Mannheim. Alles ist anders als sonst. Genau das sollen auch kleine Gesten und Bezeichnungen ganz bewusst deutlich machen. Statt wie üblich von „Haushaltsreden“ spricht Oberbürgermeister Peter Kurz (SPD) am Dienstag im Gemeinderat von „einigen einleitenden Anmerkungen“, die sein Kämmerer Christian Specht (CDU) und er zu den Zahlen machen werden. Und diese einleitenden Anmerkungen machen sie nicht - wie sonst die Reden - feierlich stehend am Pult. Sondern sie bleiben an ihrem Platz sitzen. Die Botschaft bei all dem: Der städtische Haushalt für 2022, den sie an diesem Tag den Stadträten vorstellen, ist einer des „Übergangs“, ein „Zwischenschritt“. Normalerweise gilt der Etat für zwei Jahre, dieser dagegen nur für eins. Danach muss man weitersehen, die finanziellen Unwägbarkeiten der Corona-Pandemie zwingen dazu.
„Die finanzielle Situation ist nicht ausreichend klar für eine klassische Haushaltsplanung“, erklärt Kurz im Gemeinderat. Ob die finanziellen Corona-Folgen eine „grundlegende Anpassung der Strategie“ mit den vielen von der Stadt geplanten Investitionen notwendig machten, das sei noch offen, so der Oberbürgermeister. Deshalb werde man die für 2022 geplanten Investitionen umsetzen - und im kommenden Jahr die Lage erneut betrachten. Aus Sicht von Kurz dürften sich bis dahin zwei wichtige Fragen klären. Welche weiteren Ausgleichszahlungen kommen von Bund und Land für Ausfälle bei den Steuern, beim öffentlichen Nahverkehr und beim Klinikum? Und wie stark wird sich die Konjunktur bis dahin wieder erholen und damit für höhere Einnahmen sorgen?
Anspielung auf Joy Felming
Der von Kurz und Specht vorgelegte Haushaltsentwurf beruht auf den Eckpunkten einer Finanzplanung für 2022, die der Gemeinderat in groben Zügen bereits beschlossen hat. Er sieht enorme Investitionen in einer Größenordnung von rund 250 Millionen Euro vor, unter anderem für den Ausbau der Kinderbetreuung, die Sanierung und den Neubau von Schulen sowie für Projekte wie Franklin-Stadtbahn, Grünzug Nordost, Theatersanierung und neue Bibliothek. Bei den Einnahmen, zu denen etwa die Gewerbesteuer gehört, geht der Entwurf von knapp 70 Millionen Euro weniger aus als im Vor-Corona-Jahr 2019. Die Stadt hat aus dieser Zeit im Moment aber noch genügend Geld, um zumindest die für 2022 geplanten Investitionen bestreiten zu können. Eine knappe halbe Stunde braucht der Oberbürgermeister für seine Ausführungen - die Haushaltsrede vor zwei Jahren hatte doppelt so lang gedauert.
Auch Kämmerer Specht fasst sich in seinem Vortrag zu den konkreten Zahlen kurz. Er zeigt auf einem Chart die Hochs und Tiefs beim Bruttoinlandsprodukt. „Wir brauchen eine Überbrückung, bis wir wissen, wie sich die Faktoren stabilisieren, die für uns relevant sind. Wir machen weiter wie geplant, es ist noch nicht der Zeitpunkt für eine Zäsur. Wir haben ausreichend Liquidität, das ist der Knackpunkt.“ Der Kämmerer wird sogar ein wenig poetisch und sagt in Anlehnung an ein Lied von Joy Fleming: „Ein Haushalt kann eine Brücke sein - vielleicht hilft er uns, über ein schwieriges und unsicheres Jahr 2022 zu kommen.“
Specht zeigt auch ein Chart (siehe Grafik) mit den Einnahmen der Stadt, die seit 2013 kontinuierlich gestiegen und im Corona-Jahr 2020 dann deutlich zurückgegangen sind. Wegen der positiven Entwicklung bis 2020 „konnten wir uns viel leisten“, erklärt Specht. Er betont aber auch, dass die ab 2022 angesetzten Einnahmen deutlich unter dem Wachstumskurs der Vor-Corona-Zeit liegen. Diese Differenz fehle und werde auch nicht zurückzuholen sein. Mit Blick auf den 2022er Etat stellt Specht klar, dass „es keine Spielräume gibt für neue Projekte“.
Wegen dieser fehlenden Spielräume stellt der Oberbürgermeister in seinen Anmerkungen den üblichen Ablauf der Haushaltsberatungen infrage - in diesem Dezember, aber auch generell. Diese Beratungen nutzen die Fraktionen traditionell, um in Anträgen Geld für Projekte durchzusetzen, die ihnen wichtig sind. Dabei wirbeln sie den von der Verwaltung geplanten Etat oft kräftig durcheinander. „Die Frage ist, ob wir bei den Haushaltsberatungen den großen Aufwand wie bisher machen müssen“, sagt Kurz. Der Gemeinderat treffe ja das ganze Jahr über strategische Entscheidungen, bewege dort mehr Geld als bei den Etatberatungen selbst. Aus seiner Sicht reiche neben dem formalen Haushaltsbeschluss zum Beispiel „eine jährliche Strategieklausur Anfang des Jahres“, um die Eckpunkte festzulegen.
Was die Fraktionen davon halten, erfährt man an diesem Nachmittag nicht, eine Aussprache über den Haushalt steht traditionell nicht auf der Tagesordnung. Die Reden der Fraktionen zum Etat sind am 18. November vorgesehen. Im Dezember soll der Gemeinderat den Haushalt dann beschließen.
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