Stadtgeschichte

Mannheims Aerobus – von der Attraktion zum Schrottplatz

1975 verband die Schwebebahn zur Mannheimer Bundesgartenschau Luisenpark und Herzogenriedpark. Nach spektakulären Pannen lief alles glatt. Trotzdem hatte der Aerobus keine Zukunft.

Von 
Peter W. Ragge
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Hier schwebt er am Neckarufer entlang: der Aerobus in Höhe des Collini-Stegs. Die drei Hochhäuser am Neckerufer Nord sind noch nicht gebaut. © B&N/MM-Archiv

Mannheim. Es passiert ganz heimlich. Vor 50 Jahren, am 14. März vormittags, unternimmt der Aerobus seine Jungfernfahrt. Mit nur wenigen Passagieren und ohne Ankündigung absolviert die rot-weiße Kabine erstmals die komplette Strecke zwischen Herzogenriedpark und Fernmeldeturm. „Generalprobe geglückt“, heißt es nach der reibungslosen Tour. Während der Bundesgartenschau vom 18. April bis 19. Oktober befördert das neuartige Verkehrsmittel 2,4 Millionen Fahrgäste.

„Der Aerobus ist ein attraktives Fahrzeug, das in 4,50 bis 20 Metern Höhe über der Erdoberfläche verkehrt“ – so erklärt der Katalog der Bundesgartenschau. Er könnte „ein neues Verkehrssystem für die Zukunft“ sein und „einen interessanten Beitrag zur Entflechtung des innerstädtischen Verkehrs liefern“, heißt es da sehr optimistisch.

Schweizer Seilbahnbauer konzipierte Mannheimer Schwebebahn

Die Bundesgartenschau 1975 findet im Luisenpark und im Herzogenriedpark statt. Aber auf beiden Brücken über dem Neckar gibt es damals schon oft Staus. „Das Mannheimer Straßennetz konnte nicht weiter belastet werden, eine Verbindung der beiden Gartenschaubereiche kam deshalb nur in der zweiten Ebene in Frage“, erklärt der Katalog.

Die Stadt entscheidet sich daher 1973 für eine Idee des Schweizer Seilbahnbauers Gerhard Müller, der zuvor über 900 Seilbahnen und Schlepplifte konstruiert hatte. Angeregt wird Müller dazu schon 1965, als er in Vancouver in Kanada die Hängekonstruktion der Lyons-Gate-Bridge sieht. Er meldet seine elektrisch angetriebene Seilschwebebahn mit Namen Aerobus, der sich von den regulären Seilbahnen unterscheidet, als Patent an. „Overground-Traffic-System“ nennt er es – ein waagrechtes System, im Unterschied zur in die Höhe fahrenden Seilbahn.

Mannheims Oberbürgermeister muss mit der Leiter aus Aerobus steigen

Das Tragwerk besteht aus fast waagerecht verlaufenden Fahrseilen und darüber den, von Pfeiler zu Pfeiler durchhängenden, Tragseilen. Der Start-Bahnhof befindet sich am Fuß des Fernmeldeturms. Von dort geht es weiter auf bis zu 30 Meter hohen, stählernen Stelzen den Neckardamm entlang. Östlich der Kurpfalzbrücke gleitet der Aerobus, an einem langen Stahlseil hängend, über den Neckar, fährt weiter dicht an den Baumkronen der Max-Joseph-Straße vorbei bis zum Herzogenriedpark – und zurück, 3,1 Kilometer lang. Schweizer Stahlbauer und Bergführer montieren die Träger.

Der Aerobus in der Mannheimer Max-Joseph-Straße. © B&N/MM-Archiv

Schon ein Jahr vor der Bundesgartenschau wird die erste Kabine – rot und weiß lackiert, 22 Meter lang und rund elf Tonnen schwer – mit einem Fest auf dem Alten Meßplatz begrüßt. 100 Personen fasst so eine Aerobus-Kabine. „Auch wenn ich drin bin?“, fragt Hans Maurer, 1982 verstorbenes Urgestein der Mannheimer Fasnacht und Träger des Bloomaulordens, auch als „der Dicke“ bekannt. „Dann nur 98“, entgegnet ihm Jürgen Hachgenei, von 1956 bis 1974 der „Till“ der Karnevalsgesellschaft Feuerio und (der deutlich schlankere) Büttenpartner von Maurer, in einem Werbefilm zur Bundesgartenschau 1975. Eine „Attraktion ohne Beispiel“, wie der Film schwärmt, „geräuschlos und umweltfreundlich“. „Steigen Sie ein, schweben Sie mit“, so der Sprecher in dem Film, der den Menschen die – wie es heißt – „fliegenden Busse“ nahebringen und ihnen ein bisschen die Scheu nehmen soll.

