Mannheim. Schätzungen zufolge kaufen in Deutschland jeden Tag eine Million Männer Sex bei einer Prostituierten. „Gesellschaftlich ist das so abgewertet, dass kaum ein Mann öffentlich darüber sprechen will“, meint Uwe W. Er ist seit drei Jahren Single, geht seither regelmäßig zu Prostituierten.
Er kritisiert die Rufe nach dem Nordischen Modell in Deutschland - einer Gesetzgebung, die Prostituierte entkriminalisiert, dafür aber den Sexkauf und damit die Freier bestraft.
Ist die Mannheimer Lupinenstraße ein Auslaufmodell?
Er berichtet im Gespräch mit dieser Redaktion von Sexarbeiterinnen, die ihren Beruf freiwillig ausüben und sich allesamt gegen das Nordische Modell aussprechen würden. „Wenn mit dem Nordischen Modell die Freierbestrafung eingeführt wird, würden die gutbürgerlichen Freier, die sich ans Gesetz halten, nicht mehr kommen, sondern nur noch diejenigen, die bereit sind, eine Straftat zu begehen. Das würde die Freierschaft auf diese Typen verengen“, sagt W. Er ist überzeugt, dass sich die Lage durch das Nordische Modell für die Sexarbeitenden zuspitzen würde.
Uwe W. meint weiter, weil der Beruf nicht anerkannt ist, seien die Prostituierten immer noch Außenseiterinnen, und die Männer können sich auslassen. „Ich glaube, dass Männer oft dagegen sind, dass Frauen so selbstbestimmt und unabhängig sind.“ Er selbst suche überwiegend selbstständig arbeitende Sexarbeiterinnen auf, die er über die einschlägigen Internetportale findet. Dort suche er sich die schönsten Frauen aus und frage einen Termin dann einfach per WhatsApp an. Laufhäuser und Rotlichtviertel wie die Mannheimer Lupinenstraße, wo man von den Frauen angesprochen werde, hält er für Auslaufmodelle.
Ich bin kein toller Typ, bin nicht reich, ich sehe überhaupt nicht gut aus und kann trotzdem mit tollen Frauen Sex haben, wenn ich dafür bezahle
Ein gewaltgeprägtes Umfeld habe er bei seinen Besuchen bei Prostituierten, die oft in Hotels oder angemieteten Zimmern stattgefunden hätten, noch nie erlebt. Stattdessen berichtet der 56-Jährige von positiven Erlebnissen und verrät auch, warum er überhaupt die Dienste von Sexarbeiterinnen in Anspruch nimmt.
„Ich bin kein toller Typ, bin nicht reich, ich sehe überhaupt nicht gut aus und kann trotzdem mit tollen Frauen Sex haben, wenn ich dafür bezahle. Diese Frauen sind wirklich wunderschön.“ Die 130 bis 150 Euro für eine Stunde bezahlt W. gern.
Meiden Prostituierte Beratungsstelle Amalie?
Überraschend berichtet er dann, dass die Sexarbeiterinnen angeblich nicht gern von der Beratungsstelle Amalie gefragt werden wollten, ob sie aufhören wollen. Das hätten fünf Frauen ihm gesagt, die ihrem Gewerbe in einem gemieteten Zimmer in einem Wohnhaus nachgehen würden. Die anderen Bewohner wüssten nicht, dass sie dort arbeiten. Dann komme Amalie dahinter und lege Flyer im Foyer aus, so dass es die Hausgemeinschaft mitbekomme. Den Sexarbeiterinnen gefalle das gar nicht.
„Ich weiß, dass meine Erfahrungen nur ein kleiner Ausschnitt der Sexarbeit sind - aber das ist bei Amalie genauso. Sie beschäftigen sich dort nur mit den Frauen, die aussteigen wollen, und das ist eben auch nur eine Sicht der Dinge“, meint W., der in den vergangenen Jahren laut eigenen Angaben rund 100 Sexarbeiterinnen aufgesucht hat.
Prostitution in Deutschland
- Laut „Sexkauf“-Statistik des Deutschen Instituts für angewandte Kriminalitätsanalyse vom Juni 2023 sind nur knapp 24 000 Prostituierte - weniger als zehn Prozent - gemeldet.
- Unter 100 sind offiziell sozialversichert.
- Über 90 Prozent der Prostituierten machen ihre Tätigkeit nicht freiwillig.
