"MM"-Edition "Epoche"

Mauerbau, Beatles, Mondlandung: Wie die 1960er zum Jahrzehnt des Aufbruchs wurden

Sie waren ein Jahrzehnt des Aufbruchs und der Umbrüche: die 1960er Jahre. Die dritte Folge der "MM"-Edition "Epoche" widmet sich der Dekade zwischen Mauerbau und Mondlandung

Von 
Konstantin Groß
Lesedauer: 
Inbegriff für Musik der 60er: die Beatles (hier 1963) mit John Lennon (v. l.), Ringo Starr, Paul McCartney und George Harrison. © Archiv

Mannheim. Es gibt Ereignisse, von denen weiß jeder Mensch, wie und wo er sie verbracht hat. Bei denen, die damals bereits leben, gilt dies mit Sicherheit für den 21. Juli 1969: die Nacht der Mondlandung. Der Spaziergang eines Menschen auf einem anderen Planeten im letzten Jahr der 1960er macht diese endgültig zum Jahrzehnt des Aufbruchs. Die Sonderausgabe des „MM“ zu diesem Ereignis ist daher natürlich Teil der neuen Folge unserer Edition „Epoche“, die sich den 1960er Jahren widmet.

Die 28 „MM“-Seiten zeugen von jenen Momenten, in denen die Welt den Atem anhält: Etwa am 13. August 1961, als die Sowjets in Berlin die Mauer errichten und damit die Hauptstadt endgültig teilen. Oder im Jahr darauf, als die Menschheit am Rande des Dritten Weltkrieges steht: Die Sowjets wollen auf Kuba, wo ihr Gefolgsmann Fidel Castro an der Macht ist, Atomraketen stationieren, die es bis in die USA schaffen können; erst in letzter Minute lenken sie ein - nach einem Ultimatum des amerikanischen Präsidenten.

Schock über Kennedy-Ermordung

Dieses Amt hat ab 1961 ein Politiker neuen Typs inne: John F. Kennedy. Seine Erscheinung, seine Rhetorik begeistern, auch im geteilten Berlin bei seinem umjubelten Besuch mit einem jener Sätze, die für die Ewigkeit gesprochen werden: „Ich bin ein Berliner“. Seine Ermordung kurz danach schockiert die Welt. „Der Mann, der Frieden wollte“ lautet die Überschrift des Nachrufes im „MM“.

Und in Deutschland? Mit dem Rücktritt des greisen Kanzlers Konrad Adenauer 1963, jedoch spätestens mit seinem Tode 1967, dem der „MM“ damals die gesamte erste Seite widmet, endet definitiv die Nachkriegszeit. Personelle Altlasten jedoch bleiben. Kanzler wird 1966 ein CDU-Mann mit brauner Vergangenheit: Kurt Georg Kiesinger, ab 1933 in der NSDAP und Propagandareferent im Auswärtigen Amt der Nazis.

© Grafik MM

Derartige braune Vergangenheiten stören damals eben wenige; zu viele in diesen Generationen haben selbst eine. Aufarbeitung der NS-Zeit - gesellschaftlich daher Fehlanzeige, juristisch zaghaft. 1963 beginnt in Frankfurt der große Auschwitz-Prozess. Fast 20 Jahre dauerte es also, bis Beteiligte an der Ermordung von Millionen Juden vor Gericht gestellt werden - ein Verfahren, von Altnazis in Politik und Justiz, Polizei und Geheimdiensten viel zu lange verschleppt. Auch die Urteile sind skandalös: Drei der 20 Angeklagten werden freigesprochen, nur sechs zu lebenslanger Haft verurteilt und von denen auch noch die Hälfte vorzeitig entlassen.

Junge Menschen sind schockiert - über das, was sie durch den Prozess erfahren, aber auch über das Schweigen oder gar die dickfelligen Rechtfertigungen ihrer Eltern und Großeltern. Dieses Verhalten, es ist einer der Gründe für den Protest der sogenannten „68er“ - neben dem Krieg der USA in Vietnam, der über das neue Massenmedium Fernsehen ins Wohnzimmer flimmert.

