Interview

Melis Sekmen: Verkehrsberuhigung eine Chance für den Handel

Die Mannheimer Grünen-Bundestagsabgeordnete Melis Sekmen steht hinter dem Verkehrsversuch in der Mannheimer Innenstadt - kritisiert aber Umsetzung und Kommunikation.

Von 
Walter Serif
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Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Melis Sekmen beim Redaktionsbesuch in Mannheim. © Thomas Tröster

Frau Sekmen, haben Sie es als Grünen-Politikerin verdaut, dass in Deutschland die Devise gilt: Frieden schaffen mit mehr Waffen?

Melis Sekmen: Natürlich würde ich politische Konflikte lieber mit Diplomatie lösen. Und das wird ja auch noch immer versucht. Aber dies setzt eben auch voraus, dass die Gegenseite dieselben Grundwerte vertritt.

Wladimir Putin führt lieber Krieg.

Sekmen: Deshalb müssen wir uns wappnen. Daher ist es notwendig, dass wir Waffen an die Ukraine liefern.

Sieht das auch die grüne Basis in Mannheim so?

Sekmen: Ja, da herrscht Geschlossenheit, obwohl das für uns Grüne schmerzhaft ist. Waffenlieferungen in ein Kriegsgebiet – das wäre früher für uns unvorstellbar gewesen. Aber auch wir müssen uns der Wirklichkeit stellen. Das Bündnis muss verteidigungsfähig bleiben. Deshalb haben wir auch das Sondervermögen Bundeswehr beschlossen. Es geht nicht nur um unsere nationale Sicherheit. Wer weiß, ob Russland nicht auch noch Moldawien oder Polen angreift.

Melis Sekmen

  • Melis Sekmen wurde am 26. September 1993 in Mannheim geboren, sie wuchs in der Neckarstadt-West und auf dem Waldhof auf. Inzwischen wohnt sie in der Schwetzingerstadt.
  • 2019 rückte sie nach der Kommunalwahl zur Grünen-Fraktionschefin auf. 2021 zog sie in den Bundestag ein, das Direktmandat sicherte sich allerdings Isabel Cademartori (SPD).
  • Im Februar gab sie ihr Mandat im Gemeinderat auf

Jetzt geht es aber um die Ukraine. Ich habe den Eindruck, dass Außenministerin Annalena Baerbock und Wirtschaftsminister Robert Habeck mehr schwere Waffen liefern wollen als SPD-Bundeskanzler Olaf Scholz.

Sekmen: Diesen Eindruck teile ich nicht. Wir müssen aber aufpassen, dass die Konfliktlösung mit militärischen Mitteln nicht salonfähig wird. Deshalb wollen wir auch Organisationen wie die OSZE unterstützen. Die Außenpolitik darf nicht zur reinen Verteidigungspolitik werden. Dazu gehört auch die Krisenprävention, damit ein Krieg wie in der Ukraine erst gar nicht entstehen kann. Wir reagieren auf einen Konflikt, den es seit Jahren gibt. Was wurde da unternommen und warum sind wir da, wo wir gerade sind?

Meinen Sie damit Angela Merkel?

Sekmen: Auch sie. Sie hat 16 Jahre regiert.

Nochmal: Jetzt ist Krieg in der Ukraine. Die Ukraine hat klar gesagt, welche Waffen sie von Deutschland will und bekommt fast nichts oder erst im Herbst – dann ist der Osten vielleicht schon verloren. Das dauert alles ewig.

Sekmen: Das sehe ich anders. Wir helfen, aber das machen wir nicht allein, sondern in der Nato. Auch andere Länder wie Spanien oder die USA unterstützen die Ukraine.

Ja, aber mehr als Deutschland.

Sekmen: Das ist Ihre Meinung. Wir dürfen außerdem nicht nur in die Ukraine schauen, wir müssen uns ja auch um die vielen nach Mannheim Geflüchteten kümmern.

Und wie klappt das?

Sekmen: Gut. Wir haben eine sehr engagierte Stadtgesellschaft, das ist unsere Stärke. Es gibt sehr viele Familien, die Geflüchtete aufgenommen haben – obwohl die Menschen selber Zukunftsängste haben, weil im Moment vieles teurer wird. Das nehmen wir als Grüne ernst, deshalb hat die Bundesregierung ein Entlastungspaket geschnürt. Damit reagieren wir auf die stark steigenden Preise. Natürlich ist nicht alles nachhaltig, wie zum Beispiel das 9-Euro-Ticket. Das entlastet nur kurzfristig …

… Benzin wird aber trotzdem wieder teurer …

Sekmen: … das 9-Euro-Ticket hilft aber sehr vielen Familien, die wenig verdienen. Den Tankrabatt finde ich auch nicht gut, aber in einer Koalition geht es nicht ohne Kompromisse. Wir als Grüne denken jetzt zum Beispiel darüber nach, die Mehrwertsteuer für Lebensmittel zu senken. Dies ließe sich schnell und ohne großen Aufwand umsetzen, hat aber den Nachteil, dass es nach dem Gießkannenprinzip erfolgt.