- Sie erleben die multiple, oft gewaltsame Penetration von rund 20 Männern täglich.
- In Deutschland gibt es Schätzungen des Bundes und der Länder zufolge 250 000 bis 400 000 Prostituierte, überwiegend Frauen.
Tatsächlich sind die Lebenssituationen von Prostituierten extrem verschieden. Es gibt jene, die Sexarbeit als normalen Beruf ansehen, selbstbestimmt arbeiten und gutes Geld verdienen. Am anderen Ende des Spektrums arbeiten von Armut betroffene Menschen, vielfach ohne Papiere, Drogenabhängige und Frauen, die von Menschenhändlern zur Prostitution gezwungen werden.
Ex-Prostituierte sprechen von „bezahlter Vergewaltigung“
So unterschiedlich die Lebenssituationen, so verschieden sind auch die Perspektiven der Verbände. Die Mannheimer Beratungsstelle Amalie des Diakonischen Werks kümmert sich um die Sexarbeiterinnen, die meist weder Wohnung noch Arbeit oder Krankenversicherung haben, täglich Gewalt erfahren und nicht freiwillig in der Prostitution arbeiten. Amalie unterstützt diese Frauen beim Ausstieg aus der Prostitution. „Aus unserer Sicht sind Änderungen an den jetzigen politischen und strukturellen Rahmenbedingungen der Prostitution dringend erforderlich. Grund ist, dass die bei Weitem überwiegende Zahl von Prostituierten in prekären Lebenssituationen gefangen ist, weit entfernt von einem selbstbestimmten Leben, das diesen Namen verdient“, sagt Amalie-Leiterin Astrid Fehrenbach.
Auch das Netzwerk Ella, das von einer ehemaligen Prostituierten gegründet wurde, hilft Frauen beim Ausstieg aus der Prostitution und setzt sich für die gänzliche Beseitigung von Sexkauf ein. Die Gründerin Huschke Mau beruft sich unter anderem auf eine Studie des Deutschen Instituts für angewandte Kriminalitätsanalyse (DIAKA), dass rund 95 Prozent der Prostituierten in gesundheitsbedrohlichen Verhältnissen leben und über 90 Prozent ihre Tätigkeit überwiegend nicht freiwillig machen.
„Sexarbeit ist nicht schrecklich“ meinen Sexarbeitende des BesD
Die Autoren kommen darin zu dem Ergebnis, dass die Gesetze gegen die Verfassung verstoßen, und sprechen sich deshalb für das Nordische Modell aus. Die Gesetze hätten zu mehr Menschenhandel und Organisierter Kriminalität in Deutschland geführt. Statt die Opfer zu schützen, sei die „Stellung der Bordellbetreiber, der Sexindustrie und der Freier“ gestärkt worden. Co-Autorin Elke Mack spricht bei Prostitution von „einer bezahlten Vergewaltigung“.
Der Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen (BesD), der von Sexarbeitenden gegründet wurde, fordert hingegen die vollständige Entkriminalisierung als Voraussetzung für die legale Anerkennung von Sexarbeit als Beruf und betrachtet Sexarbeit und Zwangsarbeit als zwei voneinander getrennte Phänomene. „Ich kenne nur die freiwillige Seite“, berichtet Ines, eine Sprecherin des BesD, die als Sexarbeiterin mit einem Spezialgebiet in Mannheim tätig ist. „Ich würde behaupten, dass die Mehrheit der deutschen Sexarbeiterinnen nicht gezwungen wird.“ Ganz anders verhalte es sich mit den oft sehr jungen Frauen aus Rumänien oder Bulgarien, die in Clubs, Laufhäusern und Bordellen anschaffen würden. „Aber das Nordische Modell wird da nichts bringen. Menschenhandel ist ja bereits illegal und wird trotzdem weiter betrieben.“
Die BesD-Sprecherin meint, anstatt des Nordischen Modells solle jede Sexarbeitende angemeldet, krankenversichert und die Clubs von der Polizei überprüft werden. Dann solle man scharf gegen Menschenhandel vorgehen. Die Strafen müssten konsequent und drakonisch sein. „Wenn eine Prostituierte ihren Körper verkaufen muss, ist das absolut schrecklich. Aber Sexarbeit ist nicht schrecklich. Es ist ein Geschenk für den, der es empfängt.“
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