Interview

Mannheims Uni-Rektor Puhl: "Hochschulen sind keine Orte des Antisemitismus"

Thomas Puhls Amtszeit als Mannheimer Unirektor endet am 30. September. Im "MM"-Interview zieht er Bilanz seiner ereignisreichen Amtszeit und erklärt, warum er es für falsch hält, israelische Hochschulen zu boykottieren

Von 
Sebastian Koch
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Thomas Puhl ist seit Oktober 2018 Rektor der Uni Mannheim. Am 30. September 2024 endet seine Amtszeit © Michael Ruffler

Mannheim. Herr Puhl, am Mittwoch sind Sie das letzte Mal als Rektor Gastgeber des Universitätstags. Freuen Sie sich, wenn Ihre Amtszeit am 30. September endet?

Thomas Puhl: Ich bin vor allem dankbar für die sechs Jahre, die ich Rektor dieser Universität sein durfte, und die sechs Jahre davor, die ich Prorektor war. Die zwölf Jahre sind unheimlich lehrreich gewesen. Ich habe erfahren, wie bunt und vielfältig unsere Universität ist, und wie sie von der Kommunalpolitik über die Bundespolitik bis in die internationale Politik hinein verwurzelt ist. Eben erst hatte ich eine Schalte mit dem Deutschen Akademischen Austauschdienst zur Frage, wie wir uns zu China positionieren oder zu Boykottaufrufen zu israelischen Universitäten stehen. Kurzum: Die Herausforderungen sind vielfältig. Thomas Fetzer kennt die Universität aber auch bestens und hat an ihrer Entwicklung maßgeblich mitgewirkt. Das ist eine optimale Besetzung, an die ich das Rektorenamt mit absolut ruhigem Gewissen übergeben kann.

Die sechs Jahre waren ereignisreich. Die Auswirkungen der Pandemie haben die Uni wegen ihrer anderen Semesterzeiten noch unmittelbarer als andere getroffen. Der Angriff Russlands auf die Ukraine hat Auswirkungen gehabt, weil die Uni mit Partnern in Russland und Belarus gearbeitet hat. Der Krieg im Nahen Osten stellt auch Hochschulen vor Herausforderungen. Und zuletzt wurde in Mannheim ein Mann in einem Hörsaal der Uni erschossen, nachdem er dort Menschen mit einer Machete bedroht hat. Welche Herausforderung hat Ihnen am meisten Kopfzerbrechen bereitet?

Puhl: Die Pandemie war der größte Einschnitt - in vielerlei Hinsicht. Auf der einen Seite ist in dieser Zeit das Vertrauen in die Wissenschaft gestiegen. Auf der anderen Seite gab es viele, die Vertrauen verloren haben. Das hing teilweise auch mit einer politischen Instrumentalisierung zusammen. In dieser Zeit ist aber auch deutlich geworden, dass Wissenschaft nie endgültige Erkenntnisse liefern kann, sondern sich immer in einem Prozess der Wahrheitsfindung befindet. Da müssen scheinbare Erkenntnisse auch mal wieder über den Haufen geworfen werden. Das zu akzeptieren, ist nicht leicht. Insgesamt hat die Wissenschaft aber gerade in der Corona-Krise gezeigt, wie wichtig sie ist. Niemand hätte damit gerechnet, dass es gelingt, innerhalb von Monaten einen Impfstoff zu entwickeln. Das war ein großer Erfolg, der Interesse geweckt hat. Das bedeutet, dass Wissenschaft transparenter arbeiten muss. Menschen wollen wissen, was hier passiert und wofür sie Steuern zahlen.

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Als Rektor mussten Sie in Mannheim die wissenschaftliche Lehre von heute auf morgen digitalisieren.

Puhl: Weil wir andere Semesterzeiten haben als der Rest Deutschlands, hat uns der Lockdown mitten in der Vorlesungszeit getroffen. Wir sind stolz darauf, wie uns die Umstellung gelungen ist. Keine Veranstaltung oder Prüfung hat ausfallen müssen. Natürlich hat es Verschiebungen gegeben. Insgesamt aber sind wir gut durch diese Zeit gekommen. Wegen der Semesterzeiten waren wir auch Vorreiter in ganz Deutschland, als wir mit dem Hörsaalpass wieder Präsenzlehre angeboten haben.

