Hochschulen

Präsenzlehre, Klimaschutz, Inflation: So blicken Mannheimer Studierendenvertreter auf das Jahr 2022 zurück

Studierende leiden besonders unter den aktuellen Krisen - und fühlen sich von der Politik oft nicht genug unterstützt. Vertreter von Universität, Hochschule und DHBW im Interview

Von 
Sebastian Koch
Lesedauer: 
Die Studierendenvertreter Marco Haupt (2.v.r.), Gustav Schneider und Hauke Platte (r.) im Gespräch mit „MM“-Redakteur Sebastian Koch (l.). © Thomas Tröster

Mannheim. Herr Haupt, Herr Schneider und Herr Platte, Unirektor Thomas Puhl hat beim Schlossfest den Erstsemestern erklärt: „Das Studium ist eine Zeit besonderer Vielfalt und Freiheit, die Sie nutzen sollten.“ Welche Freiheiten und Vielfalt haben Studentinnen und Studenten 2022 nutzen können?

Marco Haupt: Ich denke, Herr Puhl hat sich vor allem darauf bezogen, dass wir nach dem Sommer endlich wieder komplett in den Präsenzbetrieb zurückkehren konnten. Die letzten beiden Jahre haben wir ja mehr oder weniger vollständig im digitalen Home-Office arbeiten müssen. Durch die Präsenz ist die Vielfalt, die es an unserer Universität immer schon gegeben hat, wieder für alle sichtbar geworden und wir haben wieder mehr Freiheiten bekommen. Aber natürlich ist die Lage für Studierende immer noch turbulent und es sind viele Herausforderungen dazugekommen. Ich vermute, unser Rektor wollte auch darauf hinwirken, dass Verantwortliche dafür sorgen, dass trotz der Weltlage – Krieg, Klimawandel, Inflation et cetera – noch so viele Freiheiten für uns möglich werden wie möglich.

Gustav Schneider: Wir haben gesehen, dass die Nachfrage nach Aktionen auf dem Campus der Hochschule deutlich gestiegen ist. Insofern stimmt es, dass wir wieder mehr Freiheiten haben. Gleichzeitig haben sich durch Preissteigerungen neue Einschränkungen ergeben, die bis jetzt durch die Politik nicht ideal abgefedert worden sind.

Hauke Platte: An der DHBW findet noch nicht alles wieder in Präsenz statt. Das schwankt zwischen einzelnen Studiengängen extrem: von vollständiger Präsenz bis zu 70 Prozent online. Teilweise sind über die Pandemiezeit Stellen mit Lehrbeauftragten besetzt worden, die weit weg wohnen – auch im Ausland. Ein Dozent zum Beispiel aus den Niederlanden kann mittwochs von 15 bis 17 Uhr keine Vorlesung in Mannheim halten. Gleichzeitig haben wir bei der Verfassten Studierendenschaft auch erlebt, dass sich Studierende wieder mehr engagieren. Wir haben so viel Zulauf, dass wir jetzt erstmal schauen müssen, wie wir uns aufstellen. Das macht großen Spaß und bringt uns und die Studierenden enorm weiter. Insofern hat sich vieles zum Guten gewandt.

Wie wichtig ist die Präsenzlehre im Vergleich zur Lehre im Home-Office?

Platte: Extrem wichtig. Um online zu studieren, gibt es Fernunis – wir haben uns entschieden, in Präsenz zu studieren. Das Studium ist nicht nur dazu da, Wissen in sich reinzuprügeln. Das ist wichtig, keine Frage  – aber es ist nur ein Teil. Studium bedeutet auch Kontakte zu knüpfen, Erfahrungen zu sammeln, Freundschaften fürs Leben zu schließen. All das kann man nur machen, wenn man Leute trifft. In den Pandemiejahren sind Menschen in eine fremde Stadt gezogen und haben niemanden kennenlernen können. Das ist kein Studium, wie es sein sollte.

