Podiumsdiskussion

Podiumsdiskussion in Mannheim: Jüdische Menschen haben Angst

"Der islamistische und der linke Antisemitismus sind explodiert." Bei einer Podiumsdiskussion der SPD in Mannheim ging es um das veränderte jüdische Leben in Deutschland. Demos als auch Solidarität hätten zugenommen

Von 
Katja Geiler
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Für viele Jüdinnen und Juden in Mannheim ist die Jüdische Gemeinde Mannheim ein „zweites Zuhause“. © Thomas Tröster

Mannheim. Seit dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober hat sich das Leben von Jüdinnen und Juden in Deutschland drastisch verändert. Bedrohungen, Desinformationen - vor allem in Sozialen Medien, anti-israelische Demos, aggressive Schmierereien und ein vereitelter Angriff auf die Heidelberger Synagoge im Mai bereiten den Menschen jüdischen Glaubens Angst und Unsicherheit.

Wie unter diesen Umständen ein sicheres Leben möglich ist, darüber gab es eine Podiumsdiskussion in der Jüdischen Gemeinde Mannheim, veranstaltet vom Arbeitskreis Christinnen und Christen in der SPD Baden-Württemberg.

Landtag steht hinter der jüdischen Gemeinschaft

„Der 7. Oktober ist ein Ereignis, das nachwirkt“, sagte Stefan Fulst-Blei (MdL) zur Eröffnung der Runde. „Wir lassen die jüdischen Mitbürger nicht allein. Im Landtag sind wir eins. Wir setzen uns auch für den deutsch-israelischen Schüleraustausch ein.“

Daniel Born, regionspolitischer Sprecher der SPD, moderierte das Podium, bestehend aus Heidrun Deborah Kämper, Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Mannheim, Cornelia Leah D’Ambrosio, Vorsitzende der Studierendenvertretung der Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg, Amnon Seelig, Kantor der Jüdischen Gemeinde Mannheim, und Jona David Pawelczyk-Kissin, Rabbiner der Jüdischen Kultusgemeinde Heidelberg und für den Rhein-Neckar-Kreis. Für Musik sorgte Pinchas von Piechowski, erster Geiger im Orchester des Mannheimer Nationaltheaters.

Auf die Frage, wie sie die Spannungen seit dem 7. Oktober erlebe, antwortete Kämper: „Es gibt viele Solidaritätsbekundungen, noch nie hatten wir so viele Synagogen-Führungen. Aber auf der Straße sind die Demos - in einem Ausmaß … Ich verstehe nicht, dass die Stadt so etwas erlaubt.“

Amnon Seelig (v. l.), Heidrun Deborah Kämper, Daniel Born, Cornelia Leah D’Ambrosio und Jona David Pawelczyk-Kissin tauschten sich aus. © Katja Geiler

An Pfingsten zum Beispiel gab es ein Camp von pro-palästinensischen Gruppen auf dem Marktplatz, nicht weit entfernt von der Jüdischen Gemeinde. „Das Camp hat uns Angst gemacht“, sagte die Vorsitzende.

Auch die lautstarken, bedrohlich wirkenden Demos der Gruppen ziehen stets am Marktplatz vorbei. „Hier drinnen geht das jüdische Leben weiter, was sich ändert, wenn wir rausgehen. Aber wir können uns auf die Polizei verlassen.“

Universitäten in Baden-Württemberg von "Welle des Antisemitismus eingeholt"

Auf Borns Frage, ob sich der Anschlag vom 7. Oktober auch auf Musik und Kunst ausgewirkt habe, antwortete Seelig, der Anschlag sei auch symbolisch gegen junge Leute, die zur Musik feiern möchten, gerichtet: „Ich kenne eine Frau, die auf dem Nova-Festival war. Sie hat überlebt, braucht aber psychologische Betreuung. Andere Überlebende kamen nicht zurecht und haben sich das Leben genommen.“

Von der Lage an der Universität Heidelberg berichtete D’Ambrosio: „Die Welle des Antisemitismus hat uns an den Unis eingeholt. In Baden-Württemberg intensiviert es sich noch, es ist noch mehr zu erwarten. Wir als Studenten haben nicht die Mittel, dagegen vorzugehen. Wo die rote Linie ist, ist nicht klar.“

Es gibt an den Unis Schmierereien, die zur Gewalt aufrufen, Protest-Camps und Demos, bei denen Hamas, Hisbollah und Huthis gefeiert werden. Man frage sich, ob jemand von den eigenen Kommilitonen bei den Sympathisanten dabei ist. „Manche jüdische Studierende halten es nicht mehr aus und wollen nach Israel“, so D’Ambrosio. „Man muss zwar über den Islamismus reden, darf aber die muslimischen Gemeinden nicht zum Feindbild machen.“

Kämper: "Islamistischer und der linker Antisemitismus sind explodiert"

Oft verbinde man Antisemitismus mit Rechtsextremen - eine fatale Fehleinschätzung. „Der islamistische und der linke Antisemitismus sind explodiert. Wir müssen in Mannheim über diese Themen sprechen“, sagte Kämper. „Wir leben in Trägheit, der Antisemitismus ist an rechts festgeklebt, aber faschistoide Tendenzen gibt es in allen Spektren“, sagte Pawelczyk-Kissin. „Man muss schauen, wen man als Antisemitismus-Beauftragten wählt, und wenn man etwas hört, sollte man was dagegen sagen, das gilt vor allem für nicht-jüdische Personen.“

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Althergebrachte Vorurteile und Verschwörungstheorien tauchen wieder auf und finden ihre Verbreitung im Internet. „Ich möchte es nicht Antisemitismus nennen, sondern Judenhass“, sagte Kämper. „Es sind Stereotype und Vorurteile, die immer da waren. Etwa 20 Prozent der Gesellschaft in Deutschland sind antijüdisch eingestellt. Man kann es nicht auf die Rassismus-Schiene setzen, denn es ist anders, komplexer.“

Parolen und Schmierereien haben keine Konsequenzen und fallen unter die Meinungsfreiheit. „In den nächsten Jahren zeichnet sich ab, ob Juden in Deutschland eine Heimat haben“, sagte D’Ambrosio.

Freie Autorin Ich schreibe für alle Mannheimer Stadtteile und für Viernheim

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