Mannheim. Der Nächste, bitte. Die Gemeinderatsfraktion der Grünen muss wieder einen Abgang kompensieren: Patrick Haermeyer legt sein Mandat nieder, um die Leitung des Berliner Büros des Europaparlamentariers Michael Bloss (Grüne) zu übernehmen. Das bestätigte die Fraktionsspitze.
Für Haermeyer, der erst 2019 den Platz von Dirk Grunert übernommen hat, rückt Olaf Kremer nach. In der Wahlperiode ist das der fünfte Wechsel in der 13 Abgeordneten umfassenden Fraktion - Rekord. Vor Kurzem erst war Deniz Gedik aus dem Gemeinderat ausgeschieden.
Warum gibt es so viele Wechsel in der größten Gemeinderatsfraktion?
Stefanie Heß, sie führt die Fraktion, erinnert daran, dass viele Wechsel politische Gründe hatten. „Ein Großteil der Menschen, die die Fraktion verlassen haben, hat ihr Mandat niedergelegt, weil sie in Ämter gekommen sind.“ Zwar hat es dem Vernehmen nach in der Fraktion zuletzt auch Unstimmigkeiten gegeben, die Wechsel hatten in der Mehrheit aber tatsächlich politische Gründe. So ist der damalige Fraktionschef Dirk Grunert 2019 ausgeschieden, weil er zum Bildungsbürgermeister gewählt wurde.
Die Zeiten sind vorbei, in denen Menschen mit Mitte 20 im Beruf waren, eine Familie gegründet haben und gesagt haben: ,Ich bleibe für immer hier’
Auch Elke Zimmer und Melis Sekmen legten ihre Mandate nieder, um sich anderen Aufgaben zu widmen: Zimmer ist seit 2021 Staatssekretärin im Landesministerium für Verkehr. Sekmen ist 2022 in den Bundestag eingezogen und gab Fraktionsvorsitz und Mandat auf. Wie Haermeyer hat indes auch Gedik sein Mandat niedergelegt, weil er Mannheim aus privaten Gründen – Haermeyer beruflich, Gedik zum Studieren – verlassen hat. „Das kann in einer Fraktion mit einer Altersstruktur, wie wir sie haben, passieren“, sagt Heß. „Die Zeiten sind vorbei, in denen Menschen mit Mitte 20 im Beruf waren, eine Familie gegründet haben und gesagt haben: ,Ich bleibe für immer hier’.“
Gibt es denn auch bei anderen Fraktionen Wechsel?
Natürlich – wenn auch nicht so viele. Haermeyer ist der zwölfte Abgang in der Wahlperiode. So viel Bewegung im Gemeinderat hat es noch nie gegeben. Fünf Wechsel gab es bei den Grünen, immerhin drei bei der SPD. Zudem gab es zwei Fraktionswechsel, darunter der von Chris Rihm, der sich 2021 den Grünen angeschlossen hat.
Patric Liebscher hat bereits den Platz von Gedik übernommen, Kremer folgt auf Haermeyer. Was bedeutet das für die Fraktion?
„Die Neuen müssen sich relativ zügig einarbeiten“, erklärt Fraktionsvize Gerhard Fontagnier. Kremer und Liebscher übernehmen – wie bei anderen Wechseln auch – nicht automatisch die Zuständigkeitsgebiete ihrer Vorgänger. Stattdessen werde nach Veränderungen geschaut, wie sich Kompetenzen am besten verteilen ließen. „Ein Vorstand muss nach jedem Wechsel die Karten so mischen, dass der Laden weiterhin funktioniert“, sagt Fontagnier. „Das ist die Herausforderung, der wir uns annehmen müssen.“
Haermeyer war auch Sprecher für Finanzen und Klima, Gedik für Energie und LSBTIQ-Themen - für die Partei wichtige Ressorts. Drohen bei Wechseln Reibungsverluste in der politischen Arbeit?
Nina Wellenreuther, mit Heß Fraktionsvorsitzende, sieht zwar „ein politisches Pfund“, das ersetzt werden müsse. Haermeyer etwa hätte den Klimaschutzaktionsplan „sehr gut“ ausgehandelt, Gedik neben der thematischen viel parteipolitische Arbeit betrieben. Vor Reibungs- oder gar Kompetenzverlusten sorgt sich die Fraktionsspitze aber, wenig überraschend, nicht. Man tausche sich in der Fraktion über alle Politikfelder regelmäßig aus, sagt Wellenreuther, die sich auch auf Sozialen Medien oft gemeinsam mit Gedik und Haermeyer zeigt. „Patrick und Deniz sind nicht aus der Welt und auch aus der Ferne immer noch gute Berater.“ Die Fraktionsvorsitzende übernimmt die Themen Klima und Energie. Fraktionsvize Rihm teilt sich mit Liebscher das Ressort Finanzen. Angela Wendt, frauenpolitische Sprecherin, übernimmt auch den Bereich LSBTIQ.