Schneider: Es ist aber auch wichtig, die Lehre, die wir online hatten, zu analysieren und zu erkennen, was gut war und was wir beibehalten können. An der Hochschule haben manche Module enorm profitiert, weil Onlinelehre es ermöglicht, Inhalte in kleineren Häppchen zu lernen. Dozierende können Stoffe auch ansprechender präsentieren. Es hat auch Prüfungsformate gegeben, bei denen man darüber nachdenken sollte, ob man sie nicht behalten sollte. Zum Beispiel sind Open-Book-Prüfungen gängige Praxis geworden und erfordern mehr Kenntnisse als stumpfes Auswendiglernen.

Mehr zum Thema

Ehrung

Mehrere Professoren der Universität Mannheim ausgezeichnet

Veröffentlicht
Von
Sebastian Koch
Mehr erfahren
Fehlendes Ehrenamt

Mannheimer Stadtjugendring besorgt: "Die Verbände müssen kämpfen"

Veröffentlicht
Von
Sebastian Koch
Mehr erfahren
Serie Ferienjobs

Rektorin der Hochschule Mannheim: "So bin ich zur Feministin geworden"

Veröffentlicht
Von
Sebastian Koch
Mehr erfahren

Haupt: Wir dürfen die Digitalisierung, die in den letzten Jahren notwendigerweise vorangetrieben worden ist, nicht von einem Semester aufs nächste wieder rückgängig machen. Wir müssen schauen, dass wir die positiven Online-Aspekte in die Präsenzlehre integrieren. Wir erleben aber jetzt schon, dass man sich etwa die Lizenz für das Statistikprogramm Stata, das in manchen Kursen verpflichtend ist, wieder für 80 Euro im Jahr kaufen muss. Während Corona hat man sich die Lizenz kostenlos über die Universität besorgen können, weil das für die digitale Lehre aus Landesmitteln finanziert worden ist. Die Mittel sind nicht mehr verfügbar. Man kann sich zwar auch an PC-Pools in der Uni setzen – flexibles Lernen schaut aber anders aus. Wir müssen uns auch Gedanken darüber machen, wie wir uns auf zukünftige Krisensituationen, etwa mögliche Energie- oder Corona-Lockdowns, vorbereiten, auch wenn es danach im Moment zum Glück nicht ausschaut. Für die Szenarien hat es vor Corona zu wenige Vorbereitungen gegeben. Die Erfahrungen aus den letzten Jahren haben gezeigt: Die nächste Krise kommt bestimmt.

Hat die Lehre aus der Pandemiezeit profitiert? Gibt es nach der Rückkehr in Präsenz zum Beispiel neue technische Formate – oder überwiegt wieder der klassische Frontalunterricht?

Haupt: Frontalunterricht ist keine Frage der Digitalisierung. Letztendlich müssen auch in Präsenz Dozierende entscheiden, wie sie Lehre aufbereiten. Dabei sind ihnen durch die Freiheit der Lehre wenig Grenzen gesetzt. Wir müssen uns fragen, wie wir die Vorteile der beiden Formate verbinden können. Bisher beobachten wir da eine gewisse Varianz unter Dozierenden: Manche sind schnell zur Lehre aus der Zeit vor Corona zurückgehrt, andere haben viel vom digitalen Angebot beibehalten. Eine Lösung, die für jeden Kurs oder jede Vorlesung funktioniert, gibt es nicht. Das müssen Dozierende entscheiden. Wichtig ist, dass es Raum für Feedback gibt.

Wie haben Sie den 24. Februar 2022, den Tag als Russland die Ukraine überfallen hat, in Erinnerung?

Platte: Ich habe gearbeitet und mein Vormittag war voll mit Besprechungen. Man hatte aber das Gefühl, dass die Leute gedanklich nicht wirklich anwesend waren. Wir haben darüber gesprochen und das Ergebnis war immer, dass niemand damit gerechnet hat, obwohl es sich ja doch abgezeichnet hatte. Ich erinnere mich an den Schock, dass sich die Welt an dem Tag verschoben hat.

