Mannheim. Die Zahl der offiziell wohnungslosen Menschen in Deutschland ist stark gestiegen. Bundesweit haben 370 000 Menschen keine Bleibe, 2022 - dem ersten Jahr, in dem Zahlen überhaupt erhoben wurden - waren es 178 000. In Mannheim gelten als offiziell wohnungslos 1200 Menschen - gegenüber 200 im Vorjahr.
Einer der Hauptgründe für den Anstieg ist der Krieg in der Ukraine, der viele Geflüchtete nach Deutschland gebracht hat. Sie werden wie jeder, der keine eigene Wohnung hat, zunächst in einer kommunalen Notunterbringung untergebracht. Diese bereitzustellen, dazu sind die Städte verpflichtet. Inzwischen sind viele Ukrainerinnen und Ukrainer, die zahlenmäßig noch in die Statistik eingeflossen sind, längst nicht mehr wohnungslos, sondern haben ein eigenes Zuhause.
Angespannter Wohnungsmarkt
Für die Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) Wohnungslosenhilfe ist der Anstieg aber auch ein Zeichen für den angespannten Wohnungsmarkt. Eine der zentralen Forderungen der BAG an die Städte ist deshalb auch, für mehr Wohnraum zu sorgen, der bezahlbar ist. „Statt mehr gibt es immer weniger Sozialwohnungen, und selbst da stehen die wohnungslosen Haushalte ganz hinten in der Schlange“, kritisiert Werena Rosenke, Geschäftsführerin der BAG. Wer einen negativen Eintrag bei der Schufa, der Wirtschaftsauskunfsdatei, hat, und sei es, weil er als junger Mensch einen Smartphonevertrag zeitweise nicht bedienen konnte, hat in Deutschland bei der Wohnungssuche ein Problem. Und wer eine Wohnung hat, sie aber aufgrund welcher Umstände auch immer verliert, finde auf dem angespannten Markt so schnell keine neue, weiß Rosenke.
Damit es gar nicht so weit kommt, hat die Stadt Mannheim ein Netz gespannt aus Jobcenter, städtischer Wohnungsbaugesellschaft GBG, Mieterverein, Wohlfahrtsverbänden. „Wenn jemand im Jobcenter erzählt, dass er mit der Miete im Verzug ist, schrillen die Alarmglocken“, sagt Jens Hildebrandt, Leiter des Fachbereichs Arbeit und Soziales.
Alarmglocken gehen an, wenn jemand mit der Miete in Verzug ist.
Dann wird versucht, mit dem Vermieter Kontakt aufzunehmen, eine Stundung der Schulden oder eine Ratenzahlung zu vereinbaren. Auch in den Mieterverein kann der Betroffene eintreten, um sich beraten zu lassen. Die GBG biete neben günstigen Wohnungen, die preismäßig unterhalb des üblichen Niveaus in Mannheim liegen, auch ein eigenes soziales Management und eine Schuldnerberatung. Zudem regelt eine Kooperationsvereinbarung den Umgang mit bestimmten Gruppen. „Wer psychisch erkrankt ist oder bereits auf der Straße gelebt hat, muss an das Leben in eigenen vier Wänden erst wieder gewöhnt werden.“ Ein Wagnis, das private Vermieter eher nicht eingehen würden, wie Hildebrandt betont.
Durch die Statistik gerutscht
Die Statistik zur Wohnungslosigkeit erfasst allerdings nur die, die in einer kommunalen Notunterbringung sind. Nicht gezählt werden diejenigen, die von Sofa zu Sofa tingeln, bei Bekannten unterkommen in der Hoffnung, bald wieder eine eigene Bleibe zu finden, sowie die Menschen, die auf der Straße leben. Insgesamt sind das rund 85 000. Für Mannheim beziffert Hildebrandt die Zahl der Menschen, die „auf Platte sind“, also auf der Straße leben, im Schnitt auf 40 bis 80 Menschen.
Doch auch für die gibt es Hilfen, wie er betont, seitens der Stadt oder seitens der Wohlfahrtsorganisationen. „In der kommunalen Wohnungslosenhilfe erhalten wohnungslose Menschen ,Hilfen aus einer Hand’, zum einen Sofortmaßnahmen zur Beendigung ihrer Wohnungslosigkeit und zum anderen Leistungen zur Sicherstellung ihres Lebensunterhaltes.“ Die Caritas lädt unter anderem in eine Tagesstätte in den Quadraten ein, für einen Euro erhalten Obdachlose ein Mittagessen, es gibt frische Kleidung und eine medizinische Sprechstunde.
Ein ungelöstes Problem ist der Umgang mit Obdachlosen aus anderen EU-Staaten. Abgesehen davon, dass sich die Menschen, von denen die meisten aus Polen, Rumänien und Bulgarien stammen, mangels Deutschkenntnissen schwer verständigen können, haben sie keinen Zugang zu Sozialleistungen. „Diese Menschen verelenden dann auf der Straße“, sagt Rosenke von der BAG.
Obdachlose will man nicht mehr in den Innenstädten haben.
Dass sich Menschen am Bild Obdachloser in den Innenstädten stoßen, ist ebenfalls ein altbekanntes Problem. Die BAG Wohnungslosenhilfe hatte vor vielen Jahren eine Kampagne gemacht, um auf das Thema aufmerksam zu machen. „Der Slogan lautete ,Die Stadt gehört allen’.“ Tatsächlich kommt es aber immer wieder zu Konflikten, dann wird die Polizei gerufen. Mit Verweis auf die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung kann ein Platzverweis ausgesprochen werden - mit der Konsequenz, dass die Betroffenen an andere Plätze in der Innenstadt ziehen.
Unüberwindbare Zäune
Eskaliert ist es zuletzt in N 6, wo Obdachlose unter einem Vordach des Leonardo-Hotels nachts Unterschlupf gesucht hatten. Inzwischen umgibt ein übermannshoher Zaun das Gelände, das dem Energieversorger MVV gehört. Zum einen, weil sich die Bewohner massiv beschwert hatten. Zum anderen aus Sicherheitsgründen. Jemand hatte wohl versucht, an der Tür des Trafohäuschens, das ebenfalls dort steht, einen Brand zu legen. Wäre es gelungen, einzudringen, hätte Lebensgefahr für die Person bestanden, wie die MVV betont.
Wohlfahrtsorganisationen erfahren derweil immer wieder, dass Hilfen für Obdachlose kritisch gesehen werden. „Es gibt viel Zuspruch, aber manchmal eben auch Ablehnung“, erzählt Stefanie Paul von der Caritas Mannheim. „,Sie locken diese Trinker an, verpflegen sie, und dann werden die sich selbst überlassen und belästigen die Bewohner der Innenstadt’“, zitiert die Sozialarbeiterin einen Passanten. Früher habe es mehr Obdachlose im Straßenbild gegeben. „Doch die will man nicht mehr in den Innenstädten haben.“ Das wissen die Obdachlosen und ziehen sich dahin zurück, wo sie weniger sichtbar sind, in die Parks, unter Brücken oder Straßenunterführungen.
Die Caritas hat Obdachlose unlängst gefragt, was sie sich wünschen würden. Viele haben gesagt, sie wünschten sich, wie ein Mensch behandelt zu werden. „Wir geben allen Klienten die Hand, das ist manchmal angenehm, manchmal aber auch nicht so angenehm.“ Es sei aber ein Zeichen von Wertschätzung.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Wohnungslosigkeit in der Region: Bitte Platz machen!