Internationaler Tag der Menschen mit Behinderungen

Projekt am Mannheimer Moll-Gymnasium: Kinder mit und ohne Behinderung lernen gemeinsam

Es ist ein einzigartiges Projekt an Mannheimer Gymnasien: Alle lernen dasselbe – entsprechend ihren Fähigkeiten. Wie Lehrer, Schüler und Eltern von der Kooperation mit der Eugen-Neter-Schule profitieren

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Konstantin Groß
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Sportunterricht der Klasse 5a+ am Moll-Gymnasium: Kinder mit und ohne Behinderung turnen gemeinsam und praktizieren damit Integration. © Konstantin Groß

Mannheim. Das Moll-Gymnasium im Niederfeld. Nach Ende der Sommerferien kommen die Kinder und Jugendlichen wieder zusammen. Für die 5 a in besonderer Zusammensetzung. Jungen und Mädchen mit Behinderung aus der Eugen-Neter-Schule (ENS) sind dabei. Gemeinsam werden sie in einer kleinen Feier begrüßt. Nach einiger Zeit fragt ein Mädchen ohne Behinderung zaghaft: „Wann kommen denn die Kinder aus der Eugen-Neter-Schule?“ Doch die sitzen seit Beginn der Veranstaltung mitten unter ihnen, eines sogar neben der Fragestellerin.

„Ich bekomme noch immer Gänsehaut, wenn ich daran denke“, bekennt Susanne Krause, als die Moll-Lehrerin diese Geschichte erzählt. Und zwar Gänsehaut vor Freude. Denn die Begebenheit beweist nicht nur aus ihrer Sicht: Die Kinder mit Behinderung gehören sofort dazu.

Erstmals an einem Gymnasium

Das zeigt sich auch in dieser Woche an jenem Vormittag, an dem der „MM“ im Moll zu Besuch ist. In der Turnhalle ist ein Parcours aufgebaut, mit Geräten, die dem Redakteur in seiner eigenen Jugend mächtig Respekt einflößten. Doch die Fünftklässler meistern sie virtuos, unter ihnen die Kinder aus der ENS. Um sie inmitten der kleinen Sport-asse zu erkennen, bedarf es der Hinweise von Lehrerin Anne Tebben.

Seit Schuljahresbeginn besteht diese Kooperation am Moll – „als einzigem Gymnasium in Mannheim“, wie Christof Höger, der stellvertretende Schulleiter, nicht ohne berechtigten Stolz vermerkt. „Absolutes Neuland“, bestätigt Luisa Müller aus der Eugen-Neter-Schule. An der Uhland-Werkrealschule und an der Feudenheim-Realschule gibt es das zwar schon. „Aus gesellschaftspolitischer Sicht ist uns jedoch wichtig, dass es das auch an einem Gymnasium gibt“, betont Müller.

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Das Moll kommt zu dieser Kooperation sehr bewusst. Sein damaliger Chef Gerhard Weber ist in seiner Amtszeit auch Sprecher aller Mannheimer Gymnasien. Und als er von der Schulbehörde auf dieses Projekt angesprochen wird, da will er mit gutem Beispiel vorangehen. Das Kollegium zieht mit, und auch die Eltern. „Wir fühlen uns hier sehr gut aufgenommen“, versichert Luisa Müller.

Seither kommen sechs Schülerinnen und Schüler aus der ENS ins Moll, an jedem Schultag, von 8 bis zumeist 13 Uhr. „Etwa die Hälfte dieser Zeit sind Kooperationsstunden“, erläutert Müller. Dabei gilt für sie der Grundsatz: „Kooperieren wo möglich, differenzieren wo nötig.“ So verfügen die ENS-Kinder für ihre separaten Stunden über ein eigenes Zimmer – direkt neben dem der 5a.

