Mannheim. Ein Sommertag in einem Mannheimer Café. „Pascal will noch sein Waldhof-Trikot anziehen“, sagt Walter Metz. Er grinst. Metz ist ein Freund von Pascal Schotten, der sich zwecks Umstyling verspätet. Schotten ist neuerdings Buchautor. Der Mannheimer will sein Werk vorstellen. Titel: „Atmosphäre der Akzeptanz“.
Verstehen ohne Worte
Einige Zeit später. Schotten kommt im Rollstuhl angefahren und gesellt sich an den Tisch. Metz und er verstehen sich ohne Worte. Oft kommt es zu Situationen, bei denen nur Jauchzen oder Nuscheln aus Schottens Mund kommt. Aber Metz hört sofort. Und übersetzt quasi.
Ich wollte den Menschen zeigen, wer ich bin und wie ich lebe
Metz, lange im Vorstand der Sparkasse, lernte Schotten 1984 kennen. Damals fuhr er die Behindertentransporte der Weinheimer Lebenshilfe. „Pascal saß vorne drin. Er war mein Navi“, sagt Metz. „Wir waren einfach gleich auf einer Wellenlänge. Das Thema Waldhof vor allem. Fußball. Das eint uns, heute noch.“ Schotten nickt heftig.
Eine bewegliche Seele in einem unbeweglichen Körper
Auf die Frage nach der Motivation, das Buch zu schreiben, sagt Schotten: „Ich wollte den Menschen zeigen, wer ich bin und wie ich lebe.“ Aufgrund seiner Krankheit kann er sich nur sehr eingeschränkt bewegen. Wie es sich dabei lebt „mit einer Seele, die sehr beweglich und aktiv ist“, beschreibt er in seinen Texten.
Eine ganz besondere Freundschaft
Es ist derweil faszinierend, wie Metz Schotten lesen kann. Und umgekehrt. Schotten: „Das Wichtigste ist der Wille, den Anderen verstehen zu wollen. Wer offen ist, versteht mich auch.“ Schnell wird klar, dass es im Buch auch um besondere Freundschaft(en) geht.
Gefeiert am Elfmeterpunkt
40 Jahre kennen sich etwa die beiden. Metz hat entsprechend viele Anekdoten auf Lager. „Als Pascal Geburtstag hatte, bat ich den SVW-Stadionsprecher, das durchzusagen“, sagt er. „Ich wurde nervös. Warum kommt nix? Hat er’s vergessen?“, erzählt Metz. „Dann wurde Pascal an den Elfmeterpunkt geholt. Es hieß: ,Er hat Geburtstag’ und Tausende Fans sangen für ihn.“
Schotten jauchzt. Seine Augen werden Schlitze. Röte steigt in sein Gesicht, er jubelt. Kleine Falten sind an den Augenrändern zu erkennen. „Und ich Depp hatte an dem Tag mein Gladbach-Trikot an. Und stand dann mit dem mitten auf dem Rasen. . .“, sagt Metz. Beide schauen sich an - und werfen sich lachend nach vorne.
"Beim SV Waldhof vergesse ich alles"
Der SV Waldhof nimmt in Schottens Leben einen großen Platz ein. Was fasziniert ihn daran? „Wenn ich dort bin, dann vergesse ich alles“, sagt er. Seine Augen strahlen.
Einen draufmachen - aber richtig
Oft schlägt Metz Schotten mit der Faust gegen die Schulter. „Und wenn wir nach’m Waldhof weggehen, dann gehen wir eben weg. Also richtig weg“, sagt er und blickt verschmitzt zu Schotten. Der jauchzt und wirft sich erneut nach vorne. „Die Betreuer warten dann. Das ist echt schwierig. . . die wollen ihn um sieben ins Bett werfen - aber pah!“, sagt Metz und lacht wie ein kleiner Junge. „Beim Pascal sind drei Bier übrigens sechs Bier“, sagt er, als er Schotten dabei von dem kühlen Getränk direkt in den Mund gießt. Einiges fließt vorbei. „Weil eben einiges daneben geht“, sagt er und zwinkert.