Anfangs geht nämlich nicht alles glatt. Bei der ersten inoffiziellen Probefahrt Anfang Juni 1974 bricht ein Stromabnehmer, und damit bekommen die Elektromotoren auf dem Dach der Kabine keinen Strom mehr. Die bleibt daraufhin mitten in den Baumwipfeln der Max-Joseph-Straße hängen. Die wenigen Passagiere des Tests müssen per Aluminiumleiter aussteigen. Auch Oberbürgermeister Ludwig Ratzel ist dabei und muss herunter.

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Erst nach weiteren Probefahrten wagt man sich dann, die komplette Strecke über den Neckar in Angriff zu nehmen – eben am 14. März 1975. Am ersten Tag der Bundesgartenschau, dem 18. April, bleiben aber nachmittags um 16.10 Uhr – zum Glück nicht morgens, als Bundespräsident Walter Scheel mitfährt – zwei Kabinen hängen, die sich wegen der Sonne schnell aufheizen. Die Feuerwehr rückt mit Drehleitern aus, um die Passagiere aus 20 Metern Höhe zu retten. Es folgen noch drei weitere, kleinere und nicht so spektakuläre Pannen.

Aber das sind Startschwierigkeiten. Nur 15 Stunden ist der Verkehr wegen technischer Probleme unterbrochen, sechs Stunden wegen Windböen und Gewitter. Letztlich befördert der Aerobus während der halbjährigen Bundesgartenschau dann doch reibungslos 2,4 Millionen Fahrgäste, bringt sie in nur neun Minuten von einer grünen Oase in das andere Parkgelände. Bis zu 27.000 Menschen fahren an einem Tag mit. Sogar die Urban Mass Transportation Administration, eine Behörde des US-Verkehrsministeriums, entsendet ein unabhängiges Ingenieurbüro nach Mannheim, um den Aerobus zu bestaunen – und urteilt positiv.

Delegationen aus aller Welt bestaunen den Test in Mannheim

Nach Ende der Bundesgartenschau meint Oberbürgermeister Ratzel, dass es „schade wäre, das jetzt alles aus der Hand zu geben“, wie er unter Hinweis auf die aufwendige Entwicklungsarbeit sowie die Investitionskosten von zwölf Millionen D-Mark sagt. Es gibt sogar die Idee, die Strecke nicht nur beizubehalten, sondern vom Herzogenried aus nach Norden über die Gartenstadt bis zum Karlstern im Käfertaler Wald weiterzuführen und so die Naherholungsgebiete miteinander zu verbinden.

Nach der Bundesgartenschau läuft indes die befristete Betriebsgenehmigung aus. Obwohl er sich während der 185 grünen Mannheim-Tage als leises, nicht im Stau stehendes und umweltfreundliches sowie wenig Platz benötigendes Verkehrsmittel bewährt, wird der einer Düsseldorfer Zeltbaufirma gehörende Aerobus danach eingemottet und irgendwann verschrottet. Das Bundesforschungsministerium lehnt eine Förderung ab, bezeichnet den Aerobus als „nicht zukunftsträchtig“.

Als schwierig erweist sich nur das Seil-Tragewerk, weil es zu vielgliedrig ist. Nach den ersten Pannen werden alle 1.800 Aufhänge-Vorrichtungen jeden Morgen geprüft. Dennoch hat man nach 1975 vier Jahre weiter experimentiert, eine Aluminiumschiene statt Seile verwendet und weitere 1,2 Millionen D-Mark investiert. Der 600 Meter lange Abschnitt vom Herzogenriedpark zur Kurpfalzbrücke bleibt noch lange als Versuchsstrecke der „Mannheimer Hochbahn“ – wie sich die Fortentwicklung mit Schienen statt Tragseilen dann nennt – stehen, die 300 Delegationen aus aller Welt bestaunen. China äußert Interesse an zwei Projekten, ebenso Milwaukee in den USA, die ihr gesamtes Stadtbahnsystem nach dem System bauen wollen oder die Bundesgartenschau 1979 Bonn für die Überquerung des Rheins.

Aber es gibt mal finanzielle, mal technische Probleme, dazu ein Streit um Namen und Patente. Lange propagiert eine US-Firma, welche die Rechte hat, die Idee – umgesetzt wird sie bisher aber nirgendwo mehr. 1987 werden die letzten Reste der Mannheimer Strecke demontiert. Nur ein rostendes Segment der letzten, lange aber Vandalismus ausgesetzten Gondel bleibt übrig – es steht im Depot des Technoseums in Wallstadt.

Redaktion Chefreporter

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