Mit seinen runden Knopfaugen, dem glänzendschwarzen Näschen und der hübsch gezeichneten Gesichtsmaske sieht er einfach nur niedlich aus, der aus Nordamerika stammende Waschbär. Doch er zählt zu den sogenannten invasiven Arten, die sich auch in Mannheim immer mehr ausbreiten und die heimische Tierwelt aus dem Lot bringen. Und, wie in dieser Zeitung bereits berichtet, jagen auch Halsbandsittiche, so prächtig und klug sie auch sein mögen, an den Neckarufern so manchem Spaziergänger einen tierischen Schreck ein. Bisamratten, die Rheindämme unterhöhlen, Türkentauben, die im Morgengrauen Anwohner mit ihrem monotonen Ruf plagen, oder asiatische Marienkäfer, die in Massen auftreten: Wir haben uns bei Mannheims Naturschutzbeauftragtem Gerhard Rietschel nach den nervigsten Plagegeistern in der Quadratestadt erkundigt und wollten wissen, wie bedrohlich sie für die Menschen und die heimische Artenvielfalt sind.
Die gute Nachricht vorneweg: Dass irgendeine der in unserer Region lebenden invasiven Arten ein gravierendes Problem darstellt, „davon ist mir nichts bekannt“, versichert Rietschel. Unter „invasiv“ versteht man einen von Menschen eingeführten Organismus, der überbevölkert wird und seine neue Umgebung schädigt. Und auch der promovierte Biologe stellt immerhin fest, dass die Anrufe von Bürgern, die in ihrem Garten Waschbären fotografiert haben, häufiger geworden seien.
Der Waschbär wird bald überall zur Plage.
Mancherorts so extrem, dass sogar Jagd auf die nachtaktiven Räuber gemacht werden muss. Rund 4015 werden zur Zeit pro Jahr in Baden-Württemberg erlegt, damit sie sich nicht noch schneller ausbreiten, wie Julian Glanz von der Wildforschungsstelle des Landes berichtet. Mit steigender Tendenz. So waren es 2014 noch lediglich rund 600 Tiere. „Damals war das Problem noch auf Hessen beschränkt. Inzwischen kommt der Waschbär im gesamten Nordbereich bis nach Greifswald vor“, stellt der Biologe fest. Einst aus Nordamerika von Menschen eingeschleppt, habe er sich so rasend schnell vermehrt, dass die Allesfresser längst als „Lästlinge“ gelten. Schließlich wühlen sie nicht nur in Mülltonnen nach Essbarem und spielen in Kaminen Fangen. Die Kletterkünstler räubern vielmehr auch die höchstgelegenen Eichhörnchen-Nester aus. Mit Hilfe ihrer geschickten Pfoten spüren sie sogar in Baumhöhlen verborgene Jungvögel auf. „Die richten als Kletterkünstler viel mehr Schaden an als etwa Wildschweine oder Füchse“, versichert Glanz. Auch im Raum Stuttgart sei die Population bereits hoch: „Nach unserer Einschätzung ist es nur eine Frage der Zeit, bis auch die Mannheimer über eine regelrechte Waschbärenplage klagen werden.“
Zuwanderer aus aller Welt
- Neozoen (griech.: Neozoon, Mehrzahl: Neozoa, zu deutsch „Neue Lebewesen“), sogenannte Faunenfremdlinge, sind Tierarten, die absichtlich oder unabsichtlich von Menschen aus ihrem Ursprungsland in andere Gebiete gebracht worden sind und sich dort etabliert haben.
- Eine invasive Art ist ein eingeführter Organismus, der überbevölkert wird und seine neue Umgebung schädigt.
- Das Hauptproblem der heimischen Fremdlinge ist, dass sie die heimische Tierarten verdrängen können. So hat der heimische Marienkäfer gegen die asiatischen Vettern keine Chance und ist auf dem Rückzug.
- Auch der Klimawandel bedingt, dass von Haus aus eher mediterrane Typen wie Taubenschwänzchen oder Gottesanbeterin heimisch geworden sind.
- Der Waschbär (Procyon lotor), der aus Nordamerika stammt, gilt als Neozoon, unterliegt seit 1996 dem Jagdrecht und darf mit Falle oder Gewehr erbeutet werden. In Hessen ist er weit verbreitet und gilt als Lästling. Um seine Ausbreitung in Baden-Württemberg einzudämmen, werden dort pro Jahr rund 600 Waschbären erlegt.
