Krankenhäuser - Chefärzte der Universitätsmedizin appellieren an Mannheimer, mit akuten Beschwerden eine Klinik aufzusuchen

Patienten bleiben aus Angst weg

Von 
Steffen Mack
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Joachim Grüttner, Leiter der Zentralen Notaufnahme im Klinikum, sorgt sich um wegbleibende Patienten. © Steffen Mack

Mannheim. Sanitäter bringen einen Mann auf einer Liege in die Notaufnahme im Klinikum. Nichts Schlimmes, nur Schürfwunden und blaue Flecken. In den Gängen und Behandlungsräumen ist es an diesem Mittwoch deutlich leerer als sonst. Auch deswegen haben vier Chefärzte den „MM“ zum Gespräch gebeten.

„Bei Patienten etwa mit Herzinfarkten, Schlaganfällen oder anderen akuten Gefäßerkrankungen sind die Fallzahlen um 60, 70 Prozent zurückgegangen. Nicht nur hier im Klinikum, sondern in Krankenhäusern in ganz Deutschland“, sagt Joachim Grüttner, Leiter der Zentralen Notaufnahme. Von niedergelassenen Ärzten sei das Gleiche zu hören. „Viele Menschen sitzen jetzt mit ernsten Erkrankungen zu Hause und verdrängen ihre Beschwerden. Vermutlich, weil sie denken, die Krankenhäuser seien völlig überlastet.“

Einige hätten sicher auch Angst, sich in einer Klinik mit Corona zu infizieren. Doch würden Infizierte und Nichtinfizierte streng getrennt. Grüttner: „Ich appelliere an alle Mannheimer: Wenn ihr akute Beschwerden habt, kommt in die Notaufnahme. Wir haben ausreichend Kapazitäten für alle Bereiche.“ Michael Platten, Leiter der Neurologischen Klinik, vermutet noch einen anderen Grund für wegbleibende Patienten: das Besuchsverbot. Aber davon mache man Ausnahmen, wenn Kontakte medizinisch notwendig seien. Das gelte schon bei der Anmeldung. Schlaganfall-Patienten hätten ja auch häufig ein eingeschränktes Sprachvermögen.

Leiden können sich verschlimmern

Platten erzählt von einem Patienten, bei dem nachmittags ein leichter Schlaganfall diagnostiziert worden sei. „Am besten wäre der Mann gleich morgens nach den ersten Lähmungserscheinungen in unsere Notaufnahme gekommen. Aber er meinte, er habe so lange mit sich gerungen, ob er überhaupt ins Krankenhaus gehen solle.“ Zum Glück habe man die Ursache beheben können. Andernfalls wäre daraus wohl ein schwerer Schlaganfall geworden.

Der Direktor der I. Medizinischen Klinik, Martin Borggrefe, hat ebenfalls eine Theorie für das Wegbleiben vieler Patienten. Bei Herzerkrankungen hänge dies vermutlich auch mit den Einschränkungen des öffentlichen Lebens zusammen. „Die Menschen sitzen mehr zuhause, verzichten etwa auf stressige Autofahrten und entschleunigen ihren Alltag.“ Auch Belästigungen durch Lärm und Luftverschmutzung seien geringer. Zudem litten im Homeoffice einige wohl weniger unter Arbeitsstress. Klingt doch auch beruhigend, aber der Kardiologe sagt voraus: „Überall, wo wirtschaftliche Existenzen und Arbeitsplätze auf dem Spiel stehen, wird der emotionale Druck schon bald zunehmen.“ Und damit auch Herzinfarkte. Die Vorstufen seien oft Traurigkeit und Depression.

Maurice Stephan Michel, Direktor der Klinik für Urologie warnt, jetzt nicht behandelte Patienten würden auch zum Problem, „wenn das Leben irgendwann wieder seinen gewohnten Gang geht. Dann haben wir neben den üblichen Fällen noch jede Menge liegengebliebene, um die wir uns kümmern müssen“. Dafür seien die unter hohem Kostendruck verschlankten Krankenhäuser nicht ausgerüstet, das gelte für die Betten wie für das Personal.

Dass Bundesgesundheitsminister Jens Spahn Mitte März alle Kliniken angewiesen hat, sämtliche nicht dringlichen Operationen abzusagen, findet Michel schwierig. „Ich hätte mir da mehr Flexibilität für regionale Lösungen gewünscht.“ Der Mediziner hat als Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Urologie Spahn einen entsprechenden Brief geschickt. Noch ohne Antwort. Doch für Michel wie für seine Kollegen ist der Fall klar: „Wir haben uns früh und bestmöglich auf Covid-19-Patienten vorbereitet.“ Aber da es davon erst so wenig gebe, wolle man auch die freien Kapazitäten nutzen.

  • Premiere an der Pforte: Erstmals hat am Mittwoch Klinikumssprecher Dirk Schuhmann den Besuch vom „MM“ mit Schutzmaske abgeholt. Die müssen seit Anfang der Woche auch alle Mitarbeiter tragen, die keinen direkten Kontakt zu Patienten haben.
  • Medizinische Masken seien weltweit knapp, sagt Schuhmann, „aber zum Glück haben wir schon Anfang Februar unsere Vorräte aufgestockt“. Jetzt müsse man sparsam damit sein, es gebe jedoch keinen Engpass.
  • So bekommt auch der Reporter eine Maske. In Rosa, wäre nicht nötig gewesen. Ist auch sehr gewöhnungsbedürftig. Man muss kräftig atmen und gerät beim Reden schnell ins Schwitzen. Die Gesichtserkennung beim Handy funktioniert nun auch leider nicht mehr. Aber gut, wenn es dem Virenschutz dient... sma

 

Universitätsmedizin Mannheim

Chefärzte besorgt um wegbleibende Patienten

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Redaktion Steffen Mack schreibt als Reporter über Mannheimer Themen

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