Auch die Reichen profitieren.

Sekmen: Genau. Deshalb wären einkommensabhängige Zahlungen besser. Aber das dauert dann länger und ist mit bürokratischem Aufwand verbunden.

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Zurück zu den Benzinpreisen.

Sekmen: Da muss das Kartellamt einschreiten und das Marktverhalten der Mineralölkonzerne genau untersuchen. Deshalb wollen wir auch das Kartellamt personell aufstocken und neu aufstellen. Schauen Sie sich die Entwicklung auf dem Gasmarkt seit Februar an. Russland hat unheimlich viel Gas nach Deutschland geliefert, es herrschte also keine Knappheit, und trotzdem sind die Preise stark gestiegen.

Die Grünen verstoßen auch beim Klimaschutz gegen die reine Lehre. Wirtschaftsminister Habeck muss jetzt sogar Fracking-Gas aus den USA kaufen.

Sekmen: Der Soziologe Max Weber unterscheidet zwischen Gesinnungsethik und Verantwortungsethik. Der Krieg zwingt uns jetzt zum pragmatischen Handeln.

Es gibt aber auch Umweltaktivisten, die das ablehnen und wie die Letzte Generation einfach mal den Luisenring besetzen.

Sekmen: Die Methoden des Protests sind unterschiedlich. Aber: Corona und der Ukraine-Krieg setzen den Menschen schon jetzt genug zu. Wir sollten sie für die Energiewende begeistern und nicht zusätzlich mit Blockaden auf der Straße belasten.

Veränderungen stoßen immer auf Kritik. Autofahrer und Handel wehren sich gegen den Verkehrsversuch in Mannheim.

Sekmen: Ich habe die Verkehrsberuhigung immer als Wirtschaftsförderung verstanden. Die Leute kommen ja nicht nur ins Zentrum, um etwas zu kaufen, sie wollen etwas erleben. Das ist für den Einzelhandel eine große Chance. Das sehen auch viele seiner Vertreter so.

Warum läuft dann die IHK Sturm gegen den Verkehrsversuch?

Sekmen: Ein Verkehrsversuch kann nur etwas werden, wenn die Stadt ihn richtig vorbereitet und kommuniziert. Bei den Menschen darf nicht der Eindruck entstehen, dass jetzt die Innenstadt zugesperrt wird. Im Gegenteil, wir wollen, dass sie kommen. Das geht nur, wenn ich den Verkehrsfluss gewährleiste. Jetzt staut sich alles, auch durch die aktuellen Baustellen am Hauptbahnhof und am Fahrlachtunnel. Da hat man nicht einmal als Radlerin Lust, in die Stadt zu fahren.

Es läuft also ziemlich viel schief?

Sekmen: Ich finde den Verkehrsversuch vom Ansatz her gut. Wir müssen aber verhindern, dass wir in der Stadt eine Blechlawine haben und müssen dafür sorgen, dass die Lebensqualität für die Anwohner verbessert wird.

Planung und Umsetzung waren also nach Ihrer Meinung schlecht?

Sekmen: Nein, man hätte es aber besser machen können. Wir brauchen einen Verkehrsplan für die ganze Stadt. Wir müssen schauen: Wie viele Autos kommen von Norden und Süden rein? Und wie kann ich die lenken? Wir bräuchten dafür einen Verkehrsmanager.

Auch der Güterverkehr setzt den Leuten zu.

Sekmen: Der Umstieg des Güterverkehrs von der Straße auf die Schiene kann nur funktionieren, wenn das für die Menschen erträglich ist. Ohne Lärmschutz geht das nicht. Deshalb müssen wir die Tunnellösung ernsthaft überlegen. Schauen Sie sich doch die Strecke zwischen Waldhof und Schönau an: Dort sind fast nur Wohnhäuser. Deshalb finde ich es gut, dass die Stadt Klage eingereicht hat und auf einer Tunnellösung beharrt. Ich werde mich dafür natürlich auch in Berlin einsetzen.

Ihren Posten als Stadträtin haben Sie aber aufgegeben.

Sekmen: Schweren Herzens. Beide Mandate zusammen, das geht einfach nicht. Aber ich bin in Berlin natürlich für Mannheim unterwegs. Denn mein Lebensmittelpunkt bleibt Mannheim, und die Anliegen der Menschen sind mir eine Herzensangelegenheit.

Könnte es sein, dass Sie auf einem anderen Weg wieder nach Mannheim zurückkehren? Nächstes Jahr steht ja die OB-Wahl an.

Sekmen: Jetzt ist wirklich nicht die richtige Zeit, um über solche Personalentscheidungen zu reden.

Hört sich nicht wie ein klares Dementi an. Wäre der OB-Posten für Sie prinzipiell reizvoll?

Sekmen: Ich arbeite jetzt erst einmal am zweiten Entlastungspaket weiter. Wenn die Zeit reif ist für Personalentscheidungen, gebe ich Ihnen Bescheid.

Redaktion Reporter für Politik und Wirtschaft

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