Hartwig Lüdtke
- Hartwig Lüdtke, Jahrgang 1954, studierte Vor- und Frühgeschichte, Geografie und Pädagogik unter anderem in Hamburg und Mainz.
- 1982 Promotion über mittelalterliche Keramik, Tätigkeit am Archäologischen Landesmuseum Schloss Gottorf.
- Nach Stationen als Direktor des Rheinischen Landesmuseums in Bonn und in der Funktion des Generaldirektors der Museumsstiftung Post und Telekommunikation kam Hartwig Lüdtke 2006 nach Mannheim.
- So ist er seit dem Jahr 2000 Mitglied der deutschen UNESCO-Kommission, die er als Vizepräsident (seit 2014) mit leitet.
- Das Technoseum wird von einer gemeinsamen Stiftung des Lands Baden-Württemberg und der Stadt Mannheim getragen. Dem Stiftungsrat sitzen Wissenschaftsministerin Petra Olschowski (Grüne) und Bürgermeister Michael Grötsch (CDU) im jährlichen Wechsel vor.
- Auf rund 9000 Quadratmetern Ausstellungsfläche zeigt das Haus mit 133 Mitarbeitern (72 Vollzeitstellen) die Technik- und Sozialgeschichte vom 18. Jahrhundert bis heute.
- Über die Stiftung erhält das Museum jährlich derzeit 3,5 Millionen Euro von der Stadt und sieben Millionen Euro vom Land. Hinzu kommen Projektmittel (zum Beispiel für Sonderausstellungen) und eigene Einnahmen. lang
Mannheim. Nach 16 Jahren an der Spitze des Technoseums verabschiedet sich Professor Hartwig Lüdtke heute in den Ruhestand. Der studierte Archäologe aus Hamburg spricht im Interview über die „DNA“ des Mannheimer Landesmuseums für Technik und Arbeit: die Darstellung der Technik-Geschichte und ihrer sozialen Auswirkungen und die Transformation des Hauses vom Vorführ- zum Mitmach-Museum, das deutschlandweit mit das jüngste und diverseste Publikum eines Museums überhaupt haben dürfte.
2006 haben Sie von Ihrem Vorgänger Gerhard Selmayr ein zwar angeschlagenes, aber bereits halbwegs auf Kurs gebrachtes Haus übernommen und konnten nun selbst vor Ihrem Ausscheiden mit der anstehenden Erweiterung des Museums wichtige Weichen für Ihren Nachfolger Andreas Gundelwein stellen. Schließt sich für Sie da ein Kreis?
Hartwig Lüdtke: „Ich sehe es eher als ein Weiterführen und Orientieren an der DNA des Technoseums, das bei seiner Gründung vor 32 Jahren konzeptionell etwas wirklich Neues war. Nämlich, dass wir in unserer Ausstellung die Industriegeschichte und die mit ihr verbundenen sozialen Entwicklungen erzählen. Für ein Technikmuseum war das seinerzeit etwas Einzigartiges.“
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Gerhard Selmayr hatte damals die Elementa in die Dauer-Ausstellung eingeführt. . .
Lüdtke: . . . und damit die Tür aufgestoßen für die wichtige Entwicklung des Hauses vom Vorführ- zum Mitmachmuseum. Mit der nun eingeleiteten baulichen Erweiterung um das SWR-Studiogebäude und die inhaltliche Erweiterung um die Bereiche Mediengeschichte und digitaler Wandel können wir sagen: Die Sache geht weiter, wir haben die Erlaubnis, eine Kugel für künftige Entwicklungen ins Rollen zu bringen.
Sie haben in 16 Jahren viele erfolgreiche Sonderschauen produziert. Wie lautet ihr Erfolgsrezept?
Lüdtke: Es gibt da nicht diese eine Formel, nach der man eine Ausstellung konzipiert. Ich bin aber davon überzeugt, dass Aspekte wie das eigene Profil des Museums, ein Wiedererkennungswert für die Besucher, eine Identifikation der Menschen mit den Themen, die wir aufgreifen, zum Erfolg beitragen kann.
Braucht man ein Gespür für Themen, die gut gehen?
Lüdtke: Wir haben in der Serie der großen Sonderausstellungen – zum Beispiel „Geschichte der Medizintechnik“, „Sport und Technik“, „Industrialisierung der Ernährung“ – immer diese Verknüpfung „Mensch und Maschine“ zugrunde gelegt. Und natürlich darauf geachtet, dass wir relevante Themen aufgreifen, nicht zu viele Themen auf einmal und dabei schauen, wie wir von den vielen Ideen, die wir haben, die besten pragmatisch umsetzen können. Ich glaube, wenn man diesen Aspekten treu bleibt, ist das schon ein Baustein zum Erfolg.
