Gesellschaft

Podcast "Ein Platz an der Sonne" widmet sich Mannheims Kolonialgeschichte

Der neue "MM"-Podcast "Ein Platz an der Sonne"  startet mit der Familiengeschichte einer heute in Mannheim arbeitenden Kamerunerin. Denn in dieser gibt es eine Leerstelle, die sich nicht schließen lässt

Von 
Viktoria Reich
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„Platz an der Sonne“ ist heute eine Metapher für die Kolonialpolitik des Deutschen Kaiserreichs. © picture-alliance, DJS

Mannheim. Der Streit um den Umgang mit der Kolonialgeschichte tobt seit einigen Jahren auch in Deutschland. Nach wie vor sind über 100 Straßen und Plätze in der Republik nach Kolonialverbrechern wie Adolf Lüderitz, Gustav Nachtigal oder Theodor Leutwein benannt. In Bad Lauterberg im Harz bohrt sich sogar eine über zwei Meter große Bronze des Kolonialisten Hermann von Wissman in den Himmel. Aber wieso sollte man jemandem, der mordete, vergewaltigte und für seine Brutalität bekannt war, ein Denkmal bauen?

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Denn bis heute wird in Deutschland die eigene Kolonialgeschichte verharmlost. Es herrscht die Meinung, Deutschland habe im Vergleich mit anderen europäischen Mächten kaum Kolonien besessen und diese wenigen auch nur für eine kurze Zeit. Tatsächlich aber war Deutschland zwischenzeitlich die drittgrößte Kolonialmacht auf dem afrikanischen Kontinent.

Und wie die anderen Europäer manifestierten auch die Deutschen ihre Vormachtstellung durch Gewalt: Peitschenhiebe, Vergewaltigung und verbrannte Erde. All das, um auch ihren „Platz an der Sonne“ zu sichern.

Kaum Aufarbeitung der Kolonialzeit in Deutschland

Für die Eroberungen im späten 19. Jahrhundert spielte Mannheim eine bedeutende Rolle. Durch den größten Binnenhafen Süddeutschlands wurde die Stadt zu einem wichtigen Knotenpunkt für transkontinentalen Handel mit den Kolonien der Südhalbkugel. Vor allem Rohrzucker, Tropenholz und Chinarinde importierte die Stadt massenweise. Und so überrascht es kaum, dass auch Mannheim einige Kolonialverbrecher hervorbrachte: Theodor Seitz avancierte zum Gouverneur der Kolonie Deutsch-Südwestafrika und Theodor Bumiller schloss sich der Wissmanntruppe in Ostafrika an, beteiligte sich an Plünderungen und mordete. Die Beute dieser Raubzüge steht noch heute in der Sammlung Bumiller der Reiss-Engelhorn-Museen.

Die Folgen von „Ein Platz an der Sonne“

Folge 1 „Leerstelle“ ab 20. Juni 2024: Philomène ist in Kamerun geboren und aufgewachsen. Mittlerweile arbeitet sie in Mannheim. Trotz einer glücklichen Kindheit überschattet etwas ihre Familiengeschichte. Es hat mit der Kolonialzeit zu tun: Da gibt es eine Leerstelle, die die Deutschen hinterlassen haben – und die sich nicht schließen lässt.

Folge 2 „Ein Haus voll Afrika“ ab 27. Juni 2024: In den 1920ern gibt es in der Mannheimer Oststadt eine Industriellen-Villa. Bis unters Dach stapeln sich Felle, Holzmasken, Stoßzähne, Gewehre und Speere. Woher kommen all diese Dinge – und was hat das Unternehmen Luschka und Wagenmann damit zu tun?

Folge 3 „Alles nur geklaut“ ab 4. Juli 2024: Im Februar 1897 überfallen britische Soldaten Benin City und plündern den Königspalast. Die Benin-Bronzen verkaufen sie in ganz Europa – und so finden sie auch ihren Weg nach Mannheim. Die Reiss-Engelhorn-Museen stehen heute vor einem ethischen und moralischen Dilemma. Wie damit umgehen?