Schneider: Ich war betroffen und schockiert. Ich muss aber zugeben, dass sich über das Jahr hinweg auch eine allgemeine Gleichgültigkeit eingeschlichen hat. Einerseits, weil die Fülle an schlechten Nachrichten auf den Magen geschlagen hat, andererseits weil die direkten Auswirkungen bei uns kaum spürbar sind. Man kennt zwar Menschen, die Geflüchtete aufgenommen haben – aber ansonsten leben wir hier unser Leben eigentlich weiter.

Welche Bedeutung hatte der 24. Februar für die Studentinnen und Studenten in Mannheim? Haben Sie wahrgenommen, dass sich Studenten und Studentinnen mit der Situation aktiv beschäftigen?

Haupt: Der Krieg hat uns allen zu denken gegeben und hatte Auswirkungen auf die internationale Lehre. Deshalb ist es für uns als Universität und als AStA wichtig, dass sich Ukrainerinnen und Ukrainer an unserer Uni sicher fühlen. Das muss aber auch für die Russinnen und Russen gelten, die bei uns in überwältigender Mehrheit genauso entsetzt wie wir über den Krieg sind. Es gibt Werte, die wir als AStA verteidigen müssen, obwohl wir politisch neutral sind. Die Werte müssen wir auch bei der Zusammenarbeit mit Universitäten in Russland verteidigen, die sich sehr regimetreu zeigen. Dass sich direkt nach dem 24. Februar mehr Studierende an uns gewandt haben, kann ich nicht beurteilen, weil ich noch nicht im Amt war.

An der DHBW und der Hochschule gibt es vergleichsweise weniger Ukrainerinnen und Ukrainer: Wie klappt das Zusammensein von Studentinnen und Studenten aus Russland und aus der Ukraine auf dem Uni-Campus?

Haupt: Unserer Kenntnis nach sehr konfliktfrei. Es ist nicht so, dass es Russinnen und Russen gebe, die in großer Mehrheit den Angriffskrieg befürworten. Im Gegenteil. Wir haben von einigen Lehrenden und Lernenden aus Russland mitbekommen, dass es ihnen hochnotpeinlich war, wenn sie Ukrainerinnen und Ukrainer in ihren Kursen begegnet sind. Sie haben gesagt, sie wüssten nicht, wie sie denen in die Augen blicken können. Deshalb war es wichtig, dass die Unileitung klar gemacht hat, man sei für Menschen aus der Ukraine genauso offen wie für Menschen aus Russland. Für Letztere muss aber gelten, dass die Befürwortung und Unterstützung eines Diktators, der mit Blut-und-Boden-Rhetorik einen brutalen Angriffskrieg führt, die Konsequenz hat, dass wir für sie an der Universität kein Platz mehr haben. Die Regelung gibt es – mir ist aber nicht bekannt, dass sie schon angewendet werden musste.

Interessensvertreter für fast 22.000 Studierende

  • Marco Haupt (23 Jahre) studiert an der Universität (etwa 11 000 Studentinnen und Studenten) im Master Politikwissenschaft. Er leitet gemeinsam mit Melina Arnold den AStA der Universität.
  • Hauke Platte (24) studiert an der Dualen Hochschule (DHBW) in Mannheim (etwa 5500). Seinen Praxispartner zum Studiengang Cyber Security hat er in Hamburg. Er gehört der Studierendenvertretung der DHBW Mannheim an. Beim Gespräch ist er für die verhinderten Vorsitzenden Pia Matt und Laura-Luisa Herpel eingesprungen.
  • Gustav Schneider (25) studiert an der Hochschule (etwa 5300) Soziale Arbeit. Er sitzt dem AStA der Hochschule vor. 

Der Krieg hat dramatische wirtschaftliche Folgen. „Wir werden alles dafür tun, dass wir unser Grundrecht auf Bildung wahrnehmen können – unabhängig davon, ob der Geldbeutel gut oder weniger gut gefüllt ist. Das muss einfach sein.“ Von wem stammt das Zitat?

Haupt: (lacht). Ich glaube, ich habe mal so etwas gesagt.

Richtig. Das haben Sie auch auf dem Schlossfest gesagt. Konnte man sein Grundrecht auf Bildung unabhängig vom Geldbeutel 2022 weniger wahrnehmen als in den Jahren davor? Oder hat es keine Unterschiede gegeben?

