Mannheim. Die USA haben das Klimaschutzabkommen von Paris gekündigt, im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD spielt das Thema kaum eine Rolle und in Mannheim sind die Gelder deutlich gekürzt: Nein, es sind keine guten Zeiten für den Klima- und Umweltschutz.
Dennoch, oder vielleicht gerade deswegen, sind die Engagierten in der Stadt enger zusammengerückt: die schon länger etablierten, im Umweltforum vereinten Gruppen wie Nabu oder Bund und die Jüngeren wie Fridays for Future oder Mannheim kohlefrei. Gemeinsam haben sie ihre Sorgen und Forderungen aufgeschrieben. So ist eine Art „Klagemauer“ entstanden. Die wichtigsten Punkte im Überblick:
Klimaschutzaktionsplan
Im November 2022 vom Gemeinderat verabschiedet, listet er 364 Maßnahmen auf, wie Mannheim bis 2030 klimaneutral werden soll. Doch die Umsetzung dieses zentralen Leitfadens der städtischen Klimaschutzpolitik erfolgt für die Aktivisten viel zu langsam. Zudem habe der Plan elementare Geburtsfehler, kritisiert Dieter Breitenreicher von den Naturfreunden Mannheim: „Ich kann mir kein Ziel setzen, ohne Zwischenziele zu definieren.“ Die fehlten im Klimaschutzaktionsplan völlig. Darum sei die Klimaneutralität bis 2030 auch kaum zu erreichen: „Es kann wahrscheinlich gar nicht funktionieren, dass man dieses Ziel erreicht, weil man nicht weiß: Wo stehen wir zwischendrin?“, sagt Breitenreicher. „Das gehört schleunigst korrigiert.“ Zudem komme das sehr wichtige Thema Energieeinsparung viel zu kurz. Und durch die gekürzten Mittel für Klimamaßnahmen werde die Finanzierung immer schwerer, ergänzt Elke Dünnhoff, Geschäftsführerin des Umweltforums: „Man weiß gar nicht, wie Maßnahmen jetzt noch erfolgen sollen.“
Klimaschutzagentur
Die gemeinsam von der Stadt, der MVV und der GBG getragene Einrichtung, die vergangenes Jahr in neue Räume in der Tattersallstraße in der Nähe des Hauptbahnhofs gezogen ist, ist für die Bürgerinnen und Bürger ein wichtiger Ansprechpartner bei Klimaschutzmaßnahmen im Privathaushalt. Doch Thomas Steitz von der Siedlergemeinschaft Einigkeit (SEG) ist unglücklich über die Trägerschaft: „Wir haben Bauchschmerzen wegen des starken Einflusses der MVV auf die Klimaschutzagentur“, sagt er: „Wir würden uns eine unabhängige Agentur wünschen.“ Zudem sei die Einrichtung mit anderen Aufgaben überlastet, weshalb die Energieberatung insgesamt gesehen zu kurz komme, kritisiert Dünnhoff: „Für ganz Mannheim gibt es drei Energieberater.“ Darum sagt Joachim Lyschik von Mannheim Zero: „Es klemmt an einer vernünftigen Beratung.“
Climateview
Das Internet-Portal ist das zentrale Mittel der Stadtverwaltung, um die Mannheimerinnen und Mannheimer über den Stand der Klimaschutzaktivitäten zu informieren. Mit zahlreichen Schaubildern und Erklärungen zu allen 364 einzelnen Maßnahmen des Klimaschutzaktionsplans soll es stets den aktuellen Umsetzungsstand transparent machen. Dennoch sagt Jürgen Runge von Mannheim kohlefrei: „Der Informationswert ist sehr begrenzt.“ Warum? „Die Diagramme sind reine Wunschvorstellungen“, so Runge. Sie würden kaum an aktuelle Entwicklungen angepasst, seien aufgrund der mangelnden Zwischenziele wenig fundiert und gingen oft von unrealistischen Annahmen aus. Bei der Sanierung von Bestandsgebäuden zur Energieeinsparung werde beispielsweise ein jährlicher Wert von vier Prozent angenommen. Real liege der Wert aber bei einem Prozent. Runges Fazit: „Der Klimaschutzaktionsplan ist ein reiner Blindflug.“
Wärmeplanung
Die kommunale Wärmeplanung ist ein Konzept, das die Stadt aufgrund einer Vorgabe des Landes erstellen musste: Es soll zeigen, wie im Jahr 2040 alle Gebäude in Mannheim klimaneutral, also ohne fossilen Brennstoffe, beheizt werden können. Oli Merten von Parents for Future findet es aber mindestens unglücklich, dass eine Tochter der MVV das Konzept in Abstimmung mit der Stadtverwaltung erarbeitet hat, ehe es vom Gemeinderat verabschiedet wurde. Auch hier fehlten messbare Zwischenschritte, die ein Nachsteuern ermöglichten. Ebenfalls würde ein zu optimistisches Szenario unterstellt: „Die Wärmeplanung geht davon aus, dass 2040 alle Bestandsgebäude saniert sind“, sagt Merten. „Das ist schlicht unmöglich.“ Sogar für neue Stadtgebiete wie Franklin oder Spinelli werde ein niedrigerer Wärmebedarf prognostiziert, ergänzt Runge: „Obwohl die Stadtteile noch im Wachsen sind.“