Um erfolgreich zu sein, braucht man auch die Mittel dafür. Wie steht es um die personellen und finanziellen Ressourcen des Hauses?
Lüdtke: Wir haben zum Ende der Zehner-Jahre bereits den großen Generationswechsel im Technoseum abgeschlossen. Die Beschäftigten, die bereits seit der Gründung des Hauses dabei waren, sind bis auf wenige Ausnahmen im Ruhestand. Bereits deutlich über die Hälfte der Beschäftigten sind später als ich – also nach 2006 – dazu gekommen. Wir hatten und haben bis heute übrigens keine Schwierigkeiten, gute und qualifizierte Kolleginnen und Kollegen zu finden, die sich mit Enthusiasmus und Expertise einbringen. Was die Finanzen anbelangt, steht das Haus inzwischen wieder auf solider Grundlage, aber wir haben natürlich immer wesentlich mehr Ideen als Geld, sie umzusetzen.
Wollen die Jungen nicht alles anders machen als früher?
Lüdtke: Natürlich hat da eine Art Wachwechsel stattgefunden. Aber der Blick bleibt auf die Grundphilosophie des Technoseums gerichtet. So entwickeln wir neue Ideen und Formate, ohne dabei den roten Faden der Verknüpfung von Technikgeschichte mit der sozialen Entwicklung, die DNA des Technoseums, aus dem Blick zu verlieren. Dazu gehört im Übrigen auch die konsequente Ausrichtung des Museums auf Kinder und Jugendliche als unsere Kernzielgruppe.
Wie stellen Sie das an? Die Jugendlichen kommen ja nicht von alleine ins Museum?
Lüdtke: Das gelingt recht gut: Mehr als 55 Prozent unserer Besucher sind unter 18 Jahre alt. Wir haben trotz des drastischen Personalabbaus nach 2006 die Museumspädagogik massiv aufgewertet und personell zur größten Abteilung im Haus ausgebaut. Unser Publikum ist deswegen eines der diversesten in der deutschen Museumslandschaft. Nach dem Motto Miteinander statt Übereinander reden haben wir Schülerbeiräte gebildet, mit denen wir unsere Ausstellungsideen und Themen diskutieren. Es reicht nicht, so etwas in Sonntagsreden anzukündigen, das muss man kontinuierlich durch die Mühsal des Alltags tragen.
Wie entwickeln sich die Besucherzahlen?
Lüdtke: Bei den Besucherzahlen stehen wir zur Zeit bei etwa 60 Prozent eines durchschnittlichen Jahres. Wir erwarten in 2022 rund 120 000 Besucher, „normal“ wären zwischen 180 000 und 200 000 Besuchern. Das wird sich im kommenden Jahr auch wieder einpendeln, da bin ich sehr zuversichtlich.
Die Corona-Pandemie war also ein tiefer Einschnitt. Wie groß ist der Schaden, der dabei für das Technoseum entstanden ist?
Lüdtke: Wir konnten vieles abfangen, dank des großen Einsatzes unserer Beschäftigten. Ich freue mich besonders darüber, dass es gelungen ist, die Kontakte zu den über 200 ehrenamtlichen Mitarbeitern des Technoseums über die langen Schließungsmonate aufrecht zu erhalten und zu verhindern, dass diese guten und teilweise langjährigen Verbindungen abreißen. Das Risiko, dass so etwas passieren könnte, war beträchtlich. Zudem konnten wir digitale Angebote, die es bereits vor der Pandemie gab, ausbauen und weiterentwickeln, beispielsweise online-Workshops für Schulen, die sehr gut angenommen wurden.
Sind Sie also inzwischen wieder im Normalbetrieb wie vor der Pandemie?
Lüdtke: Ja, das können wir so sagen. Das Veranstaltungsprogramm des Technoseums wird wieder wie zuvor angeboten – auch Dank ehrenamtlicher Mitarbeiter zum Beispiel beim Betrieb unserer Feldbahn. Die Besuchszahlen können noch besser werden. Man kann aber auch eine gewisse Zurückhaltung beim Publikum wegen Corona verstehen. Außerdem haben die Schulklassen, die nun endlich wieder ganz normal Unterricht machen können, andere Sorgen, als gleich einen Ausflug ins Technoseum zu unternehmen.
Zum Stichwort Digitalisierung der Museumspädagogik: Brauchen wir große, teure Museen überhaupt noch? Geht das nicht alles auch online?