Schneider: Das Problem, dass im Grunde genommen alle Studierenden armutsgefährdet sind, ist ja nicht neu. Dementsprechend kann man immer darüber streiten, ob genug Geld da ist oder nicht. Die Notlagenhilfekommission, die an der Hochschule für die Verteilung entsprechender Unterstützung zuständig ist, ist bislang wenig nachgefragt worden. Die Frage ist aber insofern schwierig, weil ich keine Daten über die sozio-ökonomischen Hintergründe der Studierenden an der Hochschule habe.

Haupt: Ich wollte mit diesem Zitat eine Situation schildern, auf die alle hinarbeiten sollten. Als Studierendenvertretung haben wir dafür aber wenige Ressourcen. Wir können Positionen einbringen und Öffentlichkeitsarbeit machen. Wir wollen auch einen Schreibwarenladen eröffnen, in dem es kostenloses Büromaterial zum Lernen gibt. Die Frage ist, ob wir als AStA hauptverantwortlich für diesen Aspekt sind. Und da ist die Antwort ganz klar: Nein. Unsere Möglichkeiten sind begrenzt und wir sehen den Handlungsbedarf bei der Bundes- und Landespolitik. Das kann auch gerne über eine Einmalzahlung von 200 Euro mit der Gießkanne hinausgehen.

Im dualen Studium ist ein Gehalt inbegriffen. Trifft die Inflation duale Studenten also weniger stark?

Platte: Das Alleinstellungsmerkmal der DHBW ist, dass wir einen Praxispartner haben, der uns ein Ausbildungsgehalt zahlt. Die Inflation führt aber natürlich auch bei uns dazu, dass am Ende weniger Geld da ist. Wir müssen darauf achten, dass Auszubildende und Studierende bei Gehaltsangleichungen nicht vergessen werden. Eigentlich müssten Ausbildungsgehälter sogar stärker ansteigen als andere: Wenn ich sowieso weniger habe, ist es kritischer, als wenn ich schon 20 Jahre im Betrieb bin und was zurücklegen konnte. Aber ja: Im Vergleich zur Hochschule und Universität sind wir über unser Modell besser abgesichert.

Studierende bekommen vom Bund eine Einmalzahlung von 200 Euro. Das ist doch besser als nichts, Herr Haupt, oder? Beim ersten Hilfspaket sind Studentinnen und Studenten ganz vergessen worden.

Haupt: Es besteht trotzdem nicht unbedingt Grund zur großen Freude, nur weil dann doch mal an einen gedacht worden ist. Wir bekommen Zweidrittel von dem, was Rentnerinnen und Rentner bekommen – und die brauchen ihre Hilfen auch schon unbedingt.

Platte: Besser als nichts ist noch lange nicht gut.

Haupt: Uns fehlt im Moment leider die Datenlage, wie groß der Bedarf wirklich ist. Wir sehen vonseiten der Politik aber auch kaum Bemühungen, das aufzufangen. Wir haben immer das Gefühl, dass wir erst mitbedacht werden, wenn alle anderen schon längst dran waren. Ich warte auch immer noch auf die geniale Formel, mit der der studentische Bedarf errechnet worden ist und die am Ende genau 200 Euro für jede und jeden ergeben hat. Wir haben in den kommenden Monaten vor, eine eigene Sozialumfrage zu entwickeln, um einen Überblick zu bekommen, wie die Lage tatsächlich ist. In meinem Umfeld gehen die Verhältnisse jedenfalls weit auseinander. Die Bafög-Sätze sind unter dem Strich auch nahezu gleichgeblieben und für viele wird irgendwann der Tag X mit der Abrechnung für Strom und Heizung kommen, von der niemand weiß, wie hoch die ist. Viele Studierende glauben, dass sie kaum Rücklagen haben, mit der sie das bezahlen können. Das bittere an der Inflation ist, dass es nicht in erster Linie Immobilien oder Sportwägen trifft, sondern vor allem Nahrungsmittel und Energie.

