Sicherer und gesünder Drogen wie Heroin nehmen - das könnte bald in Mannheim möglich werden. Denn mittlerweile sind die Pläne für einen sogenannten Drogenkonsumraum (DKR) weit fortgeschritten, steht bereits ein genaues Konzept, wie so ein Ort für stark Drogenabhängige aussehen könnte. Das Konzept wird nun am Donnerstag im Bildungsausschuss vorgestellt.
Ein Blick in die Beschlussvorlage zeichnet ein ziemlich genaues Bild von dem Ort, der bereits in anderen Städten wie Karlsruhe oftmals das Leben von Drogenkonsumenten rettet: sterile Einwegspritzen, Kanülen und Tupfer, Ascorbinsäure und Injektionszubehör und eben auch neue Möglichkeiten, berauschende und toxische Substanzen statt intravenös auch zu schlucken, zu inhalieren, durch die Nase zu ziehen oder rektal zu konsumieren. An acht sogenannten Multifunktionsplätzen sollen Abhängige später nach einer Registrierung samt Nennung der Drogen, die sie nehmen möchten, sitzen können. Ein Platz soll gendersensibel mit mehr Intimsphäre bei gleichzeitiger Sicherheitseinsicht (Milchglas) für rektalen oder intravenösen Konsum in die Leiste bereitgestellt werden.
Dazu kommt ein Warte- und Registierungsbereich sowie ein Notfallraum samt Durchgangstür für einen kürzeren Weg für Rettungskräfte und Einsätze sowie barrierefreie Toiletten. Aber braucht es das in Mannheim? Und wie sieht hier die Drogen-Szene aus, wie oft spritzen sich Menschen Heroin in der Quadratestadt?
Nur rund die Hälfte der Betroffenen hatte bei der letzten Überdosis professionelle Hilfe erhalten
Auch darauf liefert die Beschlussvorlage eine Antwort: Für die Angebotskonzeption haben die Verantwortlichen das Konsumverhalten und die -häufigkeit im Rahmen einer Szenebefragung erfasst. Demnach gibt es hier täglich 91 intravenöse Konsumvorgänge und insgesamt jährlich ungefähr 33 215 Konsumvorgängen zuzüglich anderer Konsumarten.
Gut die Hälfte der Befragten hat mindestens einmal eine Überdosis erlitten, im Schnitt etwa vier Mal. Die mit Abstand am häufigsten genannte hauptverantwortliche Droge war Heroin, gefolgt von Kokain, Fentanyl und Benzodiazepinen. Der Konsum „zu vieler“ unterschiedlicher Substanzen wurde als häufigster Grund für eine Überdosis genannt, gefolgt von unbekannter Drogenqualität. Nur rund die Hälfte der Betroffenen hatte bei ihrer letzten Überdosis professionelle Hilfe erhalten. „So einen DRK fordern wir seit 20 Jahren. Lange Zeit ist dies am Fehlen einer Landesverordnung gescheitert. Denn wer demnach Konsumgelgenheiten für Drogen schaffte, hatte sich bisher strafbar gemacht“, sagt Philip Gerber, Geschäftsführer des Mannheimer Drogenvereins. Gerber hat das DKR-Konzept mitentwickelt, sein Verein kümmert sich in der Innenstadt um genau diejenigen, die stark drogenabhängig sind.
Nicht die Abstinenz ist das erste Ziel, sondern das Überleben.
Weil sich nun die Landesverordnung in Baden Württemberg geändert hat, ist damit der Weg geebnet für einen geschützten Raum, in dem Abhängige im Notfall medizinisch versorgt werden können. Die neue Landesverordnung fordert zudem ein anschließendes Beratungskonzept. Auch deshalb empfehlen die Verantwortlichen des Mannheimer Konzepts eine „Anbindung an bestehende Suchthilfeangebote oder eine zusätzliche weniger klinische Räumlichkeit, um über weitergehende und ausstiegsorientierte Beratungs- und Behandlungsangebote zu informieren“.
Auch um gesünder Drogen nehmen zu können. Ist das nicht ein Widerspruch? „Abhängigen geht es oft gesundheitlich schlecht. Nicht die Abstinenz ist das erste Ziel, sondern das Überleben. Mit einem DKR sorgen wir dafür“, erklärt Gerber. Nach 20 Jahren Suchthilfe weiß der Geschäftsführer auch: Die meisten sind stark kokain- und heroinsüchtig. Sie spritzen sich die Drogen meist direkt an Ort und Stelle, wo sie den Stoff von Dealern abkaufen.
