Mannheim. Dieses Projekt hat Christian Specht unstrittig nicht zu den wichtigsten gezählt. Nach der Amtsübernahme des CDU-Oberbürgermeisters im August 2023 verschwanden unter seinem SPD-Vorgänger Peter Kurz entwickelte Pläne, das Rotlichtviertel ins Hafengebiet zu verlagern und in der Lupinenstraße 400 neue GBG-Mietwohnungen entstehen zu lassen, tief in den Rathausschubladen.
Erst nachdem Fraktionsvorsitzende im Januar Druck machten, Specht möge sich des Themas annehmen, wurde eine gründliche Prüfung eingeleitet. Mittlerweile liegt das Ergebnis vor: Die Stadtverwaltung wird das Ganze nicht weiterverfolgen. Darüber wurden Hauptausschuss und Gemeinderat in nicht-öffentlichen Sitzungen informiert. Offenbar gab es keine größeren Einwände.
„Klar überwiegen erkennbare Nachteile mögliche Vorteile“
Das nunmehr eingestellte Vorhaben sei aus den unterschiedlichsten Blickwinkeln betrachtet worden, sagt dem „MM“ Spechts Persönlicher Referent David Linse. „In die Bewertung flossen zum Beispiel sozialpolitische Überlegungen, städtebauliche Entwicklungsmöglichkeiten, jugend- und gesundheitspolitische Perspektiven sowie die Bewertung der Sicherheit im Quartier und in der Stadt ein.“ Ausführlich gehört worden seien zudem die städtische Gleichstellungsbeauftragte, die Prostituiertenberatungsstelle Amalie sowie das Quartiersmanagement der Neckarstadt-West. Ihre Stellungnahmen würden auch in einer nicht-öffentlichen Informationsvorlage für den Gemeinderat dargestellt.
„Im Ergebnis kommt die Verwaltung zu dem Schluss, dass die erkennbaren Nachteile des Vorhabens die möglichen Vorteile deutlich überwiegen“, so Linse. Er argumentiert unter anderem mit hohen finanziellen Aufwendungen für die Rotlicht-Immobilien in der Lupinenstraße. Vorgesehen war, dass ein Projektentwickler die Häuser kaufen und an die GBG weiterveräußern sollte. Die städtische Tochtergesellschaft hätte sie dann abgerissen und 400 neue Mietwohnungen errichtet, in erster Licht für Familien. Wären die Prostitution und in der Folge damit einhergehende Begleiterscheinungen wie Kriminalität aus der Neckarstadt-West verschwunden, hätte davon der problemgeplagte Stadtteil sehr profitiert.
In einem mehrere Jahre alten Exposé, das dem „MM“ vorliegt, wird auch auf einen großen Nutzen für die GBG verwiesen. Deren zahlreiche Immobilien in der Neckarstadt-West wären wertvoller geworden. Das hätte sich für die Wohnungsgesellschaft mit starkem sozialen Auftrag jedoch nur bedingt bezahlt gemacht. Mieterhöhungen etwa sind für sie oft schwierig. Daher drängte sie dem Vernehmen nach darauf, das Ganze sei für sie nur wirtschaftlich, wenn die Stadt für den den Ankauf der Rotlichthäuser komplett aufkomme. Laut Linse wären dafür - inklusive des Anteils für den Mittelsmann und Anschaffungsnebenkosten - 36 Millionen Euro erforderlich.
Hinzu gekommen wären weitere Kosten für die vorgesehene Verlagerung der Bordellbetriebe ins Hafengebiet. Als geeignetsten Standort hatte die vorherige Stadtverwaltung einen Abschnitt der Bonadiesstraße ausgemacht. Dort hätte ein Obdachlosenheim weichen müssen und ein neues Domizil benötigt.
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Bei Amalie waren die Pläne auf deutliche Kritik gestoßen. „Wenn eine Gesellschaft sich zur Legalisierung der Prostitution entschieden hat, dann muss sie die auch in ihrer Mitte aushalten“, sagte Leiterin Astrid Fehrenbach dem „MM“ im Februar. „Dann darf man die Frauen nicht an den Rand drängen und noch weiter isolieren oder gar in einem Industriegebiet ghettoisieren.“ Das würde ihre Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zusätzlich erschweren sowie ausbeuterische Abhängigkeiten verstärken. Die von der Diakonie getragene Beratungsstelle werde auf jeden Fall in der Lupinenstraße bleiben. Rotlicht soll es dort bereits seit 150 Jahren geben.
Nun werde eine einmalige Chance verpasst, so der Projektentwickler
Der Projektentwickler, der nicht namentlich genannt werden will, zeigt sich nun auf Anfrage enttäuscht. Er finde es sehr schade, dass die Stadt hier eine „einmalige Chance“ verpasse, die Neckarstadt-West aufzuwerten. Die von ihm aufgerufenen 36 Millionen Euro bezeichnet der Mann als marktkonformen Preis. Er hatte mehrfach gewarnt, dass die Zeit dränge: Noch stünden 90 Prozent der Rotlicht-Immobilien in der Lupinenstraße in einer Hand zum Kauf bereit. Doch könnten es sehr bald weniger werden, weil es noch andere Interessenten gebe. Womöglich wieder welche aus dem Milieu.
Eigentlich wollte der Mannheimer Anfang Juni noch mit einem Dialogforum, zu dem alle relevanten Akteure kommen sollten, für das Projekt werben. Nun bezweifelt er, ob das noch sinnvoll ist.
Nicht-öffentliche Beratung wegen vertraulicher Informationen
Im Gemeinderat ist die Entscheidung der Stadtspitze dem Vernehmen nach dagegen auf einhelliges Verständnis gestoßen. Selbst einige, die das Ganze anfangs durchaus erwägenswert fanden, können die Beweggründe offensichtlich nachvollziehen. Gesprochen wurde darüber allerdings wiederum nur im nicht-öffentlichen Teil. Laut Linse „hat sich dabei eine sehr große Einigkeit zwischen den Fraktionen und der Verwaltung bei der ablehnenden Bewertung der Projektidee gezeigt“.
Vom „MM“ gefragt, warum über dieses für die Stadtentwicklung doch sehr interessante Thema nur in nicht-öffentlichen Sitzungen beraten wurde, verweist der Persönliche Referent des Oberbürgermeisters auf vertrauliche Informationen in verschiedenen Stellungnahmen.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Verzicht auf Lupinenstraßen-Projekt verständlich, aber schade