Platte: Studierende geben schon ohne Inflation den größten Teil ihres Budgets für Essen, Miete und Heizung aus. Das sind die Bereiche, die stark von der Inflation betroffen sind. Man hätte mit dem Geld, das für die Einmalzahlung mit der Gießkanne verwendet wird, sinnvolleres machen können. Natürlich gibt es Studierende, die dringend 200 Euro und mehr brauchen. Und dann gibt es die, die einen gesicherten familiären Hintergrund haben, zu Hause wohnen und dual studieren. In die muss man keine 200 Euro investieren. Das Ziel sollte doch sein, denen zu helfen, die es wirklich brauchen.

Schneider: Wir haben das Problem, dass eine Einmalzahlung keine langfristige Unterstützung ist. Es muss eine langfristige und nachhaltige Unterstützung geben. Hilfspakete können das nicht leisten.

Newsletter "Guten Morgen Mannheim!" - kostenlos registrieren

Wo liegt das Problem? Sind der Politik die Nöte nicht klar oder zeigt sich, dass Studenten und Studentinnen eine schwache Stellung in der Gesellschaft haben – unabhängig von der Regierung?

Schneider: Ich behaupte mal, dass sich die Bundesregierung generell wenig um Menschen kümmert, die wenig Geld haben. Wir haben das bei den Hartz-IV-Reformen gesehen, bei denen es gute Ideen der SPD gegeben hat, die dann aber nur in gekürzter Form durchgekommen sind.

Platte: Die ewigen Diskussionen um die Bafög-Reformen – wann ist man berechtigt, wie viel sollte es geben, und so weiter – haben das auch gezeigt.

Schneider: Vor allem die Frage, was alles abgezogen wird.

Platte: Genau. Da haben wir gemerkt, dass die Prioritäten woanders liegen.

Schneider: Das betrifft die Schulpolitik genauso. Wenn man weiß, in welchem Zustand manche Schulen sind, rollen sich einem die Fußnägel hoch. Und bei den Universitäten geht es weiter.

Haupt: Es wäre wichtig, dass wir von dieser Pflastermentalität wegkommen. Es hilft nicht immer, ein Pflaster auf den Arm zu kleben, wenn der mal weh tut. Manchmal ist der Arm eben auch gebrochen. Dann hilft kein Pflaster, sondern es müssen langfristige Behandlungsmethoden her. Ja: 200 Euro sind mehr als nichts. Wir brauchen aber mehr Subventionen in sozialen Wohnungsbau oder bessere finanzielle Ausgangspositionen für die Lehre. Das würde noch viel mehr helfen.

Platte: Es wäre ein Ansatz, Studierendenwerken, die dafür da sind, bedürftige Studierende aufzufangen, mehr Mittel zur Verfügung zu stellen. Aktuell müssen sich Studierende mit den Werken gemeinsam überlegen, wie man zum Beispiel Essenspreise stabil hält. Das haben wir in Mannheim über eine geringe Erhöhung der Semesterbeiträge geschafft. Unser Studierendenwerk hat da einen guten Ansatz– wenn ich das mit anderen Studierendenwerken in Baden-Württemberg vergleiche, können wir uns in Mannheim sehr glücklich schätzen. Trotzdem müsste die Politik Studierendenwerke generell mehr unterstützen. Das sehe ich im Moment nicht.

Man liest auch in Mannheim, zum Beispiel in der Gastronomie, immer wieder, dass Aushilfen gesucht werden. Wo sind eigentlich die Studentinnen und Studenten in klassischen Studentenjobs? Der Bedarf, Aushilfskräfte zu beschäftigen, scheint ja vorhanden zu sein.

Haupt: Die Frage kann ich schwer beantworten, weil wir nicht wissen, wie viele tatsächlich einem Nebenjob nachgehen, und wenn ja, in welchen Bereichen. Es kann sein, dass die Gastronomie im Moment aus diesen und jenen Gründen unattraktiv ist. Ich habe aber nicht den Eindruck, dass die Leute trotz Inflation zu Hause rumsitzen, nicht arbeiten wollen und sich beklagen, dass zu wenig Geld da sei. Im Gegenteil. Ich kenne viele aus dem AStA und darüber hinaus, die neben dem Ehrenamt und dem Studium noch einem Nebenjob nachgehen. Wir werden den Punkt in der Umfrage abfragen.

