Rekord in dieser Wahlperiode

Schon elf vorzeitige Abschiede aus dem Mannheimer Gemeinderat

Historischer Rekord! Von 48 Mitgliedern des Mannheimer Gemeinderats ist seit der letzten Kommunalwahl schon fast jedes vierte wieder ausgeschieden - so viele wie noch nie. Die Gründe dafür sind ganz unterschiedlich

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Steffen Mack
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Der Gemeinderat bei den ganztägigen Etatberatungen im Dezember. Die Taktung wie der Arbeitsaufwand seien höher geworden, sagen erfahrende Mitglieder. © Thomas Tröster

Mannheim. Am Dienstag steht im Gemeinderat wieder eine Personalie ganz oben auf der Tagesordnung. Bei den Grünen wird Stadtrat Deniz Gedik, der für seine Promotion nach Jena zieht, von Patric Liebscher ersetzt. Es ist kein ungewöhnlicher Wechsel, im Gegenteil. Aber gerade die Häufung macht ihn doch besonders: Es ist bereits der elfte vorzeitige Abschied in dieser Wahlperiode, in rund dreieinhalb Jahren hat somit fast jedes vierte der 48 Mitglieder den Gemeinderat wieder verlassen. Und da bis zur nächsten Kommunalwahl – voraussichtlich im Mai 2024 – noch ein Weilchen Zeit ist, könnten durchaus noch mehr hinzukommen.

Das dürfte schon jetzt ein historischer Rekord sein. Betrachtet man die zurückliegenden 30 Jahre (ältere Statistiken dazu kann das Rathaus auf Anfrage nicht liefern), so hat die Zahl der vorzeitigen Abschiede zuletzt stark zugenommen. Von 2009 bis 2014 waren es nur zwei, in den fünf Jahren danach sieben. So viele hatte es bereits 1994 bis 1999 gegeben, aber das war dem Vernehmen nach ein ungewöhnlich hoher Wert.

Wechsel im Gemeinderat: Große Bandbreite an Gründen

Die Gründe für die vielen jüngsten Wechsel sind völlig unterschiedlich. Da reicht die Bandbreite vom aus nicht genannten persönlichen Gründen ausgeschiedenen Rainer Huchthausen (AfD) über die zu Bürgermeistern aufgestiegenen Dirk Grunert (Grüne) und Ralf Eisenhauer (SPD) bis zum verstorbenen Roland Weiß (Mannheimer Liste). Aber möglicherweise gibt es ja doch ein paar allgemeine Ursachen für den Trend.

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Der „MM“ hat dazu einige besonders erfahrende Gemeinderatsmitglieder nach persönlichen Vermutungen befragt. Auch wenn nicht alle geantwortet haben, gibt es interessante Rückmeldungen. Etwa von Marianne Seitz. Die Christdemokratin ist in doppelter Hinsicht Expertin bei dem Thema. Erstens ist sie schon seit 1997 dabei, zweitens einst selbst nachgerückt (für Ursula Weiss).

Seitz glaubt, dass die Jüngeren heute andere Prioritäten haben: „Ich hatte immer nur eine Halbtagsstelle, um mit Leidenschaft Stadträtin sein zu können.“ Heute sei das Berufliche vielen wichtiger. Zudem profitiere sie davon, „dass mein Mann mir den Rücken freihält“.

Alle Abgänge und Wechsel seit der Wahl 2019

  • Die meisten Wechsel gab es in dieser Wahlperiode bisher bei den Grünen. Vor Deniz Gedik, für den nun Patric Liebscher nachrückt, legten bereits Dirk Grunert, Elke Zimmer und Melis Sekmen ihre Mandate nieder. Patrick Haermeyer, Isabel Dehmelt und Regina Jutz kamen neu hinzu.
  • Bei der SPD schieden Ralf Eisenhauer, Lena Kamrad und Isabel Cademartori vorzeitig aus dem Gemeinderat aus. Ihre Sitze übernahmen Heidrun Kämper, Stefan Höß und Melanie Seidenglanz.
  • Bei der CDU wurde Nikolas Löbel von Alfried Wieczorek ersetzt, bei den Linken Thomas Trüper von Dennis Ulas, bei der Mannheimer Liste (ML) der verstorbene Roland Weiß von Christiane Fuchs und bei der AfD Rainer Huchthausen von Rüdiger Ernst.
  • Zu zwei zusätzlichen Wechseln kam es zwischen den Fraktionen. Chris Rihm verließ die CDU und schloss sich später den Grünen an, Wolfgang Taubert (Mittelstand für Mannheim) ging weg von der ML und tat sich mit der FDP zusammen, die daraufhin ebenfalls Fraktionsstärke erlangte. sma

Für die individuellen Wechselgründe habe sie zwar Verständnis, sagt Seitz. Aber in der Summe seien sie nicht gut, weil die Neuen immer erst mit den neuen Materien vertraut werden müssten. Noch stärker als im Gemeinderat mache sich das in den Kontrollgremien der städtischen Beteiligungsgesellschaften bemerkbar. „Das dauert einfach eine Weile, bis man sich da richtig auskennt.“

Belastung deutlich gestiegen

Helen Heberer, seit 1999 für die SPD im Gemeinderat, nennt als einen Grund für die hohe Fluktuation die stärker gewordene Belastung. „Immerhin geht ein Stadtrat, eine Stadträtin ihrem Beruf nach, hat Familie, und der Arbeits- und Stundenaufwand in einem solchen Mandat ist tatsächlich immens. Das wird – auch von der Öffentlichkeit – gerne übersehen.“ Man müsse auch aushalten können, beim Engagement für die Gemeinschaft mit Politiker-Pauschalkritik konfrontiert zu werden.

Anders als Seitz und Heberer sieht Christdemokrat Egon Jüttner, bereits 1984 erstmals Stadtrat, bei den vielen Wechseln indes keinen allgemeinen Trend. Die ließen sich ja jeweils individuell erklären. Beispielsweise mit den Dezernenten-Wahlen sowie damit, dass der frühere CDU-Kreisvorsitzende Nikolas Löbel „wegen seiner Verfehlungen ausschied“.

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Zudem hätten Elke Zimmer, Melis Sekmen (beide Grüne) und Isabel Cademartori (SPD) nach ihrer Wahl in den Landtag oder Bundestag ihren Sitz im Gemeinderat aufgegeben. In der Tat ist das bisher der häufigste Grund (mit drei von elf Fällen) für einen vorzeitigen Abgang. Hinzu nehmen könnte man auch noch Susanne Aschhoff. Sie wäre als Grüne mit dem nächstbesten Ergebnis eigentlich für Sekmen nachgerückt, verzichtete aber wegen ihres zuvor gelungenen Einzugs in den Landtag. Früher war dies weniger üblich. Jüttner und Heberer etwa hatten – er in Berlin, sie in Stuttgart – einst noch ein zweites Mandat. Heute hat ein solches nur Stefan Fulst-Blei als SPD-Landtagsabgeordneter.

Das sagt OB Peter Kurz

Sein Parteifreund Reinhold Götz, seit fast 25 Jahren Stadtrat, nennt ebenfalls die „erfreulicherweise“ in andere Parlamente Gewählten als einen Grund für die vielen vorzeitigen Abgänge. Ein anderer seien berufliche Veränderungen, oft mit Wohnortwechseln verbunden. Eine Rolle könne in Einzelfällen ferner die zunehmende zeitliche Inanspruchnahme im Gemeinderat spielen, so Götz. In der Summe bedeute das für die Arbeit auch in Bezirksbeiräten vielfältige neue Herausforderungen.

Ähnlich sieht es ein besonders intimer Kenner der Mannheimer Lokalpolitik: Peter Kurz, 1989 als SPD-Stadtrat in den Gemeinderat eingezogen. Die Belastung in lokalpolitischen Ehrenämtern sei stark gestiegen, weiß der Oberbürgermeister. Das führe auch zu geringerem Interesse an Bezirksbeiratsposten. Und generell seien die Lebensentwürfe heute vielfältiger, in der Arbeitswelt werde eine höhere Mobilität erwartet. Wenn da das Mandat nicht mehr zur persönlichen Situation passe, bleibe eben oft nur der Verzicht.

Redaktion Steffen Mack schreibt als Reporter über Mannheimer Themen

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