Mannheim. Es quietscht, laut und durchdringend, wie eine Mischung aus dem Bohrer vom Zahnarzt und einem Küchenquirl. Nur sind die Dimensionen anders, denn dieser Bohrer ist etwa 130 Tonnen schwer und rund 35 Meter hoch. Auf dem Goetheplatz vor dem Nationaltheater sorgt er im Moment für Aufsehen. Er bereitet den Boden dafür vor, dass das Nationaltheater unterirdisch erweitert werden kann, indem er Stahlträger in den Boden bohrt – pro Träger braucht er eine Stunde. Und es fehlen noch viele Löcher, bis der Verbau betoniert werden kann.
Acht, teilweise bis 9,50 Meter tief muss der Bohrer sich vorarbeiten durch Sand, Kies und Ton. „Kompliziert und knifflig“ nennt Marcus Augsburger, Technischer Betriebsleiter der Generalsanierung, den Teil der Arbeiten, der derzeit läuft.
Besonders kompliziert ist es dort, wo das riesige Bohrgerät gar nicht hinkann. An der Seite des Nationaltheaters zum Unteren Luisenpark, wo früher Glasbausteine die Fassade im Erdgeschoss bildeten, klafft nun ein riesiges Loch. „Die Glasbausteine kommen natürlich wieder“, versichert Augsburger mit Blick auf die Auflagen des Denkmalschutzes. Doch dahinter wird es einen viel größeren, moderneren Probesaal für das Orchester geben als bisher.
Räume unter der Erde
Der gilt als großes Problem. Er ist viel zu eng und zu niedrig und damit weit unter der Mindestgröße, welche die Gesetzliche Unfallversicherung für die rund 100 hauptberuflichen Musiker, die das Orchester umfasst, zum Gehörschutz wegen Lautstärke und Schalldruck vorgibt. Bisher hat er gerade mal 1300 Kubikmeter – 3000 wären nötig. Und die Proberäume für einzelne Instrumentalisten sind so klein und ihre Zahl so gering, dass viele Musiker bisher zum Einstimmen und die Bläser zum Aufwärmen der Mundmuskulatur in den alten Bunker unter dem Theater ausgewichen sind, der eng und feucht war.
Das Architekturbüro Schmucker, das die Generalsanierung plante, hatte daher die Idee, unter die Erde zu gehen. Dazu ist der bisherige Orchesterprobensaal quasi aufgebrochen worden, derzeit wird er aufgegraben, damit eine aufwendige, wasserdichte Baugrube entstehen kann. „Das wird eine Haus-im-Haus-Konstruktion, akustisch völlig entkoppelt vom Rest des Gebäudes“, erklärt Andrea Eichelbrenner, stellvertretende Projektleiterin beim Architekturbüro Schmucker, auf die viele Planungsideen zurückgehen.
Dazu müsse man das bestehende Gebäude aber „komplett unterfangen“, beschreibt Augsburger die Herausforderung, statisch vorzugehen, dass das Theater nicht einstürzt. Das erfordere „aufwendige Abstützmaßnahmen“, so Eichelbrenner. Besonders aufwendig auch deshalb, weil das 1957 eingeweihte Nationaltheater ja in der Nachkriegszeit teilweise auf einen Tiefbunker aus dem Zweiten Weltkrieg aufgesetzt, teilweise aber auch einfach auf tief im Sand der ehemaligen Tennisplätze gründenden Bohrpfählen errichtet worden ist. Zudem befindet sich die Baustelle in der Nähe des Neckars, der Untergrund besteht also teilweise aus feuchtem Schwemmland. Man müsse bestehende Stützen von unten verstärken, Fundamente vergrößern, erläutert Augsburger. Dazu greifen die Baufirmen zum Hochdruckdüseninjektionsverfahren, bei dem unter hohem Druck eine Betonemulsion in den Untergrund gedrückt wird.
Zunächst gab es ja die Idee, einen neuen Orchesterprobensaal auf dem Theaterparkplatz zu bauen – aber das hätte der Denkmalschutz nicht mitgemacht, und auch der Gemeinderat lehnte das wegen des Stadtbilds ab. Nicht nur für das Orchester wird jetzt unterirdisch gebaut – auch wenn dieser Komplex, da er quasi unter das bestehende Gebäude geschoben wird, am kompliziertesten ist.
