Kontakt zu anderen Menschen, Sport und weitere Hobbys, ein geregelter Tagesablauf – das alles sehen Therapeuten als wichtigen Schutz im Kampf gegen Suchterkrankungen. Doch genau das ist seit einigen Wochen wegen der Schutzvorgaben gegen Corona nicht oder nur eingeschränkt möglich. Die Mannheimer Suchthilfeeinrichtungen sehen schon erste negative Folgen für die Menschen, die sie betreuen, – und können derzeit selbst nur eingeschränkt helfen.
„Wir haben aus den Reihen unserer Klienten schon einzelne Fälle, in denen Personen rückfällig geworden sind“, berichtet Kay Toewe, der Leiter der Mannheimer Fachstelle Sucht des Baden-Württembergischen Landesverbandes für Prävention und Rehabilitation (BWLV). In der Beratungseinrichtung betreuten in der Vor-Corona-Zeit vier Therapeuten zwischen 60 und 80 Personen, die unter einer Alkohol- oder Glücksspielsucht leiden. „Manche von ihnen vereinsamen zunehmend, viele haben keine Familie und keine sozialen Kontakte und trauen sich aus Angst vor Corona auch nicht aus dem Haus, weil sie Vorerkrankungen haben“, erzählt Toewe. Da sei natürlich die Gefahr groß, erst recht zu trinken oder im Internet zu zocken. Dazu komme, dass es durch die Arbeit im Homeoffice aktuell „keine Kontrollinstanz“ gebe.
In der BWLV-Geschäftsstelle hat es wegen der Corona-Beschränkungen zuletzt keine Therapiesitzungen mehr und auch keine Treffen von Selbsthilfe- oder Angehörigengruppen gegeben, entsprechend hätten auch weniger Betroffene Hilfe nachgefragt, so Toewe. Aber seine Prognose ist klar: „Wir gehen von einer Verschärfung der Suchtprobleme aus.“ Bei vielen kämen Ängste um den Job und die finanzielle Lage dazu. Ähnliches ist aus der gemeinsamen Beratungsstelle von Caritas und Diakonie zu hören.
„Verelendung“ in Heroin-Szene
Statt aufs Gespräch vor Ort setzte der BWLV zuletzt aufs Telefon. „Wir haben unsere Klienten angerufen“, sagt Toewe. Bei manchen habe das durchaus funktioniert – andere dagegen könnten sich am Telefon nicht so öffnen. Von dieser Woche an will der BWLV deshalb in Einzelfällen auch wieder den persönlichen Kontakt möglich machen – mit Maskenund Plexiglas-Scheiben.
Auch auf die Heroin-Abhängigen in Mannheim haben die Corona-Einschränkungen massive Auswirkungen, wie Philip Gerber, der therapeutische Leiter des Drogenvereins, berichtet: „Wir erleben in der Szene zunehmend eine Verelendung.“ Schätzungen zufolge gibt es in Mannheim rund 1400 Menschen, die Heroin konsumieren oder mit einem Ersatzstoff therapiert werden. Zu rund 650 von ihnen hat der Verein Kontakt. Diese Männer und Frauen sind laut Gerber gleich mit mehreren Problemen konfrontiert: Sie hätten mit einer weiteren Vereinsamung zu kämpfen, gleichzeitig seien viele legale wie illegale „Geldbeschaffungsmöglichkeiten“ weggebrochen. Flaschen sammeln und Betteln seien in den vergangenen Wochen genauso schwer möglich gewesen wie Ladendiebstähle, so Gerber. Auch seien Schmerz- und Beruhigungsmittel, die viele Betroffene konsumieren, auf dem illegalen Markt knapper geworden. Bei den Drogen selbst dagegen gebe es zumindest in Mannheim keine „Versorgungsengpässe“. Das wissen Gerber und seine Kollegen aus Gesprächen mit Abhängigen. Der Kontaktladen des Drogenvereins in K 3 ist geschlossen. Seit knapp drei Wochen werden allerdings Lebensmittelpakete ausgegeben sowie Spritzen verteilt.
Doch der Drogenverein betreut nicht nur Heroinkonsumenten, sondern auch Kokain-, Amphetamin- und Cannabisabhängige. Hier versucht man ebenfalls, per Telefon Kontakt zu halten. Ab dieser Woche werden Gespräche per Videotelefonie getestet. In der Corona-Zeit, so Gerber, hätten übrigens auch so manche Eltern gemerkt, dass ihr Kind nicht nur ab und zu kiffe, sondern ein Suchtproblem habe. Auch die Beratungsstelle von Caritas und Diakonie berichtet von einer Mutter, die ihren Sohn wegen dessen exzessiven Computerspielzeiten zur Therapie angemeldet habe.
Einen Schwerpunkt bilden bei Drogenverein sowie Caritas und Diakonie die Kinder der Abhängigen. Bei den vom Drogenverein betreuten Männern und Frauen leben laut Gerber rund 270 Jungen und Mädchen. Gerade mit diesen Familien habe man verstärkt Kontakt gehalten, per Telefon oder schon auch mal mit Gesprächen im Beratungszimmer – mit Abstand natürlich.
Hier gibt’s Hilfe
- Die Beratungsstellen in Mannheim haben sich zur „Arbeitsgemeinschaft Sucht“ zusammengeschlossen und die Zuständigkeiten aufgeteilt.
- Der Drogenverein (K 3, 11-14) betreut Menschen, die von illegalen Substanzen abhängig sind. Telefon: 0621/15 90 00; Mail: info@drogenverein.de
- Die Fachstelle Sucht des BWLV (Moltkestraße 2) kümmert sich um Personen, die süchtig nach Alkohol, Medikamenten oder Glücksspiel sind. Telefon: 0621/8 42 50 68; Mail: fs-mannheim@bw-lv.de
- Die gemeinsame Beratung von Caritas und Diakonie (D 7, 5) hilft bei der Abhängigkeit von Alkohol sowie Computer und Computerspielen. Telefon: 0621/12 50 61 30; Mail: suchtberatung@cv-dw-mannheim.de
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