Erweiterung des Horizonts

Problemlos ist diese Kooperation in Sport, Bildende Kunst und Musik, aber auch in Ethik, bei Biologie und Erdkunde, in Fremdsprachen und in Deutsch abgewandelt in Projekten. „Es lernen zwar alle Kinder zum gleichen Unterrichtsthema, jedoch jedes entsprechend seinem Lernniveau.“ Das „Herunterbrechen“ komplexer Inhalte übernehmen die beiden Sonderpädagoginnen Luisa Müller und Julia Timmerhues, die gemeinsam mit einer Integrationskraft die Kinder der ENS begleiten. Für diese bedeutet das einen kaum zu ermessenden Gewinn. „Bei uns sind sie in ganz kleinen Klassen“, erläutert Luisa Müller: „Quasi in einem Schonraum, den aber nicht jedes Kind braucht.“ Und im weiteren Verlauf seines Lebens möglicherweise auch nicht immer haben wird. Die Kooperation am Moll ermöglicht neue Horizonte: „Die ENS-Schüler erleben sich als Teil einer großen Gruppe.“ Und lernen, auch in einer solchen mit ihren individuellen Einschränkungen umzugehen.

Ziehen positive Bilanz: Christof Höger (v. l.), Anne Tebben, Susanne Krause, Sabine Helbig, Luisa Müller und Carolin Zeimer. © Konstantin Groß

Doch auch für die Kinder ohne Behinderung bringt diese Kooperation viel. „Sie schafft soziale Kompetenz“, kann Lehrerin Anne Tebben schon bilanzieren: „Die Kinder ohne Behinderung kümmern sich um die anderen“, berichtet sie und nennt ein einfaches, aber doch instruktives Beispiel: „Wenn sie zusammen das Klassenzimmer verlassen, fragen sie: Hast Du Deinen Brotbeutel?“

Auch inhaltlich profitieren die Kinder ohne Behinderung vom Projekt: „Es wird mehr gesungen, musiziert und gespielt, als wir das ohne die Schüler mit Behinderung tun würden“, bekennt Susanne Krause. So kommt auch das Gymnasium in den Genuss von Unterrichtsformen, die seine Pädagogen sich schon immer wünschen, die bisher aber nur in der Sonderpädagogik Usus sind.

Erkenntnisgewinn bringt das Ganze auch für die Lehrkräfte des Moll, die dafür übrigens keine sonderpädagogische Zusatzausbildung erhalten: „Es ist eher learning by doing“, schmunzelt Susanne Krause. Doch dabei erwerben sie Fertigkeiten, die ihnen auch bei „schwierigen“ Kindern ohne Behinderung nützlich sein können, etwa bei Schülern mit Konzentrationsproblemen.

Bei den Eltern kommt das Projekt daher ebenfalls gut an. „Ausnahmslos positiv“ bewertet Moll-Elternbeirätin Sabine Helbig die bisherige Resonanz. Manche Eltern hatten das wohl geahnt und sich im Vorfeld bemüht, dass ihre Sprösslinge in diese Projektklasse kommen. Das positive Ergebnis sieht Helbig an ihrem eigenen Sohn: „Er freut sich, dass das Mädchen mit Behinderung seinen Namen kennt.“ Carolin Zeimer weiß von Kontakten auch außerhalb des Schullebens. „Es gibt bereits gegenseitige Geburtstagseinladungen“, berichtet die Elternbeirätin der ENS.

Logistische Herausforderung

Doch natürlich bestehen im Projekt auch „Stolpersteine“, wie Müller formuliert. Der Absprachebedarf zwischen den Akteuren beider Schulen ist enorm: „Abendliche Telefonate sind keine Seltenheit.“ Auch die Lehrkräfte am Moll, die dafür keine zusätzlichen Deputate erhalten, investieren viel Herzblut: „Ohne das hohe persönliche Engagement aller beteiligten Lehrerinnen würde die Kooperation nicht gelingen.“

Doch der Erfolg motiviert sie zur Fortsetzung. Nach den Sommerferien wird die 5a+, wie die Kooperationsklasse offiziell heißt, gemeinsam zur sechsten Klasse. Wie lange wird, kann das Projekt laufen? „Offenes Ende“, sagt Müller: „Solange es Sinn macht.“ Zum Ziel gehört sicher nicht das Abitur. Doch bis Klasse 9 hält Höger dies für möglich: „Aber das ist jetzt noch reine Spekulation.“

Aber wer weiß – bereits die bisherigen Erfahrungen haben ja manche Überraschung gebracht. „Erwachsene machen sich oft mehr Sorgen als Kinder“, weiß Müller. Womit wir bei der Geschichte vom Anfang wären.

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