Mannheim. Das Blumenmeer in der Mitte des Marktplatzes ist kleiner geworden. Dort, wo man nach dem Attentat auf Wegen durch Blumen und Schilder gelaufen ist, ist noch eine vergleichsweise kleine Reihe an Blumen, Kerzen und Bildern übrig. Dennoch bleiben auch an den drei Tagen, an denen der Redakteur zu unterschiedlichen Zeiten am Marktplatz ist, dort immer wieder Menschen stehen. Männer, Frauen, Menschen mit Kopftuch, Menschen ohne Kopftuch. Junge, Alte. Das Publikum ist, so der Eindruck, ein Querschnitt der Stadtgesellschaft.
Diesen Eindruck teilt ein Mann, der in einem der Restaurants am Platz arbeitet. Es sei schlimm, was geschehen ist. „Nicht nur, weil ein Mensch getötet worden ist, was nicht zu entschuldigen ist“, sagt der Mann, der seinen Namen nicht nennen möchte, mit gebrochenem Deutsch. „Dieser Mann hat alle Muslime verletzt und uns allen geschadet. Es war schlimm.“ Mehr möchte, mehr könne er nicht sagen.
In einem benachbarten Restaurant winkt ein Mann dem Reporter zu, als er vorbeiläuft. Wir sind uns in den Tagen nach dem Attentat begegnet. Ob er das Attentat am 31. Mai eigentlich vor Ort miterlebt habe, fragt der Reporter nun. Ja, sagt der türkische Gastronom, der aber ebenfalls anonym bleiben will.
Wirt nimmt wahr, dass Menschen mehr Angst haben
Um 11.30 Uhr habe er Freunde zum wenige Meter vom Tatort entfernten Zugang zur Tiefgarage begleitet. Dann sei alles ganz schnell gegangen. „Klar, das hat 20 Sekunden oder eine halbe Minute gedauert - aber es hat sich angefühlt, als ob man nur geblinzelt hätte“, erinnert er sich an den Angriff, das Gerangel, den Stich in den Hals von Rouven Laur und den Schuss auf den Attentäter. „Dann war plötzlich erstmal Ruhe.“
Der Gastronom habe seitdem viele Gespräche geführt. „Alle Muslime haben immer gesagt, dass das mit unserem Glauben nichts zu tun hat“, erzählt er. „Dieser Mann hat nicht für den Islam getötet, an den wir glauben.“
Seinem Eindruck nach habe sich rund um den Marktplatz wenig verändert. Dass Muslime wegen des Attentats angefeindet würden, sehe er nicht. „Ich nehme aber schon wahr, dass Menschen mehr Angst haben, hierher zu kommen.“ So sei die Zahl derer, die den Markt besuchen, kleiner geworden, schildert der Gastronom. „Ich kann diese Angst nachvollziehen“, sagt der seit 40 Jahren in Deutschland lebende türkische Gastronom. Das Sicherheitsempfinden vieler in Mannheim - nicht nur von Menschen ohne Migrationshintergrund - habe sich aber nicht erst seit dem 31. Mai verschlechtert, sagt er, und betreffe vor allem auch die Quadrate auf der anderen Seite der Breiten Straße.
Verunsicherung im Viertel bemerkt
Mindestens in den Tagen nach der Tat hat auch Esther Baumgärtner eine Verunsicherung im Viertel ausgemacht. Vor allem für jene, die wegen Sprachbarrieren der Berichterstattung nicht immer haben folgen können, habe es Gespräche gebraucht, berichtet die Quartiermanagerin der Unterstadt. Menschen mit befristetem Aufenthalt hätten sich gefragt, ob sich die Tat auf den politischen oder gesellschaftlichen Umgang mit Geflüchteten auswirken werde. Eine Vorahnung, die sich bewahrheitet hat.
Mit interreligiösen Veranstaltungen, dem Gedenkort oder dem Kondolenzbuch im Rathaus sei es gelungen, als Gemeinschaft Trauer ausdrücken zu können. „Dabei war sehr deutlich, dass die Trauer und der Umgang damit genauso vielfältig sind wie unsere Stadtgesellschaft.“
Sie sieht im Attentat einen Angriff auf „unsere demokratischen Werte“, sagt Baumgärtner. Es sei deutlich geworden: „Mannheim ist keine Insel.“ Egal, wie gut wir unser Miteinander organisieren würden - nicht jeder teile diese Werte. „Ich würde mir deshalb wünschen, dass wir als vielfältige Stadtgesellschaft nicht nur zu besonderen Gelegenheiten oder nach tragischen Ereignissen Vielfalt und Demokratie leben und für andere erlebbar machen, sondern alle zusammen jeden Tag sorgsam mit unserer Gemeinschaft umgehen.“
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