Energie

Mannheims Oberbürgermeister und MVV verteidigen Gas-Aus

Warum das Energieunternehmen MVV Mannheim bis 2035 das Gas abdrehen will, was Oberbürgermeister Christian Specht davon hält und welche Rolle der Aufsichtsrat dabei spielte

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Martin Geiger
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Das Ende des Verteilnetzes 2035 wird auch das Ende der Gasheizungen in Mannheim sein. © dpa

Mannheim. So wie dem Mann aus Neckarau, der dem TV-Sender RON eine Videobotschaft geschickt hat, dürfte es einigen gehen: Er habe im vergangenen Jahr eine neue Gasheizung einbauen lassen, erzählt er in dem Video, das die TV-Kollegen dem MVV-Vorstandsvorsitzenden Georg Müller vorspielen. Kosten: rund 12 000 Euro, die in Raten noch abzuzahlen seien. Und nun muss er sich schon in zehn Jahren die nächste Heizung kaufen: Denn bis 2035 will die MVV das Erdgas-Verteilnetz in Mannheim stilllegen – und damit de facto alle Gasheizungen. „Was sollen wir jetzt machen?“, fragt der Mann.

Der MVV-Chef zeigt bei der Pressekonferenz am Freitag, bei der er das Vorhaben erklärt, viel Verständnis für solche Fälle. Gleichzeitig verteidigt er den Plan des Versorgungsunternehmens, das als erstes in Deutschland derart klar, konsequent und frühzeitig das komplette Aus für das Gasnetz verkündet hat: „Wir sind fest davon überzeugt, dass fossiles Gas ab 2035 keine Zukunft mehr haben wird“, so Müller. Darum „strebt“ die MVV an, sich bis 2035 „aus dem Gasnetz zurückzuziehen“, heißt es in der offiziellen Mitteilung.

Stilllegung des Erdgas-Netzes noch nicht endgültig fix

In Stein gemeißelt ist der Beschluss also noch nicht, wie auch Müller erklärt: „Die Entscheidung wird dann fix getroffen, wenn der gesetzgeberische Rahmen da ist.“ Und das dürfte noch etwas dauern: Zwar gilt seit August die entsprechende EU-Gasbinnenmarktrichtlinie. Ins deutsche Recht ist diese jedoch noch nicht überführt. Bis Juli 2026 müsse das geschehen, sagt Müller. Erst dann herrscht endgültig Klarheit.

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Das ändere jedoch nichts an der strategischen Einschätzung der MVV, betont Müller: Erdgas werde absehbar immer teurer. Weil die CO₂-Abgaben steigen. Weil die notwendigen Investitionen für die Instandhaltung des Netzes mindestens gleich bleiben, die Zahl der Kunden aber sinkt, weshalb sich die jeweils zu zahlenden Netzentgelte erhöhten. Und weil das Netz kürzer als gedacht gebraucht werde, weshalb die wirtschaftlichen Abschreibungen stiegen, was die Netzentgelte noch weiter nach oben schraube. All dies führe dazu, so der MVV-Chef weiter, dass Heizen mit Erdgas zunehmend unattraktiver werde und die Kundenzahl sinke.

Entgegen früherer Annahmen des Unternehmens seien auch klimafreundliche Gase wie Biomethan oder „grüner“ Wasserstoff nicht die Lösung: Weil zu wenig Biomethan verfügbar sei. Derzeit werde gerade mal ein Prozent des jährlichen Erdgasbedarfs dadurch abgedeckt, veranschaulicht MVV-Technik-Vorstand Hansjörg Roll. Und dass sich das mittelfristig deutlich ändert, glaubt man bei der MVV nicht – unter anderem, weil das Unternehmen selbst die geplante Errichtung einer eigenen Anlage wegen gestiegener Baukosten wieder gestoppt hat.

Auch klimafreundlich erzeugter Wasserstoff taugt den Vorständen zufolge nicht als Ersatzlösung: Weil Wärmepumpen deutlich effizienter seien. Weil es zu wenig davon geben werde. Und weil die vorhandenen Mengen anstatt zum Heizen für die Dekarbonisierung der Industrie benötigt würden.

Erklären und verteidigen ihr Ausstiegsszenario: die MVV-Vorstände Ralf Klöpfer (v.l.), Georg Müller und Hansjörg Roll. © Martin Geiger

Dass bereits 2035 Schluss sein soll mit dem vor 150 Jahren begonnenen Gaszeitalter in Mannheim – und nicht etwa 2040, wenn Baden-Württemberg klimaneutral sein will, oder 2045, wenn ganz Deutschland es sein will -, erklärt Müller mit den Kalkulationen des Energieversorgers, wonach die Kundenzahl stetig sinken werde: „Wir glauben, dass 2035 das Gasnetz nicht mehr gebraucht wird.“ Vermutlich fließt in diese Rechnung auch mit ein, dass nach Angaben von Roll jährlich „ein mittlerer einstelliger Millionenbetrag“ in dessen Instandhaltung investiert werden muss: „Tendenz eher steigend.“ Schließlich sind manche Leitungen bereits mehr als 100 Jahre alt.

Die Konsequenz dieser ganzen Überlegungen, erklärt Müller, nämlich das Aus für das Gasnetz, sage man bewusst „sehr laut und deutlich“ – damit sich alle frühzeitig darauf einstellen könnten und „potenzielle Neuanschlüsse von Gas unterbleiben. Ein neuer Gaskessel ist keine zukunftsfeste Investition.“

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Der Aufsichtsrat der MVV, die mehrheitlich der Stadt Mannheim gehört, sei zwar im September über die Gesamtstrategie des Unternehmens informiert worden. Der geplanten Stilllegung des Gasnetzes habe er jedoch nicht explizit zugestimmt: „Ich will den Aufsichtsrat ausdrücklich von dem Vorwurf freisprechen, er hätte dieses Teilprojekt freigegeben.“

OB Specht: „Stilllegung nur, wenn Alternativen vorhanden sind“

Von seinem Aufsichtsratsvorsitzenden, Mannheims Oberbürgermeister Christian Specht (CDU), bekommt er dennoch Rückendeckung: Das Vorhaben sei „eine klare Folge“ der Klimaschutzstrategie von Stadt und MVV, teilt er auf Anfrage mit. „Deshalb ist es wichtig, dass die Kunden frühzeitig Planungssicherheit erhalten und mögliche Fehlinvestitionen verhindert werden.“

Specht verspricht jedoch auch: „Jeder einzelne Teil des Gasnetzes wird nur dann stillgelegt werden, wenn dort alternative Heizmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Alle Bürgerinnen und Bürger werden auch weiterhin ihre Wohnung verlässlich heizen können.“ Die Stadt begleite und unterstütze die Einwohner bei der Wärmewende „und stellt sicher, dass auch zukünftig im ganzen Stadtgebiet bezahlbare und zuverlässige Wärmequellen verfügbar sind.“ Was der Mann aus Neckarau wohl davon hält?

Redaktion Reporter für das Ressort "Mannheim".

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