Folge 4 „Die Siedler von Rheinau-Süd“ ab 11. Juli 2024: Im Mannheimer Stadtteil Rheinau-Süd gab es jahrelang Streit über vier Straßennamen: die Gustav-Nachtigal-Straße, die Leutweinstraße, die Lüderitzstraße und den Sven-Hedin-Weg. Warum haben sich die Siedler so lange gegen die Umbenennung gesträubt?

Das alles ist lange her. Doch auch mehr als 100 Jahre später ist es wichtig, über die Kolonialzeit zu sprechen, denn eine Aufarbeitung der Verbrechen hat weder in Europa noch in Deutschland und somit in Mannheim kaum stattgefunden.

Mit den Folgen dieses Herrschaftssystems müssen die ehemals kolonisierten Länder noch heute leben. Denn mit der Kolonialisierung des globalen Südens haben die europäischen Nationalstaaten den Grundstein für instabile Regierungen, wirtschaftliche Schwächen und ethnische Konflikte gelegt. Und auch in der deutschen Gesellschaft haben sich Strukturen eingebrannt, die Rassismus, Unterdrückung und Ausbeutung begünstigen: Wer sich gegen heutigen Rassismus wendet, kann den historischen Rassismus der Kolonialepoche kaum übersehen.

Dort kann man den Podcast hören

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Wie also umgehen mit rassistischen Symboliken, den Straßennamen, den Denkmälern und der kolonialen Raubkunst in den Museen?

Der neue Podcast des „Mannheimer Morgen“, „Ein Platz an der Sonne“, setzt hier einen thematischen Schwerpunkt. Es geht um Geschichten rund um die deutsche Kolonialzeit – in denen Mannheim ein Schauplatz ist. Ziel war dabei, Menschen zu Wort kommen zu lassen, die in diesem Diskurs häufig nicht gehört werden, und ihre Perspektiven aufzuzeigen.

Die Autorin



  • Viktoria Reich studierte an der Universität Heidelberg Jura und volontierte an der Deutschen Journalistenschule (DJS) in München.
  • Von Oktober bis Dezember 2023 war sie für ihren Projekt-Podcast über die Kolonialgeschichte Mannheims beim „Mannheimer Morgen“. Mittlerweile ist sie freie Journalistin und lebt in Berlin.
  • Die Freude an Storytelling-Podcasts, in denen Geschichten über mehrere Folgen erzählt werden, entdeckte Reich während der Ausbildung an der DJS. „Durch die Stimme kann man einem Menschen unglaublich nah kommen: Tonfall, Sprechgeschwindigkeit, Betonung und wie sich jemand ausdrückt, sagen sehr viel über die Persönlichkeit aus. Gerade für sensible Geschichten ist das besonders wichtig.“

Jede der vier Folgen des Podcasts erzählt eine Geschichte über ein Leben, das durch den Kolonialismus geprägt ist. Es erzählen Menschen, die ihre Familie verloren haben, Unternehmer, die durch Raubbau in den Kolonien reich geworden sind. Experten sprechen über das moralische Dilemma der Rückgabe geraubter Kunstschätze und darüber, wie Deutschland sein Rassismusproblem lösen kann.

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In der ersten Folge von „Ein Platz an der Sonne“ erzählt Philomène ihre Geschichte. Sie ist in Kamerun aufgewachsen und wird bereits in ihrer Kindheit mit der Grausamkeit der deutschen Kolonialverbrecher konfrontiert. Denn die Deutschen sind dafür verantwortlich, dass sie ihren Großvater nie kennenlernt. In den 1990ern kommt Philomène nach Deutschland. Hier wird sie mit Rassismus konfrontiert und denkt währenddessen oft an ihre Großmutter in Kamerun. Diese hat sie vor den Deutschen gewarnt – denn sie hat eigene Erfahrungen während der Kolonialzeit mit ihnen gemacht.

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