Mannheim. „Die Kammer hat keinen Zweifel“, dass der 23-jährige Anil A. in der Nacht zum 30. Oktober 2021 einem Kumpel aus dem Knast von hinten ein Messer erst in den Rücken und dann in den Arm gerammt hat. Der Vorsitzende Richter Gerd Rackwitz wertet die Ergebnisse der Beweisaufnahme trotz aller Schwierigkeiten als „eindeutig“. Auch wenn die Strafkammer 1 des Mannheimer Landgerichtes von dem Anklagevorwurf des versuchten Mordes abrückt, so sieht sie für die gefährliche Körperverletzung eine Haftstrafe von sieben Jahren und zehn Monaten als angemessen - auch wegen einschlägiger Vorstrafen.
Der Urteilsbegründung schickt der Vorsitzende Richter einige Bemerkungen zu den „erstaunlichen Erinnerungslücken“ so mancher Zeugen beziehungsweise deren Aussageverweigerung voraus. Bei der Aufklärung von Straftaten, so Rackwitz, sei die Justiz auf die Mitarbeit jener Menschen angewiesen, die zum Sachverhalt beitragen können. Wenn es nicht anders gehe, müssten deshalb Aussagen mit rechtlichen Mitteln erzwungen werden. In dem Prozess hatten zunächst der niedergestochene Landsmann des Angeklagten wie auch der 16-jährige Cousin des Opfers beharrlich geschwiegen und wollten von ihren konkreten Angaben im Polizeirevier nichts mehr wissen. Während verhängtes Ordnungsgeld die beiden nur wenig beeindruckte, bewirkte angeordnete Beugehaft einen Sinneswandel.
Stich erfolgte von hinten
Nach Ansicht der Strafkammer hat sich die Messerattacke samt Vorgeschichte folgendermaßen abgespielt: In den Abendstunden des 29. Oktober griff Anil A. einen 16-jährigen Schüler an, verpasste ihm einen Faustschlag, zog ihn an den Haaren und fuchtelte mit einem Messer. Als der ältere Cousin davon erfuhr, beauftragte er einen Kumpel, den beide kannten, eine Aussprache zu vermitteln. Die Drei trafen sich gegen 2.45 Uhr im Quadrat A 5 vor der Uni-Bibliothek. Allerdings hatte Anil A. kein Interesse an dem vorgeschlagenen Faustkampf, sondern entschuldigte sich für seinen abendlichen Angriff auf den Schüler - worauf sich der ältere Cousin umdrehte und ging. Warum der 23-Jährige dann doch das Messer zog und von hinten zustach, blieb im Prozess offen - auch weil der Angeklagte sein Recht auf Schweigen in Anspruch nahm.
Bei der Strafzumessung hat laut Vorsitzendem Richter eine entscheidende Rolle gespielt, dass Anil A. erst vier Monate vor der Messerattacke auf Bewährung aus dem Gefängnis entlassen worden war, nicht das erste Mal von hinten zugestochen hat, und außerdem der glimpfliche Ausgang einer Not-OP zu verdanken ist, somit also eine Tötung billigend in Kauf genommen wurde.
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Auch am letzten Prozesstag sitzt die Familie des jungen Angeklagten im Saal. Die Mutter reagiert auf das Urteil mit Schreien und Weinkrämpfen. Sie lässt sich nicht beruhigen, sodass ein Krankenwagen gerufen werden muss. Den emotionalen Zusammenbruch hat vermutlich nicht nur das Urteil ausgelöst. Anil A., der zwar hier aufgewachsen ist, aber keine deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, muss damit rechnen, in die Türkei abgeschoben zu werden.
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