Ein Hoffen und Bangen über Tage, ein Kampf gegen bitterkalte Mainächte – die Natur kann unerbittlich sein. Im Turm der Konkordienkirche blieb von den drei Mitte März nacheinander geschlüpften Uhu-Küken nur eines am Leben. Die beiden anderen starben aus Schwäche, sie wurden – ja, man muss es so sagen – im Horst verfrühstückt. Und vom beutebringenden Männchen fehlte in der entscheidenden Phase Ende April plötzlich jede Spur, ob ihm eine vergiftete Ratte oder ein Strommast zum Verhängnis wurden, bleibt Spekulation. Naturschutzbeauftragter Gerhard Rietschel und Uhu-Beobachter Peter Böcker, die das Greifen-Drama monatelang über eine hochauflösende Kamera verfolgten, gehen davon aus, dass der fleißige Nachtjäger die Alte mit den Jungen nicht aus freien Stücken sitzenließ. Hatte er doch nimmermüde seine Familie mit Kaninchen und Täubchen verwöhnt. Und war dann plötzlich weg. Mit dem Verschwinden des Ernährers löste sich alle instinktive Ordnung im Kirchturm auf. Als alle Vorräte restlos aufgebraucht waren, verließ die Alte am 2. Mai ganz gegen ihre Art ihr Nest, um nachts zu jagen, kam nur unregelmäßig und ohne Beute zurück. Ihr letztes fast kahles Junges fror sich im Kirchturm derweil halb zu Tode, drohte ohne die mütterliche Wärmedeckung zu erfrieren und zu verhungern.
„Ich habe einen Vogel“
Gerhard Rietschel sah auch dieses letzte Junge schon verloren und holte schließlich das kleine bibbernde Uhu-Etwas Anfang Mai mitten in der Nacht aus dem verlassenen Nest. Eine Notrettung in Zeiten der Corona-Ausgangssperre: Der Naturschutzbeauftragte geriet denn auch bei seinem Einsatz um 23.45 Uhr in eine Kontrolle, konnte jedoch mit einer lapidaren Erklärung die Ordnungshüter überzeugen: „Ich habe einen Vogel!“ Diesen verrückten Naturfreund ließ man lachend ziehen.
Daheim auf der Rheinau, umsorgt und verwöhnt, gewärmt und gepflegt von den Rietschels, legte der kleine Uhu rasch zu, verdrückte so manche Ratte und guckte mit Bernsteinaugen treuherzig in die fremde Welt, zeigte Zutraulichkeit. Eine Woche lang genoss das Junge die ganz intensive Pflege, dann hieß es Abschied nehmen, obwohl man das Junge doch so ins Herz geschlossen hatte. Doch zu viel Mensch bringt den Uhu in Abhängigkeit, er verliert die Scheu und fliegt womöglich als ausgewachsener Greif nachts einem nichtsahnenden Passanten auf die Schulter. Wenn da dann plötzlich ein Ungeheuer mit einer Flügelspannweite von bis zu 1,80 Meter landet, ist das mehr als eine Überraschung.
Über den Link Uhu Konkordien kann man bei Youtube spannende ...
- Über den Link Uhu Konkordien kann man bei Youtube spannende Szenen aus der vergangenen Balz- und Brutsaison im Turm von Konkordien verfolgen. Seit 17 Jahren beobachtet eine Kamera im Turm das Treiben im Horst, wo seit
Also versucht man, den Vogel auf Abstand zu halten, die natürliche Scheu schützt ihn. Jetzt sitzt der Konkordien-Nestling in der Auswilderungsstation Karlsdorf bei Bruchsal. Noch wird er durchgefüttert, aber demnächst beringt und dann als Ästling in einer großen Voliere an das wahre Uhu-Dasein gewöhnt. Da lernt er, eine schlafende Taube zu schlagen oder eine Maus zu krallen. Bis er fit für die große Flatter ist und vielleicht irgendwo nächstes Jahr bei der Balz von sich hören lässt.
Wie es im nächsten Jahr im Nest auf Konkordien weitergeht, ob wieder ein Uhupärchen auftaucht oder die Wanderfalken ihr Stammrevier zurückerobern, die Zukunft wird’s weisen. Die Falken gingen bei der ganzen Geschichte nicht leer aus, sie nahmen ein Ersatzquartier auf dem Fernmeldeturm. Dort konnte Rietschel jetzt vier Junge beringen.
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