Schneider: Ich habe das Gefühl, dass Studierende mittlerweile öfter in Jobs arbeiten, die nah an ihrem Studium dran sind. Vielleicht müsste sich die Gastro auch hinterfragen, wieso sie anscheinend an Attraktivität verloren hat. Aus finanziellen Gründen in der Gastro zu arbeiten, wenn man andere Möglichkeiten hat, ist sicherlich kein Anreiz.

Wie klappt die Auszahlung der Bafög-Sätze, die 2022 erhöht worden ist?

Haupt: Wir bekommen mit, dass die Bafög-Beratung, die unser Studierendenwerk anbietet, das Problem hat, dass eine Menge Arbeit da ist, aber es zu wenig Personal gibt. Der Geschäftsführer Peter Pahle hat mal erklärt, man brauche fast zwei Jahre, um als Fachkraft zu lernen, einen Bafög-Antrag alleine zu bearbeiten. Zwei Jahre! Weil die Anträge so kompliziert sind. In zwei Jahren kann man einen Master machen – oder lernen, wie man Bafög-Anträge bearbeitet. Das ist besonders an einer Universität wie unserer, an der überproportional viele Menschen Bafög beziehen, ein Problem.

Neben Krieg und Inflation hat die Debatte um Klimaschutz das Jahr bestimmt. Halten Sie es für angemessen, sich für Klimaschutz auf die Straße zu kleben?

Platte: Ich persönlich halte das für nicht angemessen, aber ich halte es auch für absolut nicht angemessen, wie man mit dem Thema umgeht. Darüber, ob es angemessen ist, weil gar nichts oder fast nichts in der Klimapolitik passiert, kann man sich streiten. Aber gerade die, die sich jetzt über die Aktionen beschweren, sind seit Jahren in Positionen und Ämtern, die es zu verantworten haben, dass wir in dieser Situation sind. Wenn man das Thema Klimaschutz langfristig und früh angegangen wäre, würde sich heute niemand auf die Straße zu kleben. Wenn man jahrelang in die falsche Richtung gelaufen ist oder vom Feldweg in den Wald abgebogen ist und da jetzt rumirrt, kann ich zumindest verstehen, warum Leute auf Ideen kommen. Wenn die dazu führen, dass sich etwas verändert, habe ich kein Problem damit. Das ist aber meine persönliche Meinung und hat nichts mit der Meinung der Gremien zu tun, die ich vertrete.

Haupt: Als AStA ist es unsere Aufgabe, alle Studierenden zu vertreten, was uns bei solch kontroversen Debatten zur Neutralität verpflichtet.

Das ist ja langweilig. Was halten Sie persönlich davon?

Haupt: Es ist uns allen klar, dass der Klimawandel die größte Herausforderung unserer Zeit ist. Und ziviler Ungehorsam an sich ist auch legitim. Die Frage ist, welche Formen angemessen sind. Das ist eine Gewissensfrage für das Individuum, aber auch eine gesamtgesellschaftliche. Ich gebe Hauke vollkommen Recht, dass die Debatte, die wir führen, komplett entglitten ist. Wir erleben, mit welcher Vehemenz gegen die „Klima-Kleber“ argumentiert wurde. Manche haben wahrscheinlich schon von Massenverhaftungen geträumt. Dann hat es die Razzia gegen die Reichsbürger-Szene gegeben und wir haben gesehen, wie die Feinde unserer Demokratie wirklich aussehen. Wir sollten wieder in einen konstruktiven Diskurs kommen, wie wir Klimapolitik machen können, die den hohen Anforderungen endlich konsequent begegnet.

Schneider: Meine Meinung ist, dass die Zeit für Verhandlungen vorbei ist. Es gibt keine konstruktive Debatte, die mit der Politik geführt werden kann. So, wie Politik aktuell gemacht wird, ist Klimaschutz, wie er gebraucht wird, nicht möglich. Die wirtschaftlichen Zwänge sind zu stark. Es macht auch keinen Sinn, wenn sich nur Deutschland entschließt, einen harten Kurs zu fahren, aber China und die USA weitermachen wie bisher. So lange es ein System gibt, in dem Jeff Bezos einfach mal zum Mond fliegen kann, wird es keinen Klimaschutz geben. Ich sehe aber nicht, wie sich das ändern kann.

