Hintergrund

Nach Prozesseinstellung in Mannheim: Wie weit darf Klimaaktivismus gehen?

Das Amtsgericht hat kürzlich das Verfahren gegen einen Aktivisten nach einer Straßenblockade in der Mannheimer Innenstadt eingestellt. Wir haben mit einem Philosophie-Professor darüber gesprochen, wann Protest legitim ist

Von 
Lisa Uhlmann
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Protestaktion am 27. Juli in der Kunststraße: Das Amtsgericht hat das Verfahren gegen einen der Beteiligten eingestellt. © Christoph Blüthner

Was wiegt schwerer: der Einsatz für das Klima oder Recht und Gesetz? Auch in Mannheim setzen Umweltgruppen wie etwa Extinction Rebellion auf zivilen Ungehorsam als Protest - und testen mit Straßenblockaden nicht nur die Geduld der Autofahrer, sondern auch die Grenzen der Justiz. Am Amtsgericht Mannheim hat jüngst ein Richter im Rahmen der Beweisführung und in Absprache mit dem angeklagten Aktivisten sowie seines Anwalts das Verfahren eingestellt. Inwiefern sich diese Entscheidung aber auf weitere anstehende Verfahren auswirkt, müssen jeweils die Richter von Fall zu Fall neu entscheiden.

Dabei war dieser Prozess, der sich um eine Blockade der Kunststraße im vergangenen Sommer gedreht hatte, lediglich einer von vielen, die in Mannheim, der Region und bundesweit zurzeit laufen. Auf der Anklagebank sitzen überall Aktivisten und Aktivistinnen, die sich als Klimaschutzkämpfer für eine gute Sache sehen und fordern, ihren Einsatz zu entkriminalisieren.

Aber sind solche Aktionen von der Versammlungs- und Meinungsfreiheit rechtlich gedeckt oder sind sie strafbar? Ob dieser zivile Ungehorsam zumindest moralisch gerechtfertigt ist, kann Bernward Gesang, Professor für Philosophie an der Universität Mannheim wissenschaftlich beantworten. „Der zivile Ungehorsam ist dann legitim, wenn er gewaltarm ist, öffentlich passiert, sein Ziel im Sinne des Allgemeinwohls sowie wahrscheinlich erfolgreich ist. Und alle rechtlich zulässige Mittel bereits ausgeschöpft wurden“, so der Professor mit dem Schwerpunkt Umwelt- und Klimaethik.

Dabei unterscheidet Gesang zwischen Klimaschutzaktivisten, die sich für eine Verbesserung des Klimas und damit für alle Menschen einsetzen. Und Gruppen wie Querdenkern oder Rechtsradikalen. Sie hätten eben keinen glaubwürdigen Bezug für das Allgemeinwohl, sondern wollten nur eine Teilgruppe besser stellen.

Protest-Aktionen müssen gewaltarm bleiben
Bernward Gesang Philosoph

Hier stelle sich die ethische Frage: Wer wird durch Erreichen des Ziels der Proteste in welchem Maße geschädigt? Allerdings gäbe es dabei Grenzen: So müssen die Aktionen gewaltarm bleiben, soll heißen: Während einer Straßenblockade muss gewährleistet sein, dass Notfälle durch eine Rettungsgasse durchkommen und auch sonst keine „nennenswerten“ Schäden bei anderen entstehen.

Wie der Umgang zwischen Umweltaktivisten in Mannheim mit der Polizei ist? „Sehr gut, bislang gab es keine verbalen Auseinandersetzungen, alles war gewaltfrei. Wir sprechen die Demonstranten an und fordern drei Mal auf, die Fahrbahn freizugeben“, schildert ein Polizeisprecher. Kommen die Aktivisten der Aufforderung nicht nach, greifen die Einsatzkräfte durch: Indem sie die Protestler wegtragen oder die Feuerwehr anrückt. Etwa, um wie beim Protest im Juli auf der Kunststraße oder im Dezember in der Fressgasse die mit Kleber auf der Straße fixierten Hände eines Aktivisten per Spezialstoff zu lösen. Später erfolge dann das Aufnehmen von Personalien und mögliche Anzeigen.