Lüdtke: Museen sind wie Sportereignisse oder Konzerte. Sie sind im Kern eine analoge Veranstaltung. Natürlich sehen Sie im Fernsehen ein Fußballspiel in vielen Aspekten sogar besser als von der Tribüne aus. Trotzdem gehen die Menschen ins Stadion, weil sie das Erlebnis suchen. So ist es mit einer dreidimensionalen Mitmach-Museums-Inszenierung: Ich bin da sehr optimistisch, dass es das immer geben wird. Zugleich haben wir das digitale Angebot wie bereits gesagt ausgebaut. Auch dies wollen wir weiterhin tun, beispielsweise auch um Publikum anzusprechen, das schon aus Entfernungsgründen nicht unbedingt ins Technoseum kommen kann.
Wenn Sie auf Ihre Zeit im Technoseum zurückblicken: Was waren Ihre großen Misserfolge?
Lüdtke: Ich kann, glaube ich, sagen, richtig krachend gescheitert ist kein Projekt in den 16 Jahren, auch wenn nicht alles so gelaufen ist, wie ich es mir beim Antritt 2006 vorgestellt habe. So ist es uns nicht so recht gelungen, das Technoseum trotz guter Kontakte mit den Universitäten und Hochschulen und bester Absichten als wissenschaftliches Forschungsinstitut zu etablieren. Deswegen freut es mich, dass mein Nachfolger Andreas Gundelwein gerade in diesem Bereich der wissenschaftlichen Forschung einen besonderen Schwerpunkt legen will.
Und was waren ihre größten Erfolge?
Lüdtke: Als großen Erfolg für das Technoseum können wir die Übernahme des SWR-Gebäudes und die entsprechende Finanzzusage für den Ausbau der Ausstellungen werten. Dass das Technoseum nach 2006 die Krise, in der es steckte, überwinden konnte, ist wohl der größte Erfolg. Immerhin gab es damals bereits konkrete Schließungspläne, da die Geldgeber – vor allem das Land Baden-Württemberg – nicht mehr das Vertrauen in die Konzeption des Hauses hatten. Die Zurückgewinnung dieses Vertrauens dürfte wohl der größte Erfolg sein.
Ein eigener Schwerpunkt Life Science / Medizintechnik als neuer Akzent für das Haus war damals ebenfalls geplant. Was ist daraus geworden?
Lüdtke: Bei der Umgestaltung der Dauerausstellung auf der Museumsebene F mit den vier Schwerpunkten Mediengeschichte, Automobilbau, Energie und Bionik konnten wir die Medizintechnik nicht mit einem eigenen Ausstellungsbereich etablieren. Nach der erfolgreichen Sonderausstellung zum Thema ist es aber gut gelungen, das Thema an verschiedenen Stellen – Stichworte sind Medizin des 18. und 19. Jahrhunderts, Röntgentechnik – in der Dauerausstellung zu integrieren.
Was wünschen sie dem Technoseum für die Zukunft?
Lüdtke: Ich wünsche dem Haus, dass es seine DNA behält und dabei immer offen bleibt für gesellschaftliche Veränderungen – und dass es für die neuen und spannenden Themen, die damit einhergehen, die passenden Ausstellungsformate findet.
Das Museumsschiff wird künftig nicht mehr zum Technoseum gehören. Gibt’s zu diesem Thema etwas Neues?
Lüdtke: Obwohl wir in all den Jahren Öffnungszeiten ausgeweitet und zusätzliche Veranstaltungen auf dem Schiff angeboten haben, war es immer klar, dass das Schiff als Außenstelle des Technoseums dauerhaft nicht finanzierbar ist. Das haben auch die Stadt Mannheim und das Land Baden-Württemberg stets so gesehen. Ich bin fest davon überzeugt, dass es in der ehrenamtlichen Trägerschaft des Vereins gelingen kann, neue Geldgeber zu finden. Ich hätte mir gewünscht, dass ich den Übergabevertrag an den Trägerverein, der sich gebildet hat, noch unterschreiben kann. Das klappt nun in dieser Woche nicht mehr, wir stehen aber kurz vor der Übergabe des Schiffs. Dabei haben wir immer konstruktiv und engagiert mit dem Verein zusammengearbeitet.
Sie sind damals mit Ihrer Familie über Stationen in Schleswig und Bonn aus Hamburg nach Mannheim gekommen. Werden Sie wieder zurück in den Norden ziehen? Wie sehen Ihre privaten Pläne für den Ruhestand aus?
Lüdtke: (lacht) Nein, auf keinen Fall! Wir bleiben in Mannheim wohnen. Meine Frau und ich haben uns von Anfang an hier gut aufgenommen gefühlt, wir bleiben hier! Unsere drei Kinder leben in Deutschland verstreut, und wenn sie zu Besuch kommen, werden wir mit sechs Enkelkindern ins Technoseum gehen. Zudem werde ich weiterhin als Vizepräsident der Deutschen Unesco-Kommission tätig sein. Zwischen Enkeln und Unesco bleibt dann hoffentlich auch Zeit, um im Odenwald zu wandern und ein gutes Buch zu lesen.
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