- In Gefangenschaft gehaltene Waschbären tauchen ihre Nahrung oft unter Wasser, was als „Waschen“ gedeutet wurde, aber wahrscheinlich eher die Nahrungssuche an Fluss- oder Seeufern imitiert. In der Wildnis wird er zwei bis drei Jahre alt sowie 40 bis 70 Zentimeter lang und 3,5 bis neun Kilogramm schwer.
Dennoch möchte Rietschel vorerst für die drolligen Gesellen als zu Unrecht „Verteufelte“ eher eine Lanze brechen: „Waschbären sind nicht gefräßiger als andere Tiere auch.“ Schließlich setzt sich ihr Speiseplan zu mehr als 60 Prozent aus Pflanzen, Würmern und Schnecken zusammen, nur zu 30 Prozent aus Jungtieren, Mäusen und Fröschen. Vor Menschen ergreifen die wuscheligen Säuger blitzschnell die Flucht.
Genau wie die Bisamratte, die Dämme so stark unterhöhlen kann, dass diese bei Hochwasser keinen Schutz mehr bieten. Noch bis 1905 war die Wühlmausart ausschließlich in Nordamerika beheimatet. Von Pelztierfreunden nach Europa eingeschleppt, vermehrte sich das Nagetier blitzschnell auch in Deutschland. „Sie auszurotten geht nicht mehr“, stellt Rietschel fest: „Man muss die Population niedrig halten.“ Auch an den Mannheimer Rhein- und Neckarufern werde der Bisam gesichtet: „Er kommt bei uns zwar vor, aber nicht in besorgniserregenden Mengen.“ Dies gelte auch für die ursprünglich kleinasiatische Türkentaube mit ihrem penetrant tönenden, dreisilbigen Ruf, oder für den asiatischen Marienkäfer. Französische Weinbauern hatte ihn einst als biologische Waffe gegen Blattläuse eingesetzt. Gut gedacht, aber in der Praxis verspeist der Fremdling mit den gelb gezeichneten Larven nicht nur Läuse, sondern auch jede Menge Kleininsekten: „Zum Beispiel die Larven der heimischen Marienkäfer.“ Längst findet man den Vielfraß nun auch in der Kurpfalz. Das gilt auch für die grau-weiße Kanada- und die hellbraun-weiße Nilgans. Während Erstere eher durch ihre Hinterlassenschaften für Unmut bei Spaziergängern sorgt, vertreibt die Nilgans aggressiv die heimische Vogelwelt von den Gewässern.
Und wie kamen die Kleinbären mit den schwarz umrandeten Augen nach Deutschland? Man sagt ihnen eine „braune Vergangenheit“ nach. Hermann Göring soll vor 75 Jahren die Ansiedlung von Waschbären am nordhessischen Edersee angeordnet haben - zur Bereicherung des heimischen Wildbestandes. Schließlich galt Göring als begeisterter Jäger.
Apropos: Nicht nur seines Pelzes wegen ist der „Arocoun - der mit den Händen kratzt“, wie er bei den Indianern heißt, in den USA heute noch heiß begehrt. „Das Fleisch hat einen kräftigen Eigengeschmack, etwa wie Lamm, aber ist sehr gut“, versichert Rietschel.
Wildtiere sollte man nicht verniedlichen. Das geht schief.
Sicher Geschmacksache, aber wie auch immer: „Von einer Plage kann bei uns keine Rede sein“, resümiert der Naturschutzbeauftragte. Wovor er allerdings ausdrücklich warnt: in freier Wildbahn lebende Vierbeiner so wie die als „Müll-Pandas“ in Verruf geratenen zu verniedlichen. So mancher Tierfreund findet Waschbären so putzig, dass er sie am liebsten als Hunde- oder Katzenersatz halten würde. Doch Rietschel kann davon nur abraten: „Das ist kein Haus-, sondern ein Wildtier, das jede Menge Unfug macht. Das geht meist schief.“
So wie vor einigen Jahren in den ehemaligen Benjamin-Franklin-Kasernen. Dort hatten sich Soldaten einige Waschbären als Hausgenossen gehalten und nach dem Abzug der Amerikaner in die Freiheit entlassen. Diese nutzten die possierlichen Viecher für unangekündigte Besuche. Über einige Terrassen oder offene Balkontüren erkletterten sie sich den Zugang zur Küche. Geschickt öffneten sie dort Kühlschränke und plünderten Speisevorräte. Da wurden Humor und Liebe zur Kreatur bei so manchem Käfertaler auf eine tierisch harte Probe gestellt.
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