Fernwärme-Umbau
Etwa zwei Drittel aller Haushalte in Mannheim werden mit Fernwärme versorgt: Ihre Heizung wäre also klimaneutral, wenn die MVV ihr selbstgestecktes Ziel erreicht und ab 2030 die Fernwärme nur noch aus Quellen erzeugt, die als klimaneutral eingestuft sind – im Gegensatz zu heute, wo der Großteil vom Kohlekraftwerk GKM kommt. Wie dieser Umbau gelingen soll, hat das Energieunternehmen oft erklärt. Doch den Umweltschützern ist das zu unkonkret: Bis 2025 sei der Plan gut nachvollziehbar gewesen, sagt Steitz: „Aber in den nächsten fünf Jahren wird es diffus.“ Auch Lyschik fordert von der MVV: „Es ist mehr Transparenz notwendig. Wir als Bürger würden gerne wissen: Was ist Szenario A? Was ist Szenario B? Und was kostet uns der Spaß?“ Runge kritisiert: „Die Stadt verlässt sich blind auf die MVV.“
Ein wesentlicher Baustein sollen Geothermie-Anlagen sein. Aber auch hier fehlen Mark Möller von Fridays for Future weitere Informationen: „Wie ist die Bodenbeschaffenheit? Wie weit sind die Vorbereitungen? Das ist alles im Dunkeln.“ Er befürchtet: „Das kann sich alles um Jahre verzögern.“ Als Alternative hat die MVV ein weiteres Biomassekraftwerk ins Spiel gebracht. Dagegen wendet sich Siegfried Graumann von Greenpeace: „Es soll zwar mit Altholz betrieben werden, allerdings benötigt man aus technischen Gründen dafür auch viel Frischholz.“ Umweltfreundlicher sei es, die Wälder in Ruhe zu lassen.
Stadtverwaltung
Ein Sprecher der Stadtverwaltung erklärt zu den Vorwürfen: „Es ist unbestritten, dass die Zielerreichung sowie die vollständige Umsetzung des Klimaschutzaktionsplans extrem ambitioniert sind und finanzielle Mittel nicht ausreichend zur Verfügung stehen.“ Er verweist jedoch darauf, dass 25 Maßnahmen des Klimaschutzaktionsplans bereits vollständig umgesetzt seien und 235 derzeit liefen. Darüber hinaus seien durch den Local Green Deal mehr als 230 nachhaltige Maßnahmen initiiert worden. Er verteidigt das „innovative Monitoring-Instrument“ Climateview als „insofern aussagefähig, als dass der Umsetzungsfortschritt unseres Klimaschutzaktionsplans gut erkennbar ist“.
Weiter betont er, die kommunale Wärmeplanung sei „ein Kernelement auf dem Weg zur Klimaneutralität und wird zu großen Teilen von der MVV umgesetzt, die große Teile des Erfolgs überhaupt erst ermöglichen“. Er gesteht jedoch zu: „Klar ist, dass wir als Stadt gerne schneller und effektiver wären, die Kommunen insgesamt jedoch noch ziemlich wenig Handlungsspielräume haben, um schnell große Erfolge zu erzielen.“
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim_artikel,-mannheim-mannheims-klimaschuetzer-und-ihre-klagemauer-_arid,2300967.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim.html
[2] https://www.umweltforum-mannheim.de/
[3] https://www.parentsforfuture.de/de/Mannheim
[4] https://mannheim.bund.net/
[5] https://www.mannheimer-morgen.dehttps://www.instagram.com/fridaysforfuturemannheim/?hl=de
[6] https://mannheim-kohlefrei.org/
[7] https://www.naturfreunde-mannheim.de/
[8] https://www.klima-ma.de/
[9] https://www.umweltforum-mannheim.de/mitgliedsverbaende/seg-einigkeit/
[10] https://mannheimzero.de/
[11] https://app.climateview.global/v4/public/board/dfd4f1a0-02f6-4f93-97bd-1f5b68e186b4
[12] https://mannheim-kohlefrei.org/
[13] https://www.parentsforfuture.de/de/Mannheim
[14] https://greenwire.greenpeace.de/greenpeace-mannheim-heidelberg/about
[15] https://www.mannheim.de/de
Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Mannheim ist in der Klimapolitik ein Scheinriese