"Queer im Leben"

Marchivum-Ausstellung dokumentiert Verfolgung von Homosexuellen

In der Sonderausstellung „Queer im Leben“ wird im Mannheimer Marchivum die Geschichte von Menschen gewürdigt, die wegen ihrer Sexualität unter der Verfolgung durch das NS-Regime und darüber hinaus litten

Von 
Waltraud Kirsch-Mayer
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„Queer im Leben“: Historiker Andreas Schenk (l.) mit Richard Meyer, von dem ein Zeitzeugen-Beitrag zu dem Theatermann Dietmar Bertko stammt. © Kathrin Schwab/Marchivum

Mannheim. Gerade mal 17 war er bei seiner Zwangssterilisation. Nach mehreren Verurteilungen auf Grundlage jenes Strafparagrafen, der Homosexualität kriminalisierte, folgte die Verschleppung. 1944 ist der 27-Jährige von den Nazis im KZ Mauthausen ermordet worden. Das Schicksal des aus Ludwigshafen stammenden Otto Scheuerbrand wird neben anderen Biografien in der Marchivum-Sonderausstellung „Queer im Leben“ erzählt.

Als 2022 das gleichnamige 340-Seiten-Buch mit dem Untertitel „Geschlechtliche und sexuelle Vielfalt in Geschichte und Gegenwart der Rhein-Neckar-Region“ in der Marchivum-Schriftenreihe herauskam, reifte bei Historiker Andreas Schenk die Idee einer ergänzenden Ausstellung. Und die präsentiert sich noch bis 1. September im Bunker der Stadtgeschichte. Wege und Stationen einzelner Schicksale verknüpft mit gesellschaftlichen Entwicklungen können abgelaufen und vertieft werden. Farbige Bodenmarkierungen geben Orientierung: Rot steht für Verfolgung, Blau für Emanzipation. Und manchmal überlagert Biografie - Gelb -, wenn Menschen, die Diskriminierung erlebt und überlebt haben, zu Aktivisten wurden.

Dass nicht nur im Kaiserreich und insbesondere während des Nationalsozialismus homosexuelle Männer verfolgt und bestraft wurden, sondern auch im Nachkriegsdeutschland, davon kündet das Leben des Wahl-Mannheimers Klaus Schirdewahn. Der gebürtige Ludwigshafener war noch keine 18, als er 1964 mit seinem (volljährigen) Freund aufgegriffen und verurteilt wurde. Statt einer Gefängnisstrafe - wie sie der mitangeklagte 21-Jährige absitzen musste - bekam er eine „Heil-Behandlung“ verordnet.

Paragraf 175 wurde erst 1994 aus dem Strafgesetzbuch entfernt

Auf Drängen des „Therapeuten“ wie der Eltern heiratete er. Knapp sechs Jahrzehnte später sollte Klaus Schirdewahn bei einer Rede im Bundestag zurückblicken: „Noch vor wenigen Jahren war ich tief in meinem Inneren verunsichert, schämte mich meiner Gefühle, versteckte mich, war immer auf der Hut, nur ja nichts Falsches zu sagen …“ Von Anschuldigungen wie „Schande“, „Todsünde“, „Verbrechen“, berichtete er, sie trieben ihn in Depressionen und körperliche Schmerzen. Schließlich ist die verschärfte Nazi-Fassung des Paragrafen 175 noch bis 1969 gültig gewesen, erfolgte das komplette Entfernen aus dem Strafgesetzbuch erst 1994. Und danach sollte es bis 2017 dauern, ehe Schuldsprüche, auch der von Schirdewahn, aufgehoben wurden.

Die Ausstellung

  • „Queer im Leben“ läuft bis 1.Septemer im Marchivum (Archivplatz 1), dienstags sowie donnerstags bis sonntags 10 bis 18 Uhr, mittwochs bis 20 Uhr.
  • Der Eintritt, neun Euro, beinhaltet die Dauerausstellungen.
  • Als Kurator führt der promovierte Historiker Andreas Schenk am Sonntag, 25. August, um 11 Uhr und zum Abschluss am 1. September um 16 Uhr durch die Sonderausstellung. 