Wie groß war damals Ihre Sorge?

Puhl: Die hatten wir natürlich. Das Miteinander in Hörsälen oder in der Bib war ein Risiko. Letztlich hat unser Konzept, von dem wir überzeugt waren, funktioniert. Uns macht aber nach wie vor die Situation vieler Studierender zu schaffen. Wir hatten während der Pandemie – übrigens bundesweit – teilweise einen drei Mal so hohen Bedarf in psychologischen Beratungsstellen. Der Bedarf hält an. Menschen haben enorm gelitten und tun dies bis heute.

Noch bis 30. September Rektor

  • Thomas Puhl, 1955 in Bonn geboren, studierte Rechtswissenschaften in Bonn und Genf und ließ sich 1995 in Heidelberg habilitieren.
  • Seit 1995 ist Puhl an der Uni Mannheim, seit 1999 als Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht und Steuerrecht. Seit 2018 ist Puhl Rektor der Universität, nachdem er zuvor sechs Jahre lang als Prorektor für Studium und Lehre agierte.
  • Ende Januar haben Senat und Universitätsrat in einer gemeinsamen Sitzung den Juristen Thomas Fetzer zum neuen Rektor gewählt. Puhl kandidierte aus Altersgründen nicht mehr für eine zweite Amtszeit.
  • Die Mitglieder des Deutschen Hochschulverbandes zeichneten Puhl 2022 als "Rektor des Jahres" aus. 2021 und 2024 wurde Puhl im Ranking Zweiter, 2023 Dritter.
  • Puhl war zwischenzeitlich zudem Vorsitzender der Landesrektorenkonferenz.
  • Seine Amtszeit endet am 30. September. Von 1. Oktober an steht dann Fetzer an der Spitze der Universität. Fetzer wurde 1974 in Mannheim geboren.

Dabei hat man den Eindruck, dass mittlerweile alles wieder fast normal läuft.

Puhl: Man muss dabei viele Faktoren beachten, die teilweise ineinandergreifen. Viele haben verlernt, wie man in einer Gesellschaft ohne Bildschirm und Maske lebt. Wenn ich morgens mit der S-Bahn von Heidelberg nach Mannheim fahre, sehe ich viele Menschen, die in Gruppen sitzen. Aber anstatt sich zu unterhalten, starren sie nur auf ihre Handys. Wir haben verlernt, Beziehungen aufzubauen. Gerade bei jungen Menschen kommen dann vielleicht noch finanzielle Probleme oder andere Überforderungen dazu. Viele Folgen der Pandemie sind noch nicht bewältigt.

Eine Folge war die Umstellung der Lehre auf Digitalisierung. Ist das die Zukunft der Lehre?

Puhl: Wir sind nach wie vor der Überzeugung, dass interaktive Veranstaltungen der Kern der Lehre sein müssen. Das bedeutet, dass man sich nicht nur berieseln lassen und alles auswendig lernen darf. Menschen müssen sich in Auseinandersetzungen behaupten und lernen, Meinungen und Thesen zu vertreten. Nur so gelingt ein Diskurs, der der Kern der Lehre ist. Dabei kann Digitalisierung helfen, wenn Sie an den internationalen Austausch denken. Als Universität Mannheim sind wir mit acht anderen Universitäten zu einer europäischen Universität verbunden. Ohne Digitalisierung wären gemeinsame Veranstaltungen nicht möglich. Die digitalisierte Lehre darf aber nicht dazu führen, dass Menschen nur noch von zu Hause aus lernen. Das führt genau in die Isolation, die man in der S-Bahn beobachten kann. Da müssen wir eine Strategie finden, um einen Mittelweg zwischen Präsenz- und digitaler Lehre zu finden.

Wie gelingt das?