Haupt: Klimaforschende warnen vor extremen Umbrüchen, die wir erleben werden: Massive Dürren, Millionen Klima-Flüchtende und Kriege um Ressourcen. Die Menschen, die sich auf die Straße kleben, machen das nicht aus Freude an destruktivem Verhalten, sondern aus der nackten Verzweiflung heraus. Die Frage, ob die Aktionen, die wir erleben, einen positiven Beitrag leisten, ist eine andere. Es ist aber wichtig und es sollte uns bewusst sein, dass es um reale Ängste vor der Zukunft geht, die unsere Generation in Teilen noch mitbekommen wird, die aber die Generation nach uns vor allem erleben wird.

Das Thema Klimaschutz spielt auch an Mannheims Hochschulen eine immer stärkere Rolle. Wenn Sie auf die Entwicklungen 2022 schauen: Wo haben da Ihre Hochschulen Fortschritte gemacht und wo sehen Sie Handlungsbedarf für 2023?

Schneider: Bei allem Pessimismus muss ich sagen, dass es diesbezüglich an der Hochschule eigentlich ganz gut ausschaut. Wir haben einen sehr aktiven Arbeitskreis Nachhaltigkeit und haben von der Leitung bewilligt bekommen, dass es ein Green Office geben wird, das sich um Klimaschutz und Nachhaltigkeit kümmert. Bald wird auch alles Papier an der Hochschule Recycling-Papier ist sein. Man fragt sich, warum jetzt erst – es war aber tatsächlich ein harter Kampf, da hinzukommen. Insofern hat 2022 mehr Entwicklung gebracht als ich erwartet hatte. Im nächsten Semester wechseln Kanzlerin und Rektorin. Da kann es natürlich passieren, dass das alles wieder revidiert wird. Aber ich bin optimistisch.

Platte: Alles, was Herr Schneider angesprochen hat, ist das, wovon wir an der DHBW Mannheim träumen. Ich darf mir regelmäßig anhören, dass wir eine total nachhaltige Hochschule sind. Wenn es dann aber um Details geht, wird erzählt, dass wir ja nicht als Hochschule nachhaltig sein müssen, sondern wir Studierende nur ausbilden müssten, wie man in Zukunft nachhaltig sein kann. Klar, das ist ein wichtiger Teil, den man in die Lehre einbauen kann. Wir haben aber auch das Green Office regelmäßig mit unserem Rektorat als Thema – wir bekommen das nicht. Wir haben einen Arbeitskreis Nachhaltigkeit. Wenn wir den studentischen Vertreter bei unseren Treffen dann fragen, was das Fazit der Sitzungen des Arbeitskreises ist, heißt es nur: „Es wächst." Aber es passiert nichts. Einen Klimaschutzmanager teilen wir uns auch nur mit mehreren Hochschulen.

Schneider: Die Stelle teilen wir uns auch.

Platte: Wir haben in unseren Augen teilweise ganz einfache Vorschläge gemacht und um etwas Geld dafür gebeten. Es ist kein Geld da. Alles, was Herr Schneider gesagt hat, fehlt bei uns.

Haupt: Wir haben an unserer Universität eine Nachhaltigkeitsmanagerin, von der ich 2022 nur Positives berichten kann. Sie versucht immer, uns mit an Bord zu holen,  unsere Interessen zu berücksichtigen und geht aktiv auf uns zu. Das ist bei anderen Menschen in der Universitätsverwaltung so nicht immer der Fall. Ich denke, als Uni sind wir beim Thema Nachhaltigkeit auf einem guten Weg. Wir nutzen auch die intellektuellen Möglichkeiten, die sich uns bieten. Der AStA hat in dem Semester zum Beispiel eine fächerübergreifende Ringvorlesung finanziert, um Fragen zum Klimawandel zu diskutieren. Auch das Thema Nachhaltigkeit macht sich mehr und mehr in Lehrplänen bemerkbar, sei es in der BWL, in der Rechtswissenschaft oder in der Politikwissenschaft. Das ist ein sehr guter Ansatz, von dem es aber sicher auch noch mehr braucht.

