiden. Ich habe einfach Freude daran, den Menschen Gutes zu tun. Gerade Menschen, die nach der allgemeinen Auffassung unattraktiv sind, brauchen ja am allermeisten das Gefühl, mal schön gefunden zu werden und Zuneigung zu erfahren.

Was macht Ihren Berufsalltag noch aus?

Lina: Bei mir ist alles ganz genau getaktet und geplant. Termine vereinbaren, immer aktuelle Fotos machen und pünktlich sein. Das Zimmer muss sauber, ordentlich und gepflegt sein. Das bewerten die Kunden. Ich muss immer freundlich, sauber und gepflegt sein: Haare, Nägel, Füße, Lippen, Zähne, Körper. Und ich muss gesund sein. Alle vier Wochen mache ich einen SAM-Test.

… mit dem man sich von zuhause aus auf Chlamydien, HIV, Syphilis und Tripper testen kann …

Lina: Genau, der kostet 59 Euro. Eine Woche Werbung auf einer Internetplattform kostet für Mannheim 465 Euro. Wenn ich eine Woche in München bin, muss ich mit Kosten in Höhe von 1600 bis 1800 Euro rechnen – für Unterkunft, Werbung, Kondome, Materialen, Fahrtkosten. Dazu kommen natürlich noch die Steuern – nichts ist so sicher wie der Tod und die Steuer!

Machen Sie sich Sorgen über Geschlechtskrankheiten?

Lina: Prostitution ist kein gesundheitlich sicherer Job. Man ist immer in Kontakt mit Bakterien und Viren. Als Prostituierte setzt man sich zwangsläufig auch Krankheiten aus. Das darf man nicht schönreden.

Schützen Kondome nicht davor?

Lina: Chlamydien und Syphilis können auch mit Kondom übertragen werden. Kondome schützen nur zu etwa 60 Prozent vor Geschlechtskrankheiten. Es geht bei der Verwendung von Kondomen um eine Risikominimierung, es handelt sich dabei nicht um eine absolute Sicherheit.

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Wie lange werden Sie Ihren Job noch machen?

Lina: Ich will das in dieser Form noch ein paar Jahre durchziehen, bis ich meine Schäfchen im Trockenen habe. Wenn ich älter bin, mache ich vielleicht im geringfügigen Umfang weiter. Das wäre mein Traum.

Wo arbeiten Sie in Mannheim?

Lina: Ich habe mir eine sichere und schöne Ein-Zimmer-Wohnung gemietet. Es gibt für diesen Job offiziell nur die Lupinenstraße und ein paar mehr oder weniger angeranzte Termin-Wohnungen außerhalb der Innenstadt. Oder man kann in ein Boarding-House oder Hotel gehen, bis man rausfliegt. Es gibt hier in Mannheim kaum schöne Arbeitsplatzangebote, man wird schon sehr an den Rand gedrängt.

Wegen der Sperrbezirkregelung?

Lina: Ich finde die rechtliche Situation von Prostituierten schwierig, weil wir nicht wirklich anerkannt werden. Wir werden wenig gefragt. Als könnten wir nicht unsere eigenen Entscheidungen treffen und wüssten nicht, was gut für uns ist. Das ist eine Art und Weise, mit Menschen umzugehen, wie ich sie nicht für richtig halte.

Was halten Sie von dem Sexkauf-Verbot, das derzeit in der CDU diskutiert wird?

Lina: Ich halte es für übergriffig, denn es ist ein großer Eingriff in die Sexualität fremder Menschen. Über die Sexualität erwachsener Menschen zu bestimmen, finde ich ganz grundsätzlich problematisch. Vor allem: Wo kann ich sicher arbeiten, wenn es keine legalen Prostitutionsstätten mehr gibt? Ich könnte nicht mehr in ein gutes Haus gehen, sondern müsste nach illegalen Möglichkeiten suchen, wo ich mich einquartieren kann.

Dann bin ich schnell bei den Zuhältern und Gewalt ausgesetzt. Genauso würde es auf der Kundenseite sein. Diejenigen, die bereit sind, kriminell zu sein, kommen noch, die netten Kunden nicht. Außerdem sind viele meiner Kunden auch Menschen mit Behinderungen, und für sie ist dies eine einfache Möglichkeit, ihre Sexualität gleichberechtigt ausleben zu können.

Mit dem Gesetzesvorschlag will die CDU Frauen in der Prostitution schützen.

Lina: Die Herangehensweise ist falsch. Wir wollen ja nicht die Prostitution an sich verhindern, sondern die Zwangsprostitution. Die richtigen Fragen wären: Wie verhindert man Gewalt in der Prostitution? Wie kann man gegen Menschenhandel vorgehen? Wie sorge ich für ein ordentliches Arbeitsklima?

Was wäre Ihr Vorschlag, um Prostitution besser zu machen?

Lina: Wenn man die negativen Seiten der Prostitution anschaut, also Zwangsprostitution und Gewalt, dann zeigen sich gewisse Muster: Die Frauen sind extrem jung oder kommen aus sehr armen Ländern. Frauen unter 21 und Frauen aus Bulgarien, Rumänien, Moldawien und manchen afrikanischen Ländern sind sehr stark gefährdet.

Könnten wir nicht durch entsprechende Gesetze dafür sorgen, dass das besser wird? Eine Altersgrenze würde zum Beispiel den Loverboys den Nährboden entziehen, Frauen in die Prostitution zu bringen. Es gibt so viele Wege, Dinge zu verhindern, über die niemals gesprochen wird. Ich glaube, der politische Wille, die Prostitution besser zu machen, ist gar nicht vorhanden. Vielleicht soll Prostitution einfach verrucht bleiben.

Freie Autorin

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