Puhl: Wir müssen Hörsäle mit mobilen Wänden so gestalten, dass man schnell vom Frontalunterricht zu Gruppenarbeit switchen kann. Wir brauchen Räume, in denen man an hybriden Seminaren teilnehmen kann oder in denen mehrere Menschen in akustisch so ausgestalteten Bereichen sitzen, um an verschiedenen Seminaren teilnehmen. Zum Teil setzen wir das bereits um. Diese Pläne bergen gerade in einem Schloss technische und bauliche Herausforderungen. Das oberste Ziel muss aber sein, dass wir alle wieder auf den Campus zurückholen – egal, ob sie an Präsenz-, Hybrid- oder Online-Veranstaltungen teilnehmen. Studierende und Dozierende müssen in der Mensa zusammen essen oder in der Bibliothek zusammen arbeiten.

Aus Sicht der Universität war es ein Erfolg, dass Sie als Rektor den Gemeinderat überzeugt haben, einen Teil des Friedrichsparks zu bebauen. Die Entscheidung war aber nicht gleichbedeutend mit einem Ende der Debatte darum. Nach wie vor gibt es auch Kritik.

Puhl: Als Universität brauchen wir Bestands- und Entwicklungsmöglichkeiten. Wenn wir keine Hörsäle haben, die multipel einsetzbar sind, haben wir im internationalen Vergleich keine Chance. In den USA sind solche Säle mittlerweile Standard. Diese Bedingungen sind uns, das muss man so offen sagen, überlegen, wenn man nicht nur Studierende, sondern auch gute Dozierende finden will. Wir brauchen die Gebäude im Friedrichspark auch, weil wir das Privileg haben, in einem Schloss sein zu dürfen. Dass das ein Privileg ist, will ich betonen. Welche Universität hat so eine tolle Heimat? Ein Schloss muss aber auch saniert werden. Um Brandschutz oder Barrierefreiheit hat man sich vor Jahrzehnten wenig bis gar nicht gekümmert. Vor allem beim Brandschutz gibt es Nachholbedarf. Da muss man teilweise in die Bausubstanz eingreifen, zum Beispiel um Decken zu stabilisieren. Allein im Ostflügel gibt es 20 Hörsäle. Um die zu ersetzen, brauchen wir Ausweichmöglichkeiten. Nicht für Büros. Die bekommen wir immer irgendwo unter. Wir brauchen Platz für Hörsäle. Die Gebäude im Friedrichspark sind die Voraussetzung dafür, dass das Schloss saniert werden kann.

Als das Land nun mitgeteilt hat, dass das zweite Gebäude aus finanziellen Gründen derzeit nicht gebaut werden kann, hatte man den Eindruck, der Brandschutz sei nicht mehr ganz so dringlich.

Puhl: Das ist er nach wie vor. Der Brandschutz und die Aussicht, dass das Gebäude erst in ein paar Jahren gebaut wird, zwingen uns zu Maßnahmen, die unwirtschaftlich sind. Wir müssen Brandmeldeanlagen erneuern, die nach ein paar Jahren wieder verschrottet werden, wenn die Generalsanierung stattfindet.

Braucht es aber wirklich noch ein zweites Gebäude oder reicht das eine aus?

Puhl: Wir brauchen das zweite Gebäude, um Bedarfe zu decken. Uns wäre daran gelegen gewesen, dass die Gebäude zeitgleich gebaut werden. Dann hätten wir eine gemeinsame Infrastruktur nutzen können. Das funktioniert nicht mehr. Wir brauchen jetzt zwei Techniken. Das wird das Projekt teurer machen. Wenn das nicht anders zu machen ist, müssen wir in diesen sauren Apfel beißen. Wenn sich das Projekt weiter verzögert, könnte das aber auch bedeuten, dass der Ostflügel nicht in einem Aufwasch saniert werden kann, sondern die Sanierung wieder in Abschnitte zerlegt werden muss. Dann hätten wir im Schloss eine jahrelange Baustelle. Das macht das Lehren und Forschen nicht besser. Angesichts der finanziellen Lage verstehe ich aber, dass die Regierung nicht alle Wünsche berücksichtigen kann.

