Mannheim. Untrennbar mit dem Attentat vom Marktplatz sind auch Muslime in Mannheim verbunden. Nicht, weil sie sich mit der Tat identifizieren. Im Gegenteil. Immer wieder halten auch Muslime an der Gedenkstätte inne. Und doch leiden sie zumindest teilweise unter einem neuen Generalverdacht.
Vor allem Frauen mit Kopftuch würden auf der Straße nun noch kritischer angeschaut, sagt Fatima Atay an der Gedenkstätte. Cem Semin erklärt später, er sei vor allem in den ersten Tagen nach dem Attentat angefeindet worden. „Das Leben ist schwieriger geworden.“ Von Freunden habe er Ähnliches gehört, sagt er, ohne aber auch auf Nachfrage konkreter zu werden. Zwei weitere Muslime, die in diesen Tagen stehenbleiben, sagen, dass sie keine Veränderungen gespürt hätten. Ein weiterer möchte sich nicht äußern.
Über Integration muss gesprochen werden
Cem Yalcinkaya hat keine großen Veränderungen gespürt. Zwar gebe es hin und wieder „anonyme Mails“, sagt der Sekretär der DITIB-Gemeinde. „In Gesprächen mit Nachbarn, Kollegen oder in Vereinen gibt es aber keine Veränderungen. Menschen können zwischen Muslimen und Extremisten unterscheiden.“
Bereits wenige Minuten nachdem Rouven Laur gestorben war, hatte die DITIB, die größte muslimische Gemeinde in Mannheim, der Polizei in einem Schreiben kondoliert und das Attentat verurteilt. „Der Attentäter hat niemandem geholfen und dafür einem jungen Polizisten das Leben genommen“, sagt Yalcinkaya heute.
Natürlich habe der 31. Mai die Stadt verändert. Aber anders, als der Attentäter es wollte. Auf dem Marktplatz würden Menschen nun gemeinsam trauern und die Ehre von Rouven Laur hochhalten. „Der Attentäter hat bewirkt, dass auf dem Marktplatz alle im Gedenken zusammengerückt sind. Wir haben uns nicht isoliert.“
Yalcinkaya widerspricht Oberbürgermeister Christian Specht (CDU), der dieser Redaktion jüngst gesagt hatte, Moscheen würden immer häufiger Jugendliche an Radikale verlieren. Das sei nicht mit Zahlen belegt, entgegnet der Gemeindesekretär. Für die DITIB jedenfalls könne er die Aussage nicht bestätigen.
Dennoch müsse man über Integration sprechen. Neben der Frage, wie Traumata bei Geflüchteten flächendeckender behandelt werden können, gebe es in der Jugendarbeit eine große soziale Komponente. „Jugendliche wollen sich immer von Erwachsenen abgrenzen“, sagt Yalcinkaya. Wenn sie dazu Ausgrenzung durch die Gesellschaft erfahren, Misserfolge in der Bildung oder auch Armut erleben, wären sie über soziale Medien anfälliger für Extremisten. „Wenn jemand ausgegrenzt wird, ist er für Menschen zugänglich, die sagen, alle anderen sind böse. Wie man im sozialen mit Menschen umgeht, überlagert alles.“
Neben Gemeinden seien deshalb auch Stadtverwaltung und Vereine gefordert, Jugendliche in der Mitte der Gesellschaft zu halten. Es brauche mehr Programme, die Teilhabe ermöglichten. „Das gilt nicht nur für religiösen Extremismus, sondern auch für den von Links und Rechts“, sagt Yalcinkaya. „Es sind nicht nur Muslime, die sich radikalisieren können, wenn man sie ausschließt.“
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