Stichwort Nachhaltigkeit. Herr Haupt, was halten die Uni-Studentinnen und Studenten, die Sie vertreten, unter diesen Gesichtspunkten von der Entscheidung zur Bebauung des Friedrichsparks, die auch 2022 vom Gemeinderat genehmigt worden ist?

Haupt: Wir sehen die Notwendigkeit, dass die Universität zusätzliche Gebäude braucht, weil die bestehenden renoviert und etwa der Brandschutz überarbeitet werden müssen. Deshalb ist es wichtig, dass wir Vorlesungssäle haben, wenn ein Flügel der Universität geschlossen wird. Der Weg, den wir gehen, ist grundsätzlich sinnvoll. Aber Nachhaltigkeit sollte bei den neuen Gebäuden natürlich Thema sein: Wie bekommen wir die Gebäude vernünftig gedämmt? Wie schaut es mit der Energieeffizienz aus? Wie können wir Grünflächen bewahren? Grundsätzlich überwiegen die Vorteile die Nachteile.

Der AStA ist also zufrieden, dass der Gemeinderat den Plänen der Uni zugestimmt hat?

Haupt: Zufriedenheit legt ja immer einen gewissen Enthusiasmus nahe …

… Sie sprechen wie ein Spitzenpolitiker (lacht). Sind Sie nun zufrieden?

Haupt: (lacht). Wir bewerten die Bebauung grundsätzlich positiv, werden aber darauf achten, dass Nachhaltigkeitsaspekte im weiteren Verfahren eine große Priorität haben.

Platte: In dem Bereich kann ich die DHBW Mannheim loben. Wir sind da gezwungenermaßen nachhaltig, weil wir Neubauten vom Ministerium gar nicht erst bewilligt bekommen. Wir bekommen auch keine Gelder zur Verfügung gestellt. Wir haben viel zu wenig Platz, fast keine studentischen Lernräume und können Renovierungen nicht durchführen, weil Gebäude nur gemietet sind. Unser Rektorat und wir stehen voll hinter geplanten Projekten für Um- oder Neubauten – aber das Ministerium bewilligt nichts. Deshalb sind wir in dem Punkt nachhaltig, haben aber eben bald keine Räume mehr (lacht).

Was erhoffen sich Mannheims Studentinnen und Studenten von 2023?

Schneider: Wenn wir die ganz großen Probleme mal ausklammern, schauen die Studenten und Studentinnen der Hochschule positiv auf das nächste Jahr: Wiederbelebtes Campusleben oder Fortschritte bei der Nachhaltigkeit. Wir haben uns von Corona erholt. Ich schaue positiv auf 2023!

Platte: So gerne ich das bin – ich habe gemischte Gefühle. Es gibt viele Themen, die drängen und über die wir jetzt auch gesprochen haben. Wir wünschen uns mehr Veränderungswillen. Dann kann 2023 ein super Jahr werden. Wenn es aber so weiter geht wie bisher und Veränderungen nur schnell durch Pandemien stattfinden, aber sonst nicht, wird man sehen wie es läuft. Was die DHBW betrifft, haben wir eine neue Präsidentin, bei der wir gute Ansätze, Ziele und Visionen sehen. Im zweiten Jahr muss sich jetzt zeigen, wie diese Dinge umgesetzt werden.

Haupt: Ich versuche vorsichtig zuversichtlich zu sein. Das hätte ich aber auch Ende letzten Jahres gesagt und danach hat sich gezeigt, wie viele Entwicklungen unverhofft und unerwartet kommen. Vielleicht passieren ja aber auch mal unerwartet gute Dinge. Studieren muss 2023 endlich krisenfest gemacht werden – und zwar langfristig.

Redaktion Reporter in der Lokalredaktion Mannheim & Moderator des Stotterer-Ppppodcasts

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen