Mannheim. Was fällt Ihnen ein, wenn Sie an die 1950er Jahre denken? Sicher der Kabinenroller und die Isetta, Nierentisch und tütenförmige Stehlampe, Peter Alexander und Romy Schneider, WM-Sieg in Bern und - politisch - der alte Adenauer.
Wer sich für diese Zeit interessiert, der kommt bei der zweiten Folge des „MM“-Projektes „Epoche“ voll auf seine Kosten: Denn nach der im November erschienenen ersten Folge zu den 1940er Jahren wird nun das folgende Jahrzehnt behandelt. In einer Beilage mit Reproduktionen von 30 Original-Zeitungsseiten aus dem „MM“-Archiv, äußerlich attraktiv in einer Sammelbox präsentiert, aber vor allem inhaltlich hochspannend.
Angst in Europa
Diese „MM“-Seiten entführen uns nämlich in Zeiten, die zwar ein Menschenalter zurückliegen, uns aber dennoch in manchen Punkten bedrückend aktuell erscheinen. Denn in Europa herrscht auch damals Angst: Konfrontation zwischen Ost und West, „Kalter Krieg“, der manchmal sogar heiß wird. „Die Volkspolizei feuerte in die Menge, sowjetische Panzer griffen ein“, titelt der „MM“ am Tag nach dem gescheiterten Volksaufstand in der DDR vom 17. Juni 1953.
Das ist "MM-Epoche"
- Für „MM“-Epoche blickt der „Mannheimer Morgen“ in sein eigenes Archiv, wählt interessante Zeitungsseiten aus den 1940er bis zu den 2010er Jahren aus und stellt diese zu Ausgaben zusammen, die jeweils ein Jahrzehnt umfassen.
- Starter-Paket: Die ersten beiden Ausgaben mit Klappschachteln und hochwertiger Sammelbox kosten 27,80 Euro. Mit Ihrer Premium-Karte sichern Sie sich 3,30 Euro.
- Vorteils-Set: Mit bis zu 25 Euro Ersparnis bestehend aus Starter-Paket und den Folgeausgaben 3 bis 8, die versandkostenfrei nach Hause geliefert werden. Preis: 99,20 Euro. Mit Ihrer Premium-Karte sichern Sie sich 11,70 Euro Rabatt.
- Im Service- und Ticketshop des „MM“ und unter meinmorgen.app/epoche erhältlich.
Die Bedrohung hat Folgen: „Abstimmung über die Wehrpflicht“ lautet die Schlagzeile am 7. Juli 1956. Nur elf Jahre nach Kriegsende müssen Männer ab 18 wieder zu den Waffen. „Die Weltlage realistisch sehen“, zitiert der „MM“ Bundeskanzler Konrad Adenauer - quasi die damalige Version einer „Zeitenwende“-Rede.
Dabei sind die Wunden des letzten Krieges noch nicht verheilt, die Städte, auch Mannheim, Trümmerwüsten. Nur langsam beginnt der Wiederaufbau. „Kurpfalzbrücke feierlich dem Verkehr übergeben“, heißt es am 1. September 1950 neben einem Foto von Bundespräsident Theodor Heuss, der aus diesem Anlass anreist.
An manchen Orten richtet der Wiederaufbau stadtgestalterisch gesehen neue Schäden an. In Mannheim kann das Schlimmste zumindest an einigen Stellen verhindert werden. „Der alte Wasserturm liegt meilenweit in Führung“, vermeldet der „MM“ am 19. Mai 1956 über das Ergebnis einer Umfrage zum Wiederaufaufbau des Wahrzeichens. Denn der moderne Entwurf, an eine Raumstation erinnernd, fällt durch.
Und dann das zweite Herzensanliegen der Mannheimer: „Der Oberbürgermeister mit Bauchladen und Zylinder“ heißt es am 28. April 1952 zum Start der Tombola für den Neubau des Nationaltheaters. Mit einer zweiten Aktion 1956 bringen die Bürger insgesamt eine Million D-Mark für ihre Bühne auf, die 1957 eröffnet wird.
