Mannheim. Mehr als die Hälfte seines Lebens nimmt er nun schon Drogen-Ersatzstoffe. Viel, viel länger als er je Heroin konsumiert hat. Der 50-Jährige, der in diesem Artikel einfach Jens heißen soll, ist froh über diese Therapie. Sie habe ihm nicht nur ermöglicht, fast die ganze Zeit als Betreuer in Behinderteneinrichtungen arbeiten zu können, sagt er. „Ohne diese Therapie wäre ich garantiert nicht mehr hier.“
Substitution – also Ersatz – heißt diese Therapie. Die Idee: Statt Heroin zu nehmen, bekommen die Abhängigen von Ärzten kontrolliert Ersatzstoffe verabreicht wie Methadon, Polamidon oder Buprenorphin, flüssig oder als Tablette. So kommen sie raus aus dem Milieu des illegalen Konsums, wo beim Teilen von Spritzen auch die Gefahr von Krankheiten lauert. Die Ersatzstoffe machen zwar auch abhängig, haben aber einen geringeren Suchtdruck als Heroin und auch leichtere Entzugssymptome. An diesem Mittwoch ist ein bundesweiter Aktionstag zum Thema Substitution, die Organisatoren fordern deutlich mehr solche Therapieplätze. In Mannheim gibt es derzeit nach Angaben des Drogenvereins rund 800 Männer und Frauen in der Substitution, beim Zentralinstitut für Seelische Gesundheit, aber auch bei niedergelassenen Ärzten.
Bundesweiter Aktionstag: Mehr Therapie-Plätze gefordert
- „100 000 Substituierte bis 2022“ lautet das Motto des bundesweiten Aktionstages zur Therapie mit Drogen-Ersatzstoffen, den Deutsche Aids-Hilfe, das bundesweite Selbsthilfe-Netzwerk JES (Junkies, Ehemalige und Substituierte) und der Bundesverband für akzeptierende Drogenarbeit für den 5. Mai ausgerufen haben.
- Kaum die Hälfte der 165 000 Opioid-Abhängigen in Deutschland erhalte derzeit eine Substitutionsbehandlung, beklagen die Organisatoren. In vielen anderen europäischen Ländern sei die Quote höher.
- Mit dem Aktionstag wollen sie zum einen mehr Abhängige zur Substitution bewegen. Gleichzeitig wollen sie auf politischem Weg aber auch Strukturen verändern, um mehr Angebote machen zu können. Zum Beispiel sollen Ärzte ihre Patienten auch per Video betreuen können, oder eine Substitution soll auch ohne Krankenversicherung möglich sein.
- Auch Daniela Ludwig, die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, unterstützt den Vorstoß.
- „Substitution kann nicht nur Leben retten, sie ist für viele Opiatabhängige der erste Schritt in ein besseres Leben“, wird Ludwig in einer Mitteilung zitiert. „Die Lücken in der Substitutionsversorgung müssen dringend geschlossen werden! Wir brauchen viel mehr Ärztinnen und Ärzte, die bereit sind, eine Substitutionsbehandlung anzubieten.“
Begleitende Betreuung
War bei den ersten Therapien in den 1990er Jahren noch das komplette Wegkommen von Droge und Ersatzstoff das wichtigste Ziel, ist der Ansatz mittlerweile weiter gefasst. Es geht um eine Stabilisierung der Gesamtsituation der Betroffenen. Das Leben der Menschen retten, sie vor Krankheiten schützen, aber auch dafür sorgen, dass sie ihren Alltag bewältigen und wieder den Sprung in die Arbeitswelt schaffen – so umreißt es Kirstin Klemp vom Drogenverein, der sich um die psychosoziale Betreuung der Substituierten kümmert. Klemp ist die fachliche Leiterin. „Je nach Klient oder Klientin haben wir einen engmaschigen Betreuungsrahmen“, sagt sie. „Es geht zum Beispiel darum, die Wohnsituation und die finanzielle Lage zu regeln, wir stehen dazu in Kontakt mit anderen Stellen wie Wohnungslosenhilfe, Job-Center oder Bewährungshelfer.“ Ganz ohne Substitution auszukommen, schaffen am Ende die allerwenigsten, wie Klemp weiß. „Aber mehr als die Hälfte der Substituierten hat einen Job.“ Sie können also ihren Alltag bewältigen.
Auch Jens merkt man im Gespräch überhaupt nicht an, dass er in einer solchen Therapie ist. „Das Ziel war immer, nach all den Jahren aus der Substitution rauszugehen“, erzählt er. Er nehme ohnehin nur noch ein ganz kleine Menge des Ersatzstoffes. Aber er habe eben auch Angst – Angst davor, dass dann alles nicht mehr so gut laufen könnte, wie es jetzt all die Jahre gelaufen sei.
„Langsam, aber stetig abhängig“
Er habe die klassische Laufbahn hinter sich, vor der in der Drogenprävention immer gewarnt werde, sagt Jens. Alkohol, Marihuana, dann Anfang der 1990er Jahre in der Techno-Szene Ecstasy, Amphetamin und LSD. Um nach den wilden Partywochenenden sonntags schlafen zu können, fing er mit Heroin an, da war er 22. „Ich bin langsam, aber stetig abhängig geworden.“ Zumindest finanziell war das kein Problem, wie Jens betont. Durch Nachtzuschläge habe er sehr gut verdient. Damals lebte er noch auf dem Land, einmal im Monat kaufte er für 800 Mark Heroin. Dann aber sei die Lieferkette plötzlich unterbrochen worden. Das brachte Jens in die Substitution. Heute wird er bei einem Arzt in Mannheim behandelt.
„Die Versorgung mit Substitutionsplätzen in Mannheim ist vergleichsweise gut“, findet Anja Kniest, die eine Schwerpunktpraxis mit 120 Plätzen betreibt. „Wer in Mannheim an einer Substitution interessiert ist, bekommt auch zeitnah einen Termin.“ Schwieriger sei die Situation dagegen im Umkreis und generell in ländlichen Regionen. „Substitutionsplätze anzubieten erfordert einen gewissen organisatorischen Aufwand“, erklärt Kniest. Die Patienten müssten zum Beispiel 365 Tage im Jahr versorgt werden, als Ärztin müsse man sich da also um Vertretungen kümmern.
Jens jedenfalls ist dankbar über seine Therapie. „Durch die Substitution konnte ich fast die ganze Zeit arbeiten“, sagt er. Kürzlich allerdings hat er seinen Job verloren. Das habe aber nichts mit der Substitution zu tun, stellt er klar – „ich hatte privat eine schwierige Situation“. Jetzt lebt Jens von Hartz IV und hat einen Ein-Euro-Job, jeden Morgen bekommt er beim Arzt sein Medikament. Sein großes Ziel: wieder im erlernten Beruf in einer Behinderteneinrichtung zu arbeiten.
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