Interview

Polizeipsychologin: So belastend ist es, schießen zu müssen

Mannheimer Polizeipsychologin Anna Koch darüber, wie belastend es für Polizisten ist, auf jemanden schießen zu müssen und was es mit Beamten macht, wenn sie wie nach dem tödlichen Einsatz am Marktplatz, alle in der Kritik stehen

Von 
Lisa Uhlmann
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Vorverurteilt und alle Beamte unter Generalverdacht? Nach dem tödlichen Polizeieinsatz am Marktplatz demonstrieren Menschen gegen Polizeigewalt. © dpa

Polizisten und Polizistinnen müssen in heiklen Situationen – wie etwa beim tödlichen Einsatz auf dem Mannheimer Marktplatz – oft in Millisekunden folgenschwere Entscheidungen treffen. Polizeipsychologin Anna Koch vom Polizeipräsidium Mannheim spricht darüber, wie belastend es ist, auf jemanden schießen zu müssen und warum sich Ordnungshüter bei Fehltritten gleich zweifach verantworten müssen.

Frau Koch, wie gehen Polizeibeamte damit um, wenn sie nach einem Einsatz angezeigt oder beschuldigt werden, falsch gehandelt zu haben?

Anna Koch: Es ist gar nicht so selten, dass Polizistinnen oder Polizisten von Bürgern angezeigt werden. Die Staatsanwaltschaft entscheidet dann, ob ein Verfahren eröffnet wird. In den meisten Fällen bekommen das die Beamten selbst gar nicht mit. Das ist auch gut so, denn das ist ein großer Stressfaktor und sehr belastend. Es schützt die Beamten auch vor ungerechtfertigten Anschuldigungen. Sobald aber Zweifel am Handeln der Beamten bestehen, werden die Betroffenen informiert. Wenn das passiert, bieten wir Polizeipsychologen unsere Hilfe an.

Anna Koch

  • Anna Koch hat 2018 den Master of Science in Psychologie abgeschlossen.
  • Zuvor und auch während des Studiums hat Koch viele Jahre als Krankenschwester gearbeitet.
  • Seit 2019 arbeitet sie beim Polizeipräsidium Mannheim als Polizeipsychologin

Wie oft kommt es vor, dass Beamte etwa Schuldgefühle plagen, wenn sie im Einsatz Gewalt angewendet haben?

Koch: Das Wort Schuldgefühle passt hier nicht, denn da entsteht der Eindruck, die Polizisten laufen herum und wenden wahllos Gewalt an. Aber in der Regel handeln sie reaktiv, das heißt, sie reagieren lediglich auf eine Situation. Erst wenn alle anderen deeskalativen Strategien erfolglos sind, wird unmittelbarer Zwang angewendet. Sehr oft fragen sich die Beamten dann im Nachgang: „Hätte ich etwas anderes machen können, um die Gewaltanwendung zu verhindern?“ Selbst dann noch, wenn klar ist, dass sie sich auch rechtlich gesehen völlig korrekt verhalten haben.

Wie reagieren Polizeibeamte darauf, wenn gegen sie ein Disziplinarverfahren läuft?

Koch: Oft ist das Disziplinar- auch mit einem strafrechtlichen Verfahren gekoppelt. Das bedeutet für die Beschuldigten: Sie müssen sich zweifach verantworten: Zum einen privat vor Gericht. Zum anderen am Arbeitsplatz, wo sie Konsequenzen fürchten müssen – die reichen vom Gespräch bis zur Entlassung. Das ist sehr stresshaft und belastend. Meistens ziehen sich solche Verfahren über Monate hin. Monatelang nicht zu wissen, wie es weiter geht, sowohl privat, aber auch dienstlich, ist sehr sehr schwierig.

Wie helfen Sie bei solchen Fällen?

Koch: Ziel ist es, Normalität zu schaffen. Also dass es normal ist, wenn Symptome auftreten wie Schlaflosigkeit, Flashbacks oder Gedankenkreisen. Manchmal wird Polizisten wenig Menschlichkeit zugesprochen – man glaubt, sie stecken das einfach so weg. Tatsächlich sind diese Menschen auch sehr kompetent darin, denn sie erleben deutlich mehr als andere. Aber auch Polizisten müssen Erlebtes verarbeiten, dabei helfe ich. Und ich kläre darüber auf, dass sich diese Symptome irgendwann abschwächen sollten. Wenn das nicht der Fall ist, sollte man sich weitere Unterstützung suchen.

Wie genau helfen Sie, wenn Polizisten ihre Dienstwaffe gebraucht und jemand damit verletzt oder sogar getötet haben?

Koch: Dass man manchmal die Waffen ziehen muss, gehört zum Berufsalltag, das ist Teil der Eskalationsstufen, zwischen denen sich die Beamten bewegen. Wenn dann tatsächlich abgedrückt wird, werde ich immer eingeschaltet.

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Ist es also immer eine psychische Belastung, wenn man schießen muss?