"Rheinterrassen" locken mit Tanztee
Und dies, obwohl viele Menschen nach wie vor andere, sehr existenzielle Sorgen haben, weil ihnen buchstäblich das Dach über dem Kopf fehlt. „Noch 16 000 Mannheimer suchen eine Wohnung“, verkündet ein „MM“-Bericht am 12. Februar 1956.
Für Ablenkung sorgt vor allem das Kino. Die Inserate auf der Seite vom 31. Mai 1958 sind mindestens so interessant wie die journalistischen Artikel. Der Leser stößt auf mehr als ein Dutzend Kinos: Planken, Alster, Scala, Schauburg, Palast, Alhambra, Universum, Capitol etc. Die „Rheinterrassen“ auf dem Lindenhof wiederum locken ab 16 Uhr mit einem Tanztee, ein anderes Inserat wirbt für eine dreitägige Busreise an den Bodensee und das Nebelhorn. Preis: 49 D-Mark.
Und natürlich der Sport! Die vom Mannheimer Sepp Herberger trainierte Fußball-Nationalmannschaft holt 1954 den WM-Titel. „Und dann klang aus 15 000 deutschen Kehlen ,Deutschland, Deutschland über alles’“, berichtet aus Bern „MM“-Redakteur Heinz Schneekloth - aus heutiger Sicht zu unkritisch - über das Anstimmen des unseligen Textes in der ersten Strophe der Nationalhymne.
"MM" berichtet über Kreisverband der Deutschen Soldaten
Doch das trifft den Nerv der Zeit. Längst ist die Phase der Entnazifizierung vorbei. Die Geister von früher melden sich zurück. Im Hotel Wartburg versammelt sich, wie der „MM“ am 28. April 1952 berichtet, der Kreisverband der Deutschen Soldaten. Die Anwesenden erheben sich - Zitat - „zu Ehren der sogenannten Kriegsverbrecher“, erklären ihre Solidarität mit einem Mannheimer SS-Mann, der in einem KZ Dienst tat.
Auf Bundesebene ist Konrad Adenauer (CDU) prägende Gestalt der 1950er, zu deren Mitte bereits 80 Jahre alt. Im Dritten Reich kein Nazi, gelingt ihm nicht nur der Aufbau der Demokratie, sondern auch die Rückführung Deutschlands in die freie Welt: durch Wiedergutmachungsabkommen mit Israel sowie Beitritt in die damalige EWG und in die NATO.
„Heimkehr der 10 000“
1955 erreicht der Kanzler bei einem Besuch in Moskau die „Freilassung der 10 000“, der letzten überlebenden deutschen Kriegsgefangenen in Russland. „Heimkehrer jubelnd empfangen“, berichtet der „MM“ am 10. Oktober 1955. Für sie bedeutet es Freiheit nach mehr als zehn Jahren Haft in Sibirien, für das kollektive Bewusstsein der Deutschen damals ein unvergessliches emotionales Ereignis. Es gilt bis heute als die größte Leistung Adenauers. Das Volk dankt es dem alten Kanzler bei der Bundestagswahl zwei Jahre danach: „Die CDU/CSU hat die absolute Mehrheit“ titelt der „MM“ am 17. September 1957. Nie mehr schafft eine Partei auf Bundesebene ein solches Ergebnis.
Das gesellschaftliche Klima jedoch bleibt in der Ära des bekennenden Katholiken bleiern, die Frau etwa auch rechtlich auf Heim und Herd beschränkt. Die „MM“-„Seite für die Frau“ vom 19. November 1959 offenbart diese Sicht in ihren Überschriften zu Themen wie „Das Oberhemd ist knitterfrei“. Das alles wird sich erst in den späten 1960er Jahren ändern - auch dies erneut dargestellt in der dann dritten Folge des Projektes „Epoche“ in knapp drei Monaten.
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