"Die Pandemie war der größte Einschnitt", sagt Puhl über seine Amtszeit © Michael Ruffler

Wir müssen über Weltpolitik sprechen. An Hochschulen gibt es Debatten darüber, wie man mit Protesten gegen Israel umgehen soll. Welchen Standpunkt vertritt die Universität Mannheim?

Puhl: Unsere Haltung ist klar: Wir setzen wissenschaftliche Kooperationen mit Universitäten im Nahen Osten und vor allem mit Israel fort. Universitäten aus anderen Nationen sehen das zum Teil anders. Spanien, Norwegen und Irland wollen Kooperationen aussetzen. Die deutschen Universitäten halten das politisch und wissenschaftlich für Unfug. Wir sehen keinen Grund dafür, die Zusammenarbeit einzuschränken. Universitäten aus Israel sind Partner, die wir stärken müssen. Diese Einrichtungen sind die letzten, die einen Krieg befürworten. Es gibt dort Universitäten, an denen 30 Prozent der Studierenden Palästinenser sind. Universitäten halten das Leben auf dem Campus aufrecht und wollen eine zivilisierte Diskussion vorantreiben. Sie sind auch in Israel Orte der Freiheit, an denen auch Palästinenser in akademischer Freiheit arbeiten können.

Wie intensiv ist der Austausch zwischen der Universität Mannheim und Universitäten im Nahen Osten, speziell in Israel?

Puhl: Mit israelischen Universitäten ist der Austausch im Moment insofern schwierig, als dass wir niemanden nach Israel schicken können. Das Auswärtige Amt hat eine Reisewarnung ausgegeben - das können wir nicht verantworten. Wir empfangen natürlich Studis aus Israel. Das funktioniert gut und, so weit ich weiß, fühlen die sich hier wohl. Antisemitismus an Hochschulen ist ein Gesprächsthema in der Republik, wobei ich da die öffentliche Wahrnehmung etwas korrigieren will.

Inwiefern?

Puhl: Eine Studie der Universität Konstanz im Auftrag des Bundeswissenschaftsministeriums zeigt, dass Antisemitismus an Hochschulen weit weniger verbreitet ist als im Rest der Gesellschaft. Jeder Fall von Antisemitismus ist einer zu viel - das müssen wir nicht diskutieren. Trotzdem darf man die Relationen nicht verschieben. Hochschulen sind zuletzt auch von Menschen als Bühne missbraucht worden, die nicht zur Universität dazugehören. Besetzungen von Hörsälen, antisemitische Schmierereien und andere Beschädigungen passieren an nicht mal jeder zehnten Hochschule. Es gibt Hotspots in Berlin, Leipzig oder in Frankfurt. Das sind aber Einzelfälle.

Gab es in Mannheim Vorfälle?

Puhl: Kaum. Wir haben wenige Schmierereien mit Kreide gehabt. Wir vermuten, dass das von außen herangetragen worden ist. Zum Q-Summit hat es eine Demonstration von Gruppen gegeben, die häufiger in der Stadt demonstrieren. Das waren zwölf Leute, davon zwei Studierende aus Mannheim. Es gibt auch Aktionen, die wir in Ordnung finden. Neulich gab es einen Kuchenverkauf, dessen Einnahmen Opfern in Gaza zugutegekommen sein soll. Das haben wir hier im Schloss ausdrücklich geduldet. Überhaupt haben wir gegen vernünftige Diskurse nichts einzuwenden. Was wir aber nicht dulden könnten, wären Hass und Hetze. Wenn sich Menschen nicht mehr auf den Campus trauen, wenn Veranstaltungen gestört werden oder Mobiliar demoliert wird, würde das eine rote Linie überschreiten. Das findet in Mannheim aber nicht statt und an den allermeisten anderen Universitäten auch nicht. Die Wahrnehmung, Hochschulen seien Orte des Antisemitismus, an denen man nicht mehr sicher ist, ist verzerrt. Wir können in diesem Zusammenhang auch keine Fingerzeige aus der Politik gebrauchen, die fordern, dass es Exmatrikulationen hageln müsse. Das ist auch mit der Autonomie der Hochschulen nicht zu vereinbaren.

An der Universität Heidelberg gab es die Diskussion um eine Veranstaltung, die von palästinensischen Aktivisten organisiert worden war. Das Rektorat hat sie untersagt. Sie werden, so wie ich Sie kenne, diese Entscheidung nicht bewerten. Sie haben aber von „vernünftigem“ Diskurs gesprochen. Was bedeutet „vernünftig“?

Puhl: Zu der Entscheidung äußere ich mich tatsächlich nicht. Das ist eine Angelegenheit der Uni Heidelberg. Für einen vernünftigen Diskurs braucht es die Bereitschaft, anderen zuzuhören. Wir müssen in der Lage sein, Argumente auszutauschen und anderen mindestens ein Minimum an persönlicher Wertschätzung entgegenzubringen. Man kann trotzdem mal laut werden. Dann muss man aber wieder auf den rationalen Diskurs umsteigen können. Wenn solche Auseinandersetzungen aber gar nicht gewollt sind, wie man es in Berlin und Leipzig beobachten konnte, werden Universitäten missbraucht. Es geht dort nur darum, Hörsäle um der Besetzung willen zu besetzen und plakativ Parolen zu verbreiten. Sie wollen Aufmerksamkeit. Diskutieren will da niemand.

Wann ist eine Grenze überschritten?

Puhl: Wenn der Hochschulbetrieb gestört wird, weil Hörsäle nicht genutzt werden können, Lehrveranstaltungen nicht stattfinden können und jüdische Studierende eingeschüchtert werden. Das kann man nicht dulden. In diesem Fall muss man von seinem Hausrecht Gebrauch machen. Mein erster Impetus ist jedoch immer, erstmal das Gespräch zu suchen. Wenn das aber nicht gelingt, muss man die Polizei um Hilfe bitten.

Wurde 2022 als "Rektor des Jahres" ausgezeichnet und war auch 2021, 2023 und 2024 unter den besten Drei: Thomas Puhl © Christoph Blüthner

Die Polizei musste Mitte April in Mannheim einen bewaffneten Mann in einem Hörsaal erschießen. Wie hat sich die Universität von diesem Schock erholt?

Puhl: Der Vorfall ist von Beteiligten unterschiedlich verarbeitet worden. Manche haben das besser weggesteckt, andere weniger gut. Letztlich muss man aber das sagen, was uns in Gesprächen immer wieder gespiegelt worden ist: Das Sicherheitsgefühl an der Universität ist hoch. Unser Sicherheitskonzept hat sich - so bitter das klingt - bewiesen. Die Meldeketten haben funktioniert und die Polizei war schnell zur Stelle. Das war ein tragischer und schlimmer Vorfall, bei dem letztlich aber auch kein Angehöriger der Universität zu Schaden gekommen ist.

Haben Sie etwas verändert, um für noch mehr Sicherheit zu sorgen?

Puhl: Es gibt ein paar zusätzliche Vorkehrungen, wir testen zum Beispiel ein Meldesystem für Notfälle Aber man kann sich nicht vor allem schützen. Nochmals: Unser Konzept hat gegriffen. Die totale Sicherheit gibt es aber nicht. Letztlich wollen wir auch eine Universität sein, die offen ist. Wir wollen keine abgeschlossene Community sein und auch keine Mauer um unsere Hochschulen haben. In den USA oder in Israel ist das Standard. Zu unserer Kultur und unserem Verständnis von Hochschulen passt das nicht. Vor Verbrechern oder Menschen, die eine psychische Störung haben, kann man sich nicht endgültig beschützen. Das ist ein Lebensrisiko, das an Universitäten aber ganz bestimmt nicht höher ist als sonst irgendwo.

Als Rektor haben Sie viele Kontakte in die Stadtgesellschaft hinein. Wie haben Sie die Stimmung in Mannheim nach dem Anschlag auf dem Marktplatz erlebt?

Puhl: Im Großen und Ganzen habe ich eine große Solidarität gespürt. Man kennt die genauen Hintergründe der Tat noch nicht. Offenbar geht es aber um einen religiös-fanatischen Hintergrund. Ich habe gelesen, dass der erste, der sich dazwischengeworfen hat, ein Muslim war. Unter den Ersthelferinnen soll eine Muslima gewesen sein. Mannheim ist eine vielfältige Stadt. Fast jede und jeder Zweite hat einen Migrationshintergrund. Die Diversität der Stadt, übrigens auch der Universität, ist weitgehend gelebte und tief innerlich akzeptierte Realität. In Mannheim werden täglich Brücken gebaut, die auch beschritten werden. Das funktioniert in Mannheim auch in diesen Tagen und ich bin zuversichtlich, dass das auch in Zukunft funktionieren wird.

Es gibt nicht nur in Mannheim, sondern in ganz Europa stärker werdende Tendenzen, die Brücken abreißen zu wollen.

Puhl: So wie in Mannheim Vielfalt funktioniert, muss sie auch in Europa funktionieren. Wir dürfen uns nicht abschotten und Grenzen dicht machen, um ethnisch reine Zonen zu erlangen oder was man sich auch immer darunter vorstellen mag. Dass das Zusammenleben in Mannheim funktioniert, ist auch die Frucht einer Kommunalpolitik, die wir viele Jahre betrieben haben. Dafür braucht es Kontinuität und Stabilität. In Mannheim hat die lange Amtszeit von Oberbürgermeister Peter Kurz dazu beigetragen, der sich sehr darum bemüht hat, dass sich Bildungslandschaft und Kultur in Mannheim öffnen. Ich bin deshalb auch überzeugt, dass der interreligiöse Dialog zwischen Muslimen und Jüdischer Gemeinde wieder aufgenommen wird.

In welchem Zustand übergeben Sie die Universität an Thomas Fetzer, der in Mannheim geboren worden ist und – wie Sie – Jurist ist?

Puhl: Die Universität ist, wenn man sich die eingeworbenen Drittmittel oder verschiedene Rankings anschaut, hoch anerkannt. Wir sind keine Voll-Universität wie Heidelberg, sondern bieten ein spezifisches Profil an, in dem wir aber erste Sahne sind. Die Universität ist international bestens vernetzt, um Studierende in eine globalisierte Arbeitswelt zu entlassen. Unsere Werte bei Befragungen zur Studierendenzufriedenheit liegen über dem Landesschnitt. Wir haben große Fortschritte in der Digitalisierung gemacht und sind auch finanziell solide aufgestellt. Es ist für mich also ein guter Moment, das Amt an Thomas Fetzer zu übergeben, der noch dazu 20 Jahre jünger ist als ich (lacht).

Apropos jünger. Als Junge haben Sie zwei Berufswünsche gehabt: Chirurg oder Bundeskanzler. Ohne Ihnen zu nahe treten zu wollen: Mit einem Medizinstudium wird es wahrscheinlich nichts mehr. Aber nächstes Jahr sind Bundestagswahlen …

Puhl: (lacht). Ich glaube, auch da sollten Jüngere ran. Vielleicht kann ich ja eines meiner Enkel für den Bundeskanzler oder die Medizin begeistern. Ich bräuchte auch bald einen Geriater (lacht).

Das hat hoffentlich noch Zeit (lacht). Die Frage zielte aber natürlich darauf ab, ob man Sie auch nach dem 30. September noch in der Öffentlichkeit wahrnehmen wird oder ob Sie sich ins Private zurückziehen werden.

Puhl: Als Jurist ist es ein Privileg, nicht auf Maschinen oder Labore angewiesen zu sein. Ich kann meine Gedanken zusammenschreiben. Da gibt es ein Projekt, das ich ganz gerne noch zu Ende führen möchte. Ich werde aber sicherlich keine große Rolle mehr in der Öffentlichkeit spielen. Mein Nachfolger wird das auch ohne mich sehr gut hinbekommen. Ich freue mich darauf, mehr Zeit mit meiner Familie und meinen beiden Hunden zu verbringen. Mir wird nicht langweilig (lacht).

Am 1. Oktober 2018 trat Puhl als Rektor die Nachfolge von Ernst-Ludwig von Thadden an © Christoph Blüthner

Redaktion Reporter in der Lokalredaktion Mannheim & Moderator des Stotterer-Ppppodcasts

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