Koch: Wenn absehbar ist, dass selbst das Androhen von Schüssen nichts bewirkt, je länger diese Hängepartie dauert, umso belastender ist der Einsatz. Dann beginnen die Gedanken zu rasen, wird durchgespielt, welche weiteren Möglichkeiten es noch gibt, wer da eigentlich vor mir steht. Diese Situation ist nicht vergleichbar mit Übungen im Schießstand. Das läuft nicht ab wie in Hollywoodfilmen, in denen man in aller Ruhe auf das Bein des Angreifers zielen kann. Alles geht ganz schnell, da bleibt keine Zeit zu zielen, es musss geschossen werden. Der Schütze muss davon ausgehen, dass der Schuss tödlich sein könnte. Zu wissen, dass ich gleich mit meiner Handlung jemanden töten oder verletzten kann – das ist nicht trainierbar.

Spielt es da eine Rolle, ob man sich selbst verteidigt oder andere schützen will?

Koch: Es gibt ganz klare rechtliche Reglungen, ab wann unmittelbarer Zwang angewendet werden darf. Da gibt es keinen Ermessensspielraum für einzelne Polizisten. In den Gesprächen, die ich nach solchen Einsätzen führe, höre ich sehr häufig die Einstellung: „Um mich ging es nicht. Ich wollte den Kollegen schützen oder die Familienangehörigen.“ Obwohl Eigenschutz bei der Polizei enorm wichtig ist, geht es den meistens nicht um sich selbst, sondern um den Schutz der Anderen.

Was beschäftigt diejenigen, die Sie betreuen, am häufigsten?

Koch: Häufig fragen sich die Einsatzkräfte später auch, warum ihr Gegenüber so reagiert hat. Der Anwendung von unmittelbarem Zwang gehen schließlich viele Deskalationsversuche voraus. Erst wenn nichts mehr hilft, wird die Waffe gezogen. Aber es wird nicht einfach plötzlich abgedrückt, sondern mehrfach von verschiedenen Polizisten laut und deutlich angekündigt. Deshalb fragen sich viele: Wieso hat die Person auf diese deutlichen Warnungen nicht reagiert?

Psychisch Kranke etwa können solche Warnungen oft gar nicht mehr wahrnehmen, die Gefahr nicht mehr einschätzen …

Koch: Das gibt es durchaus. Es gibt aber auch Fälle, da wollen sie es vielleicht nicht ernst nehmen. Dafür gibt es den Begriff „Suizid durch Polizisten“. Dabei haben die betroffenen Beamten das Gefühl: Ihr Gegenüber wollte, dass man schießt. Meistens konnten sie diese Personen aber doch überwältigen, ohne die Dienstwaffe zu benutzen.

Sobald der Vorwurf von Polizeigewalt im Raum steht, werden die Beschuldigten schnell verteufelt. Was macht das mit den Polizisten?

Koch: Was schwierig ist, ist der Umgang der Bürger mit der Polizei. Oft wird da nicht von einzelnen Polizisten gesprochen, sondern von „der Polizei“. Da werden dann alle unter Generalverdacht gestellt. Es fällt auf, dass es gefühlt mehr Widerstand gegen die Polizei gibt. Was wiederum den Polizisten zu schaffen macht. Sie haben nicht mehr das Gefühl, dass Einzelne für ihr Fehlverhalten im Dienst bestraft werden, sondern alle.

Haben einige deshalb auch Angst, sich im Einsatz falsch zu verhalten?

Koch: Gerade wenn Gewalt angewandt wird – was in den meisten Fällen rechtlich begründet ist –, wird sofort nach jeglichem Fehlverhalten bei den Beamten gesucht. Kommen Handyaufnahmen dazu, wird schnell ein Urteil gefällt. Solche Ausschnitte zeigen aber oft nur die Gewalt und nichts, was davor passiert ist. Etwa, dass der Polizist zuvor 30 Minuten lang versucht hat, auf sein Gegenüber einzureden. Gleiches gilt für unzählige Fälle, in denen Polizisten geschlagen, bespuckt, beschimpft werden. Auch die unzähligen Fälle, in denen alles gut geht, finden keine Beachtung.

Wie schwierig ist es für Beamte, später zurück in den Dienst zu kommen?

Koch: Es gibt Fälle von posttraumatischen Belastungsstörungen, auch wenn die polizeipsychologische Betreuung versucht, genau das zu verhindern. In Einzelfällen aber passiert das. Ausschlaggebend sind oft die Umstände drumherum. Dazu zählt beispielsweise auch, dass Klarnamen der betroffenen Beamten im Internet auftauchen. Ihre Namen sind für immer im Netz zu finden. Selbst wenn ihre Unschuld bewiesen wurde, bleibt offen, ob manche das so akzeptieren. Einige Beamte haben Angst, dass ihr Auto beschmiert, die Reifen zerstochen oder sie selbst beschimpft werden.

Ist das schon passiert?

Koch: Ja. Da gibt es Menschen, die sich nicht vor Straftaten scheuen, um ihren Unmut loszuwerden. Es gibt immer wieder Fälle, in denen Polizistinnen und Polizisten sogar privat aufgesucht werden. Die Täter vergessen hierbei oft: Wer heute einen Polizisten oder eine Polizistin beschimpft, der benötigt vielleicht schon morgen ihre Hilfe.

Redaktion Seit 2018 als Polizeireporterin für Mannheim in der Lokalredaktion.

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