Heute engagiert sich der Mittsiebziger für schwule Männer seines Alters in der Selbsthilfegruppe „Gay&Grey“. Er hält auch mit jungen queeren Menschen Kontakt und stellt häufig fest, dass diese wenig Ahnung davon haben, wie es war, in Lokalen eine Razzia befürchten zu müssen. Zum Thema „Treffpunkte“ informiert die Ausstellung: Auf einem Tisch mit den Innenstadtquadraten sind Standorte samt Informationen einstiger Örtlichkeiten für „Gleichgesinnte“ festgehalten. Dazu gehörte das „Hotel Central“ am Tattersall, das 1933 als Lokalität des „Bundes für Menschenrechte“ firmierte. Erst in den 1980ern sollten sich Kneipen wie das „Schwumuckl“, zunächst in der Amerikanerstraße, offen präsentieren.

Beim Ausstellungsrundgang begegnen einem geschichtsträchtige Promis: Beispielsweise August Wilhelm Iffland , dessen Namen mit dem (Finger-)Ring für den „würdigsten Bühnenkünstler des deutschsprachigen Theaters“ verbunden ist und in Mannheim an die bejubelte Uraufführung von Schillers „Die Räuber“ erinnert. Schließlich hat der Schauspieler, Intendant und Dramaturg in dem Sturm-und-Drang-Stück 1782 als Franz Moor begeistert. Star auf der Bühne hin, offiziell verheiratet her: Iffland war Attacken wegen seiner vermuteten Homosexualität ausgesetzt.

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Auf die spielte Heinrich von Kleist in einem Brief spitzzüngig an - nicht von ungefähr. Iffland hatte Kleists Ritterschauspiel „Käthchen von Heilbronn“ abgelehnt, sodass dieser ihm schrieb: „Wohlgeboren haben mir (…) das Käthchen von Heilbronn mit der Äußerung zurückgeben lassen: Es gefiele Ihnen nicht. Es tut mir leid die Wahrheit zu sagen, dass es ein Mädchen ist - wenn es ein Junge gewesen wäre, so würde es (…) wahrscheinlich besser gefallen.“ Kleists hämischer Brief sollte die Runde machen.

Dass lesbische Frauen weitgehend unterm Radar der Öffentlichkeit blieben, hatte auch damit zu tun, dass der 1871 eingeführte Paragraf 175 „widernatürliche Unzucht“ zwischen Männern unter Strafe stellte. Was ebenfalls für männlich geborene Transmenschen galt, auch wenn es diesen Begriff noch gar nicht gab.

Dokumentiert ist das Schicksal von Liddy Bacroff, die 1908 als Junge auf die Welt kam, aber schon früh durch mädchenhaftes Verhalten auffiel und in eine Erziehungsanstalt kam. Nach einer vom Mannheimer Amtsgericht verhängten zweimonatigen Gefängnisstrafe zog sie nach Hamburg, um in einer sogenannten Travestie-Bar mit anderen „Damenimitatoren“ aufzutreten. Nach der Machtergreifung der Nazis ist Liddy mehrfach verurteilt worden, 1938 als „gefährlicher Gewohnheitsverbrecher“. Die als Heinrich zur Welt gekommene Liddy, die seit ihrer Kindheit nach Identität und einem Platz im Leben suchte, wurde mit 34 Jahren im KZ ermordet.

Ausstellung dokumentiert, wie queere Communitys entstanden

Zur Ausstellung gehören auch Zeitzeugengespräche zum Abspielen: Beispielsweise berichtet Jurist Richard Meyer über seinen einstigen Partner und seine große Liebe Dietmar Bertko, dessen Geschichte einen Roman füllen würde: Der Tänzer am Ost-Berliner Friedrichsstadt-Palast musste nach einer gescheiterten Republikflucht ins Gefängnis, wurde 1977 freigekauft, kam ans Mannheimer Nationaltheater, wo er als Schneider wie Kostümmaler arbeitete und später zum Personalratsvorsitzenden gewählt wurde.

Aus seiner Homosexualität machte er nie einen Hehl. Aids sollte sein bewegtes Leben mit 37 Jahren beenden. Die einst tödliche Infektionskrankheit, die sich heute effektiv behandeln lässt - auch sie ist Thema. Und natürlich dokumentiert die Ausstellung, wie queere Communitys entstanden sind und was sie erreicht haben - auch in der Rhein-Neckar-Region, aber keineswegs weltweit.

Freie Autorin

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