Unterirdisch entstehen Werkstätten
Auch ein neuer Chorprobesaal muss her – der ist ebenso zu klein und erfüllt zudem die Brandschutzauflagen nicht mehr. Das gilt für viele weitere Büros, Probezimmer und Werkstätten, da sie kein Tageslicht haben, zu winzig sind und es keine ausreichend breiten beziehungsweise alternativen Fluchtwege gibt. Daher entstehen unter dem Goetheplatz Richtung Berliner Straße der Chorprobensaal und mehrere Stimm- und Einsingzimmer, die über drei jeweils sieben Mal sieben Meter große Lichthöfe Tageslicht erhalten.
Unter dem Theatervorplatz Richtung Innenstadt werden, ebenso unterirdisch, drei Werkstätten und Technikräume sowie der Tank der Sprinkleranlage untergebracht. „Mit dieser Lösung haben wir es geschafft, dass alle Mitarbeiter, die vor Ort sein müssen, weiter Räume haben – aber eben so, dass sie dem Arbeits- und dem Brandschutz entsprechen“, so Eichelbrenner. Das bedeutet aber auch: Viele Parkplätze fallen auf dem Goetheplatz weg.
Doch ehe der riesige Bohrer loslegt, ehe Bagger den Boden ausheben können, war eine aufwendige Suche nach möglichen Resten des Zweiten Weltkriegs nötig – Kampfmittelsondierung genannt. „Das hat uns enorm beschäftigt“, so Augsburger. Schließlich waren während des Krieges hier ein Bunker und eine Flugabwehr-Stellung, und nach dem Krieg wurden oft Munitionsreste oder Waffen einfach in Gruben geworfen und zugeschüttet.
148 sogenannte Verdachtspunkte ergab die Sondierung. Überall mussten die Arbeiter vorsichtig mit der Schaufel graben, langsam Schicht für Schicht abheben. Wenn ein Bagger nötig war, dann nur ein Spezialgerät mit dicker Panzerglasscheibe, das maximal 15 Zentimeter auf einmal abheben durfte. Auch Bohrlochradar kam zum Einsatz.
Viele Schadstoffe entdeckt
Von den 148 Punkten wiesen 144 „Anomalien“ auf, also irgendein Metall, „aber gefunden haben wir nur Kleinkram“, sagt Augsburger erleichtert. Bis in drei Meter Tiefe wurde gesucht, und nun gelte das Areal als kampfmittelfrei.
Gearbeitet wird hier derzeit werktags von 7 bis 20 Uhr – schließlich gilt es, einen engen Zeitplan einzuhalten. Außerhalb der Bauzeit schützen moderne Videotürme die Baustelle, die jede Bewegung registrieren und melden, aber außerhalb des Bauzaunes – und damit des Hausrechts – die Bilder nur verpixelt aufzeichnen.
Betritt man das Spielhaus, stößt man auf viel Holz. Der Boden im Foyer, die Garderobe, die Theken, die Wandmosaiken, „was kostbar und unter Denkmalschutz steht, haben wir eingehaust“, sagt Augsburger, sprich: mit Sperrholzplatten abgedeckt. In Opern- und Schauspielhaus sind die Bühnen weitgehend nackt. „Was an Bühnentechnik noch funktioniert und weiterverwendet wird, haben wir geschützt und abgedeckt, den veralteten Rest weg und einen Teil in die Ersatzspielstätten“, erläutert Augsburger.
Da die gesamte Haustechnik marode und veraltet ist, müssen viele Leitungen raus. Zu sehen sind teilweise ganze Bündel abgeschnittener Kabel, ab und zu aber auch ein warnendes Schild, was nicht herausgebrochen werden darf. In erster Linie läuft derzeit die Schadstoffsanierung. Raum für Raum wird mit Folien sicher abgeklebt, dann Unterdruck erzeugt und all das entfernt, was es heute nicht mehr geben darf: Asbest, langlebige chlorierte Kohlenwasserstoffe, polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe und einige mehr. Von all dem habe man „mehr als gedacht“ gefunden, so Augsburger.
Das sei zwar bisher gut eingekapselt und für die Besucher wie das Ensemble ungefährlich gewesen – aber eben nun nicht mehr, wenn Wände herausgerissen, Böden geöffnet und Leitungen erneuert werden. Doch bis diese eigentlichen Sanierungsarbeiten dann losgehen können, werde es sicher Sommer, erklärt er.
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