Debatte um Studien - Laut Fahrrad-Monitor sind Mannheimerinnen und Mannheimer häufiger mit dem Rad unterwegs als Menschen in anderen Großstädten - doch das Bündnis Fahrradstadt übt Kritik.

Fahren Mannheimer wirklich häufiger Fahrrad als andere?

Von 
Stefanie Ball
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Mannheim. Ist es korrekt zu sagen, dass die Mannheimerinnen und Mannheimer begeisterte Radfahrer sind und häufiger mit dem Fahrrad fahren als andere Großstädter? An dieser Aussage, die Tim Gensheimer vom Heidelberger Sinus-Institut sowie Mannheims Bürgermeister Ralf Eisenhauer Anfang Januar auf Basis von Umfrageergebnissen getroffen haben, gibt es seitens des Bündnis Fahrradstadt Kritik. Wer recht hat? Das ist nicht einfach zu beantworten. Vor allem eins zeigt die Debatte: Wie groß der Interpretationsspielraum von Statistiken ist. Aber von vorne.

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Anfang Januar legt das Sinus-Institut den Fahrrad-Monitor vor, eine Studie, die das Heidelberger Markt- und Sozialforschungsinstitut seit 2009 regelmäßig im Auftrag des Bundesverkehrsministeriums erstellt. Er liefert ein „subjektives Stimmungsbild“ der Radfahrerinnen und Radfahrer in Deutschland. Erfasst wird, wer ein Rad hat und sich eines kaufen will, wer Radurlaube plant, einen Helm trägt und welche Forderungen die Bürgerinnen und Bürger an die Politik haben, etwa mehr Radwege und Abstellanlagen zu bauen. Daneben geht es um die Nutzung: Wer fährt schon jetzt (regelmäßig) Rad und will das in Zukunft (verstärkt) tun? Neben der bundesweiten Erhebung, für die im vergangenen Frühsommer 3107 Menschen online befragt wurden, hat das Sinus-Institut Städten einen Aufstockerbericht angeboten. Davon haben allerdings nur sehr wenige - nämlich fünf - Gebrauch gemacht, eine ist Mannheim. Hier wurden zusätzlich noch einmal 300 Personen befragt.

Schneidet Mannheim im Vergleich zu anderen wirklich besser ab ?

Das Ergebnis: 58 Prozent der Befragten in Mannheim geben an, das Fahrrad mindestens ein paar Mal im Monat als Verkehrsmittel zu nutzen.

Sie fahren also mit dem Rad anstatt mit dem Auto zur Arbeit oder zum Einkaufen. Im bundesweiten Vergleich sind es 50 Prozent bezogen auf Städte mit 100 000 bis 500 000 Einwohnern. Mit Pedelec (das Elektrorad) kommt Mannheim auf einen Wert von 67 Prozent (Nutzung als Verkehrsmittel mindestens ein paar Mal im Monat). Der deutschlandweite Durchschnitt liegt bei 60 Prozent. Tatsächlich schneidet Mannheim vordergründig also besser ab. Nur: Mannheim misst sich in der Sinus-Studie nicht mit realen Städten, sondern mit einem statistisch berechneten Mittelwert. Es wurden nicht Einwohnerinnen und Einwohner aus Ort X befragt, wie oft sie das Rad nutzen, um zur Arbeit zu kommen, sondern 3000 Bürger irgendwo in Deutschland. Sie haben angegeben, wie groß die Stadt ist, in der sie leben, und dann wurde ein Durchschnitt gebildet.

Das sei „eine recht breite Kategorie mit sehr unterschiedlichen Städten“, erklärt Tim Gensheimer vom Sinus-Institut auf Nachfrage. Auch die Topographie wurde bei dem Mittelwert nicht einbezogen, ein wichtiger Faktor - neben dem Wetter -, der bei der Nutzung des Rades als Verkehrsmittel entscheidend sein dürfte. Theoretisch vergleicht sich also Mannheim mit einer mittelgroßen Stadt im Sauerland, wo sich allein schon die Berge als natürliche Hindernisse dem Radfahrer entgegenstellen. Ganz anders als im recht großen Mannheim, das aufgrund von Topographie (durchgehend flach) und Wetter (mit das beste, das Deutschland zu bieten hat) ideale Voraussetzungen fürs Radfahren bietet.