Und natürlich der Reformstau, vor allem an den Universitäten, aus denen sich die meisten Protestierer rekrutieren: „Unter den Talaren, Muff von tausend Jahren“ heißt eine legendäre Losung. Die Lage explodiert, als in Berlin der Student Benno Ohnesorg erschossen wird - durch einen Polizisten. Erst Jahrzehnte später wird man erfahren, dass es sich bei dem Beamten um einen Stasi-Spitzel handelte, einen Agent provocateur.

„Epoche – die 1960er“

  • Inhalt: 28 Seiten mit Nachdrucken aus „MM“-Seiten der 1960er Jahre sowie zwei Seiten Einordnung in den historischen Zusammenhang.
  • Idee und Auswahl: Reimund Dunschen, „MM“-Archiv.
  • Historische Einordnung: „MM“-Redakteure Konstantin Groß (International/Deutschland) und Peter W. Ragge (Mannheim).
  • Preis: 11,90 Euro.
  • Bisher erschienen: 1940er und 1950er Jahre.
  • Weitere Infos: meinmorgen.app/epoche oder Telefon 0621/392-2097

Die Wirtschaft floriert, dank der Arbeitskräfte aus dem Süden Europas, ohne die es nicht gehen würde. „Der Arbeitsmarkt ist leer gefegt“, schlägt der „MM“ in seinem Bericht am 13. August 1963 Alarm, beruhigt jedoch: „Die Werber trommeln jetzt in der Türkei.“ Der millionste „Gastarbeiter“ Armando Rodrigues de Sa aus Portugal wird 1964 am Kölner Bahnhof sogar mit einem Moped als Geschenk empfangen. Ansonsten kümmert sich die Gesellschaft kaum um sie: „Wir holten Arbeitskräfte, doch es kamen Menschen“, formuliert der Schriftsteller Max Frisch schon 1964. Eine gesellschaftspolitische Hypothek bis heute.

In den 1960er Jahren vollzieht sich ein kultureller Umbruch vor allem in der Musik. Gruppen wie die Rolling Stones erobern die Hitparaden und die Herzen der jungen Generation - und schockieren deren Eltern. Obwohl gerade die frühen Beatles mit ihren Anzügen und Krawatten aus unserer heutigen Perspektive ja fast bieder erscheinen.

Mehr zum Thema

Historisches

„Epoche“ - Geschichten aus acht Jahrzehnten "Mannheimer Morgen"

Veröffentlicht
Von
Stephan Eisner
Mehr erfahren
"Epoche"

Die 1950er Jahre: Ein Blick aus Mannheim in eine widersprüchliche Zeit

Veröffentlicht
Von
Konstantin Groß
Mehr erfahren

Fast sind sie sogar in Mannheim - aber eben nur fast: Am 27. Juni 1966 berichtet der „MM“, dass die Pilzköpfe auf dem Güterzuggleis nach Ludwigshafen fuhren und nicht auf dem Mannheimer Hauptbahnhof Halt machten. Die Wut der 2000 enttäuschten Fans richtet sich gegen den „MM“, der auf Basis entsprechender Infos der Bundesbahn einen Halt angekündigt hatte. Einige von ihnen stürmen die Rotation im Pressehaus am Marktplatz und können nur mit einem Großaufgebot der Polizei entfernt werden.

Siegeszug des Minirocks

Und sonst? Die Haare der Männer werden länger, die Röcke der Frauen kürzer. Der Minirock tritt seinen Siegeszug an. Und auch sonst wird das Leben freizügiger, 1961 die Anti-Baby-Pille zugelassen. Und 1962 eröffnet Beate Uhse ihr erstes „Fachgeschäft für Ehehygiene“.

Die Inserate der Mannheimer Kinos, wohlgemerkt der seriösen, vom 27. Oktober 1967 zeugen von erstaunlicher Freizügigkeit: „Helga. Aus der Intimsphäre einer jungen Frau“, ist im Großen Haus des „Planken“-Kinos zu sehen. Das „Alhambra“ wirbt für den Streifen „Liebe 1-1000. In schonungsloser Ungeniertheit Striptease, Vorführungen und Liebesspiele auf einer typisch schwedischen Sexparty“.

Doch ganz ist die traditionelle Ehewelt noch nicht aus den Fugen. Eine Anzeige für das Shampoo „Seborin“ vom 24. März 1960 zeigt neben dem grimmig dreinblickenden Mann seine Frau - in der Sprechblase ihre besorgte Frage: „Was gefällt ihm heute nicht an mir?“

Autor

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen