Mannheim. Derzeit leuchtet das Schwurgericht die Messerattacke jenes Mannes aus, der am Kurpfalzkreisel unvermittelt auf Kopf und Körper einer Fußgängerin eingestochen hat. Die Öffentlichkeit ist ausgeschlossen, weil der wegen versuchten Mordes angeklagte 29-Jährige an einer paranoid-halluzinatorischen Schizophrenie leidet und als schuldunfähig gilt. Deshalb entscheidet das Landgericht über die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus. Hintergründen solcher Prozesse ist der „MM“ nachgegangen.
2024: Zwölf Verfahren zu psychiatrischen Unterbringung am Landgericht Mannheim
Wer die vom Landgericht Mannheim verschickten Mitteilungen zu Hauptverhandlungen durchforstet, findet seit Jahresbeginn zwölf Verfahren zur psychiatrischen Unterbringung. Aus den Ankündigungen geht hervor, dass sich die beschuldigten Männer und Frauen – nahezu alle mit Diagnosen aus dem Bereich schizophrener Psychosen oder mit Persönlichkeitsstörungen – bereits im Vorfeld der Prozesse im Psychiatrischen Zentrum Nordbaden (PZN) Wiesloch befunden haben. Was einer Untersuchungshaft entspricht – wenngleich in keinem Gefängnis.
Beispielhaft einige der vorgeworfenen Taten: Ein Mittvierziger stößt einem Polizisten ein Messer in den Bauch, als dieser ihn wegen Kot- Schmierereien festnehmen will. Ein 34-Jähriger zündet sein Kopfkissen an, warnt aber beim Verlassen der Wohnung Nachbarn vor dem Brand. Ein Mann, Mitte 30, dringt nachts mit Hilfe eines Gullideckels gewaltsam in eine Arztpraxis ein, entwendet dort eine wertlose Figur und zündelt zwei Tage später im Flur des Hauses. Eine erwachsene Tochter malträtiert ihren gesundheitlich beeinträchtigten Vater mit einem Küchenmesser und schlägt nach dessen Verbiegen mit einem Besenstiel zu – bis ein Nachbar eingreift. Eine 37-Jährige setzt in ihrer Wohnung Unrat in Brand und begibt sich auf den Balkon – dank der Feuerwehr bleibt es bei einem Gebäude-Sachschaden.
Rechtsanwalt Günter Urbanczyk, der seit gut zwei Jahrzehnten Menschen mit psychiatrischen Erkrankungen vor Gericht zur Seite steht, könnte ein Buch schreiben: Er hat mit Männern und Frauen zu tun gehabt, die schon während der vorläufigen Klinikunterbringung medikamentös so gut eingestellt wurden, dass sie aufmerksam wie einsichtig ihrer Verhandlung folgen konnten. Urbanczyk berichtet aber auch von Mandanten, die wegen aggressiven Verhaltens oder störender Zwischenrufe aus dem Saal gebracht werden mussten.
Und manche waren erstmal im Gefängnis gelandet, weil keine Erkenntnisse zu ihrer psychischen Erkrankung vorlagen und sich diese erst durch auffälliges Verhalten bemerkbar machte. Worin sieht der Anwalt die besondere Herausforderung? Die Antwort kommt prompt: „Vertrauen gewinnen!“ Was bei Menschen mit Misstrauen häufig schwierig sei.
Kriterien für Unterbringung im Strafgesetzbuch zu finden
Auch wenn – wie im Fall des Messerstechers vom Kurpfalzkreisel – unstreitig ist, dass eine Schuldunfähigkeit vorliegt, müssen zur Last gelegte Vorwürfe auf Stimmigkeit überprüft werden. Verwoben mit der Frage, ob eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus notwendig ist. Die zu erfüllenden Kriterien formuliert Paragraf 63 des Strafgesetzbuchs. Beispielsweise muss es sich um „erhebliche rechtswidrige Taten“ handeln, die andere massiv schädigen oder gefährden. Nach der Erfahrung von Anwalt Urbanczyk kommt es „extrem selten“ vor, dass sich eine Strafkammer gegen die beantragte Unterbringung ausspricht.
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Eine solche wird grundsätzlich „unbefristet“ angeordnet. Allerdings sieht das Gesetz eine jährliche Überprüfung vor. Und die erfolgt bei einer mit drei Berufsrichtern besetzten Strafvollstreckungskammer. Für jene Männer und Frauen, die in der forensischen Psychiatrie am PZN Wiesloch untergebracht sind – am Mannheimer Zentralinstitut für Seelische Gesundheit gibt es keine Abteilung für Maßregelvollzug –, ist ein am Landgericht Heidelberg angesiedelter Spruchkörper zuständig.
Richterin Ina Untersteller betont: Bei jeder Überprüfung, ob die (geschlossene) Unterbringung weiter vollgestreckt werden soll, werde ein ärztliches Gutachten der psychiatrischen Klinik eingeholt. Nach drei Jahren beziehungsweise bei längerem Maßregelvollzug nach zwei Jahren sei verpflichtend, die Meinung eines externen Fachmediziners einzubeziehen, der mit dem Fall noch nie etwas zu tun hatte. Vor der jeweiligen Entscheidung, so die Pressesprecherin des Heidelberger Landgerichts, werde der oder die Betroffene samt (Pflicht-)Verteidiger angehört. Bei solcherart gerichtlichen Stationen hat Anwalt Urbanczyk einen Mandanten zehn Jahre lang begleitet, ehe dieser auf freien Fuß kam. „Mein längster Fall.“ Er weiß aber auch von psychisch kranken Tätern, die nie entlassen werden, weil sämtliche Therapien scheitern.
Zahl von Menschen im Maßregelvollzug steigt seit 2018
Der „Arbeitskreis Forensische Psychiatrie Transparent Süddeutschland“ weist daraufhin, dass die Zahl von Menschen im Maßregelvollzug seit 2018 kontinuierlich steigt – was zu Platzproblemen führt. Auch im PZN Wiesloch. Es wird kontrovers diskutiert, ob die Rate schwerer psychiatrischer Erkrankungen, insbesondere Schizophrenien, zugenommen hat oder häufiger als früher eine Unterbringung erfolgt. Das Spannungsfeld ist geblieben: Einerseits ist der Fall des bayerischen Justizopfers Gustl Mollath warnende Lehre, dass jemand jahrelang zu Unrecht in der Psychiatrie weggesperrt wird. Anderseits hat die Bevölkerung ein Recht darauf, vor Menschen geschützt zu werden, die (noch) nicht in der Lage sind, Folgen ihres Handels zu erkennen. Und deshalb müssen in jedem Unterbringungsverfahren vorgeworfene Taten samt Krankheitsgeschichte individuell ausgeleuchtet und beurteilt werden.
Dies gilt auch in dem aktuellen Prozess rund um die Messerattacke am Kurpfalzkreisel und den einige Monate zuvor erfolgten Angriff mit einem Baseballschläger.
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