Trotzdem ist laut Sinus-Institut ein Vergleich Mannheims mit einem Durchschnittswert von anderen Großstädten zulässig. Eine weitergehende Differenzierung lasse der Fahrrad-Monitor schlicht nicht zu. „Die Nutzungshäufigkeit des Fahrrades oder anderer Verkehrsmittel stellt nur einen von vielen Punkten im Fahrrad-Monitor dar“, so Tim Gensheimer. Eigentlich fokussiere sich die Studie ohnehin eher auf ein stadtspezifisches Stimmungsbild der Bürgerinnen und Bürger zum Thema Radfahren - um Wachstumspotenzial oder Verbesserungswünsche zu erfassen.

Fahrrad-Monitor und "Mobilität in Städten" - zwei Studien im Vergleich

Genau das hält René Leicht, Soziologe und Mitglied im Bündnis Fahrradstadt Mannheim, für kritisch: Dass der Fahrrad-Monitor nur bedingt Aussagen zur Fahrradnutzung liefert, Gensheimer und die Stadtverwaltung die Studie dennoch dafür heranziehen. „Mannheim ist leider kein Fahrrad-Paradies“, sagt Leicht und verweist auf eine andere Studie. Die heißt „Mobilität in Städten“ (SrV) und wird von der Technischen Universität (TU) Dresden alle fünf Jahre durchgeführt. Die jüngste stammt aus dem Jahr 2018.

Rund 187 000 Personen in 135 Städten und Gemeinden wurden befragt, also deutlich mehr als beim Fahrrad-Monitor. Die Teilnehmer haben auch nicht ihre subjektive Einschätzung zur Radnutzung abgegeben, sondern mussten für einen Stichtag protokollieren, mit welchem Verkehrsmittel sie wohin gefahren waren. Ein Blick in die Daten zeigt: Mannheim radelt unter vergleichbaren Städten eher im Schlussfeld. In der Kategorie sogenannter Oberzentren bis 500 000 Einwohnern, die eine flache Topographie aufweisen, finden sich neben Mannheim acht westdeutsche Kommunen, darunter die Nachbarstädte Ludwigshafen, Heidelberg, Karlsruhe und Darmstadt. Sowohl bei der täglichen oder fast täglichen Nutzung des Rades als auch bei der spezifischen Verkehrsleistung - gemeint sind die an einem Werktag mit dem Rad zurückgelegten Kilometer - liegt Mannheim auf den hinteren Rängen. Bezieht man hügelige Städte des Südwestens mit ein, zum Beispiel Offenburg, Tübingen und Konstanz, fällt Mannheim sogar noch weiter zurück.

Neue Erkenntnisse und Reaktion der Stadt Mannheim

„Zu behaupten, dass die Mannheimer häufiger mit dem Rad fahren als andere Großstädter, ist also schlicht falsch“, betont Leicht. Eine solche Aussage sei umso tragischer, da sie „diejenigen beruhigt, wenn nicht gar befüttert, die an der bisher wenig erfolgreichen Radverkehrspolitik festhalten und wenig in Richtung einer Verkehrswende investieren möchten“.

Was sagt die Stadt dazu? Sie hält die Studien, Fahrrad-Monitor und SrV-Erhebung, für nicht vergleichbar, da sie verschiedene Untersuchungsinhalte hätten. Zur Methodik des Fahrrad-Monitors wolle man sich nicht weiter äußern. Man freue sich aber über die Erkenntnisse, sagt Stadtsprecher Leonhard Weiche. „Wir sehen die gewonnenen Erkenntnisse gleichwohl aber auch als Ansporn, in Mannheim noch fahrradfreundlicher zu werden.“

Freie Autorin

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