Fraktionschefin und Sprecherin für Sportpolitik ist Wellenreuther bereits - jetzt kommen die großen Themen Klima und Energie dazu. Das klingt viel.
Wellenreuther sieht zwar eine große Aufgabenfülle auf sich zukommen, sagt sie. Für sie sei es aus organisatorischen Gründen aber wichtig gewesen, die Themen im Vorstand anzusiedeln – auch, um sich mit anderen Fraktionsführungen besser beraten zu können. Die Studentin meint, dass sie über ihr Studium Umweltingenieurwesen „das Fachwissen für die Themen hat“. Fontagnier erwartet, dass die Konstellation die Arbeit generell „deutlich erschwert“: Auf die Oberbürgermeisterwahl im Juni folgt die Kommunalwahl kommendes Jahr. „Das Ende einer Wahlperiode ist ein anderer Arbeitsaufwand als der Beginn einer Wahlperiode“, erklärt der erfahrene Stadtrat. Es komme deshalb noch mehr auch auf Verhandlungen der Fraktionsspitzen an. „Die Zahl der politischen Themen, die durch den Gemeinderat gehen, wird geringer werden.“
Gedik wird nachgesagt, sich auch als Parteistratege verdient gemacht zu haben. Auch Haermeyer galt als ambitioniert. Warum gelingt es nicht, die politischen Talente zu halten? Sind Mannheim und die Region für junge Politikerinnen und Politiker nicht attraktiv genug?
„Warten wir ab, ob sie nicht zurückkommen und was sie noch in Mannheim alles erreichen“, gibt sich Wellenreuther hoffnungsvoll, die sagt, nach ihrem Studium hier bleiben zu wollen. Sie sieht vor allem Gediks Wegzug nicht als spezielles Problem der Region, sondern dessen spezifischem Forschungsfeld geschuldet: In Jena promoviert der Toxikologe zu Einflüssen der Ernährung auf DNA-Reparatursysteme. Neben dem Heidelberger Krebsforschungszentrum und der BASF gebe es auf dem Feld nur wenig Möglichkeiten.
Wir wollen keine Politik, in der sich nur Menschen im Rentenalter engagieren
Fontagnier betont, Kommunalpolitik sei eine ehrenamtliche Arbeit mit sehr hohem Aufwand. „Wenn junge Menschen eine Ausbildung machen, fordert die viel Zeit.“ Wenn man sich dann noch kommunalpolitisch engagiere, müsse man dem hohen Respekt zollen. „Wir wollen keine Politik, in der sich nur Menschen im Rentenalter engagieren“, sagt der 68-Jährige. „Aber wir können junge Menschen auch nicht an einen Ort festnageln, wenn sich für sie berufliche Möglichkeiten ergeben.“
Für Gedik und Haermeyer rücken Liebscher und Kremer nach, die deutlich älter als ihre Vorgänger sind. Verändert das die Sicht der Fraktion auf Inhalte?
„Es ändert sich etwas, aber nicht zum Schlechten“, sagt Fontagnier. Das Durchschnittsalter der Fraktion sei kein Maßstab für politische Arbeit. Vielmehr müsse man die Biografien hinter den Abgeordneten bewerten. Als Hausmeister bei der Baugenossenschaft, langjähriger Bezirksbeirat und alleinerziehender Großvater bringe Kremer auch Aspekte ein, die in der Fraktion bislang nicht vertreten waren. Heß und Wellenreuther fordern, die Teilhabe für alle Altersklassen, Schichten und Lebensentwürfe zu stärken. „Jede und jeder muss theoretisch Politik machen können“, sagt Heß. Wellenreuther ergänzt: „Wir dürfen nicht nur über junge Menschen sprechen, sondern müssen sie auch selbst sprechen lassen.“
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim_artikel,-mannheim-naechster-wechsel-bei-gruenen-im-mannheimer-gemeinderat-_arid,2067915.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.mannheimer-morgen.dehttps://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim_artikel,-mannheim-der-gruene-patrick-haermeyer-ist-in-den-mannheimer-gemeinderat-nachgerueckt-und-will-jetzt-_arid,1820446.html
[2] https://www.mannheimer-morgen.dehttps://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim_artikel,-mannheim-mannheimer-gruenen-stadtrat-deniz-gedik-legt-mandat-nieder-_arid,2034374.html
[3] https://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim.html
[4] https://www.mannheimer-morgen.dehttps://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim_artikel,-mannheim-schon-elf-vorzeitige-abschiede-aus-dem-mannheimer-gemeinderat-_arid,2047459.html