In der Szenenbefragung gab ein Großteil auch an, in privaten Wohnungen Drogen zu nehmen, gefolgt von Parkhäusern, Straßen und Parks. Bekannter Szenentreff ist auch das Quadrat K 1. Wer es von hier aus künftig in einen möglichen, nahegelegen DKR schafft, erhält kostenlos einen eigenen abgegrenzten Tisch samt Stuhl. Dort stehen dann saubere Spritzen bereit, bieten die erfahrenen Mitarbeitenden auch alternative Methoden an, mit denen sich Drogen konsumieren lassen. Das sei laut Gerber gesünder als intravenös, hätten Dauerkonsumenten doch oft offene Wunden und wenige Stellen übrig, an denen sich eine Spritze ansetzen lässt. Zudem sollen im DRK gebrauchte Spritzbestecke fachgerecht entsorgt werden, um so zu verhindern, dass verunreinigte Spritzen an öffentlichen Orten zurückgelassen werden.
Dass solche Räume erfolgreich sind, davon haben sich auch Stadträte aus dem Gemeinderat, Vertreter der Polizei und Staatsanwaltschaft Mannheim überzeugt. Durch Besuche im DRK in Karlsruhe etwa. Aber auch das Konzept im Café Anker, das vom Drogenverein und der Caritas betrieben wird, sei bereits spürbar wirkungsvoll: So berichteten laut Gerber die Rettungskräfte, dass sie während der Öffnungszeiten des Cafés weniger Einsätze in der Szene verzeichneten.
Die Befürchtung, dass so ein Raum auch Neugierige zum Drogenkonsum verlocken könnte, teilt Gerber aber nicht: Für Minderjährige und Erstkonsumenten ist der Zutritt verboten, jeder und jede vorab muss sich anmelden und angeben, welche Drogen er oder sie hier konsumieren möchte. Die Zielgruppe sind eindeutig langjährige Drogenkonsumenten.
Der Großteil nimmt Drogen in privaten Wohnungen, gefolgt von Parkhäusern, Straßen und Parks
Und die Abhängigen selbst? Würden sie so ein Angebot überhaupt nutzen? Auch darüber gibt die Szenebefragung Aufschluss: Fast die Hälfte der Befragten war bereits in einem DKR, etwa in Karlsruhe, Saarbrücken oder Frankfurt. Auch Gerber selbst hat schon einen DKR besucht und berichtet: „Dort geht es geordnet zu. Die Klienten sind nach dem Konsum meist normal ansprechbar, sie nehmen die Drogen wie Medikamente ein.“ Danach würde ihnen auch eine Beratung angeboten, und es gebe einen Kontaktladen.
Dass dieses Konzept also auch in Mannheim vielversprechend ist, zeigt ein weiterer Blick in die Szenenbefragung: Dort gaben 94 Prozent an, mindestens einmal in den letzten drei Monaten ein Drogenhilfeangebot genutzt zu haben, 74 Prozent auch wöchentlich. Am häufigsten waren niedrigschwellige Angebote zur Überlebenshilfe, aber auch Beratungsgespräche und mit Abstrichen auch andere Formen von Beratung und Therapie.
Die Verantwortlichen für das Mannheimer Konzept erhoffen sich von einem DK also, dass dieser zu einem Ort der Überlebenshilfe wird und dazu beiträgt, dass die Anzahl der Drogennotfälle in Mannheim sinkt, sich der gesundheitliche Zustand der Konsumierenden durch medizinische Versorgung verbessert. Zwar lasse sich die Szenenbildung in K 1 nicht verhindern. Jedoch sollte es durch den Drogenkonsumraum am Neckarufer sowie an Museumsschiff und Kurpfalzunterführung zu einem Rückgang der Spritzenfunde kommen. In Karlsruhe sei der DRK kein polizeilicher Brennpunkt geworden, so dass dies auch nicht in Mannheim zu erwarten sei.
Der Tag der offenen Tür soll Schulen, Anwohnende und Gewerbetreibende über DRK aufklären
Noch geklärt werden müssen allerdings die Öffnungszeiten des künftigen DKR, die in einer zweimonatigen Probezeit ausgelotet werden, sowie der passende Standort. Vieles spricht aus Sicht von Gerber für die Räume im Drogenverein in K 3, der besonders szenenah liegt. „Wir akzeptieren die Lebensentwürfe der Klienten, um so einen besseren Zugang zu finden, ihnen Alternativen anzubieten, statt sie zu bestrafen und zu kriminalisieren.“
DRK-Lotsen sollen ebenfalls Ansprechpartner sein, ein Tag der offenen Tür Schulen, Anwohnende und Gewerbetreibende über den neuen Konsum-Raum aufklären. Nun liegt es zunächst am Bildungsausschuss, über einen Grundsatzbeschluss zur Einrichtung eines Drogenkonsumraums und die Durchführung einer Machbarkeitsstudie zur Identifizierung und Prüfung eines geeigneten Standorts abzustimmen.
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