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Aber heiligt der Zweck tatsächlich die Mittel? Hier zieht Philosoph Gesang klar die Grenze zu terroristischen Gruppen wie der linksextremistischen Rote Armee Fraktion (RAF). „Der Zweck heiligt nicht alle Mittel. Immer dann, wenn Gewalt überhandnimmt, ist das nicht mehr zu rechtfertigen, droht die Gefahr zur Radikalisierung.“ Gerade bei der jungen Generation, die sich bei den sogenannten Fridays-For-Future-Demonstrationen für mehr Klimaschutz einsetzen, könne der Aktivismus ins Extrem umschlagen. „Hier bleibt abzuwarten, wie sie die Frustration verarbeiten, die aufkommt, wenn man jahrelang nicht gehört wird“, warnt Gesang.

Aber sind solche Aktion rechtlich erlaubt? Zu Sitzblockaden, wohl eine der beliebtesten friedlichen politischen Protestform, gibt es bereits ein Urteil vom Bundesverfassungsgericht von 2011, das zum Schutz der Versammlungsfreiheit vor übermäßigen Sanktionen fordert, „die Art und das Maß der Auswirkungen auf betroffene Dritte und deren Grundrechte zu berücksichtigen. Betrifft das Anliegen auch die von der Demonstration nachteilig Betroffenen, kann die Beeinträchtigung ihrer Freiheitsrechte möglicherweise eher sozial erträglich und dann in größerem Maße hinzunehmen sein“, heißt es darin etwa.

Wir beantragen beim Vorwurf Nötigung Strafbefehle
Staatsanwaltschaft Mannheim

Was aber gilt als Versammlung, was als Straßenblockade? Die Abgrenzung kann schwierig sein. Als Versammlung gelten bereits mindestens zwei Personen, die gemeinsam auf die öffentliche Meinung einwirken wollen. Aber das zwangsweise Durchsetzen der eigenen Ziele ist nicht mehr von der Versammlungsfreiheit gedeckt. Mit Blick auf eine etwaige Strafe ist auch das Verhalten jedes einzelnen Teilnehmers entscheidend, also ob er oder sie sich etwa selbst auf der Straße festgeklebt oder nur am Rand gestanden hat. Zwar ist es bei Versammlungen oft unvermeidbar, dass der Verkehr blockiert wird. Dagegen steht aber dann das absichtliche Blockieren einer Straße, bei dem die Protestler anderen ihren Willen aufzwingen und ihr Ziel eigenmächtig durchsetzen wollen.

Rechtswissenschaftler und Juristen aber sind sich einig: Grundsätzlich muss jede Versammlung angemeldet werden, sonst machen sich deren Veranstalter oder Leiter strafbar. Das Anliegen der Demonstrierenden spielt dabei zunächst rechtlich gesehen keine Rolle, egal ob für den Klimaschutz, gegen Corona-Regeln oder für das Ende des Kriegs gegen die Ukraine protestiert wird. Ausnahmen fürs Nicht-Anmelden sind einzig Ereignisse, auf die spontan oder sehr kurzfristig mit einer Demo direkt reagiert wird.

Ob die Umweltaktivisten langfristig mit ihrem zivilen Ungehorsam wirklich etwas bewegen können, wie in den 1970er etwa die Anti-Atomkraft-Gegner, bleibt abzuwarten. „Aber irgendwann wird es unverhältnismäßig, verursachen solche Blockaden in der Summe zu viele Schäden, erlahmt das Medieninteresse. Dadurch sinken die Chancen, etwas zu verändern“, erklärt Philosoph Gesang.

Allerdings könnte sich der Einsatz für einen guten Zweck im Gerichtsverfahren auf die Höhe der Strafe auswirken. Dabei muss sich der Richter mit der Motivation der Straftäter auseinandersetzen und diese bewerten. Auch bei den Gerichten herrsche mittlerweile ein unausgesprochener Konsens, Delikte von zivilem Ungehorsam mit einem geringen Strafmaß zu ahnden, sagt Gesang.

Wie die Staatsanwaltschaft Mannheim damit umgeht? „Wir bewerten das Verhalten beim Vorwurf der Nötigung und beantragen Strafbefehle. Das ist die normale Vorgehensweise“, erklärt ein Sprecher. Bis zu einem Strafmaß unter 90 Tagessätzen erfolgt kein Eintrag ins Vorstrafenregister.

Redaktion Seit 2018 als Polizeireporterin für Mannheim in der Lokalredaktion.

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