Emotionaler Moment
Dann ein emotionaler Moment für die starken Männer, die gerade noch über Fußball und Bier witzelten. Kann Schotten in ein paar kurzen Worten beschreiben, was Metz für ihn bedeutet? Schotten schluchzt plötzlich. Seine Augen glänzen. „Du bedeutest mir ganz viel“, sagt er und blickt zu Metz. Eine Träne rinnt über seine Wange. „Es ist gut“, sagt Metz und legt ihm die Hand auf den Kopf.
Motiviert, das Buch zu schreiben, hat Schotten auch die Hemmschwelle gegenüber Behinderten. Metz sagt: „Ein Kind hat sich mal vor ihn gestellt und ihn angegafft. Ich hab’s angeschrien. Dann hab ich gedacht: Das war dumm. Es kann ja nix dafür, hat’s nicht anders gelernt.“
"Aufhören, mich wie ein Baby zu behandeln"
Auch hier soll das Buch eine „Atmosphäre der Akzeptanz“ schaffen. Schotten betont, er könne sich vorstellen, dass sein Buch in der Schule als Lektüre gelesen werde. Über erwachsene Mitmenschen sagt Schotten: „Ich will, dass sie aufhören, mich wie ein Baby zu behandeln.“
"Ich habe einen Sprachfehler: Kann nicht Nein sagen"
Metz, der auch im Vorstand der Lebenshilfe Weinheim ist, sagt indes zum Thema Betreuung: „Ich hab’ irgendwann überlegt, bei der Sparkasse aufzuhören und in einen Sozialberuf einzusteigen. Hab’ ich aber gelassen. Und ich bin froh drüber. Weil ich hab’ einen Sprachfehler. Ich kann nicht ,Nein’ sagen. Wenn du das in dieser Branche nicht kannst, bist du dran. Die Arbeit geht einfach nie aus.“
Fachkräftemangel zeigt sich
Metz betont, Fachkräftemangel sei auch bei Schotten ein Riesenproblem: „Du kommst nachts mit ihm heim, da ist eine Pflegerin, die geht mir gerade bis zur Brust und betreut zehn Leute.“ Seit der UN-Behindertenrechtskonvention habe sich zudem in Deutschland „nichts verschlechtert, aber auch nichts verbessert“.
Ein Buch über „Freundschaft. Gleichheit. Akzeptanz.“
- Das Buch „Atmosphäre der Akzeptanz“ thematisiert Behinderung auf persönliche und einfühlsame Weise. Zwar schonungslos, aber stets positiv und voller Humor
- Pascal Schottens Buch ist auch ein Appell an andere Menschen für mehr Akzeptanz und gegenseitiges Zuhören
- Er gibt Einblicke in unterschiedlichste Themen: Glücksempfinden, Freundschaft, gute und schlechte Tage, Denkarten als ganzheitlich gelähmter Mensch.
- Es geht um Lösungsorientiertheit, das Heilwirken von Tieren (Hund Merlin!), zudem um breitere Themen wie vorbildliche Barrierefreiheit in Schweden, Inklusion allgemein. Aber auch ein Themen-Potpourri von „Langeweile“ bis „Weinen“ findet sich. Gastbeiträge von Freunden und Verwandten liest man ebenso. Zudem gibt es jede Menge Biografisches zu lesen
- Wer das Buch gelesen hat, kann eigentlich keine Berührungsängste mehr haben. Geschrieben hat es Schotten, der in Mannheim lebt, mit der Assistenz von Heilpädagogin Betty Wagner, die ihn bei einem Praktikum kennenlernte
- Link zum Buch www.t.ly/ufDBu Preis E-Book 5,99 Euro; Buch 14,90 Euro.
„Und wenn wir nach dem Spiel die Bahn nehmen wollen, dann schwillt mir echt der Kamm, wenn dann zwei Nicht-Niederflurbahnen in Folge kommen...“, sagt Metz wütend. Schotten nickt.
"Ihr sollt an euch glauben, egal wie tief ihr fallt"
Über Hindernisse schreibt auch Schotten in seinem Buch. Aber auf außergewöhnliche, ausgeglichene Art. Immer mit einem positiven, nach vorn gerichten Unterton. Schotten hat sein Buch gemeinsam mit Heilpädagogin Betty Wagner geschrieben. Das Kapitel über ihre Hilfe gehört zu den emotionalsten, sagt er. Seine Botschaft: „Ich hoffe, ich kann viele begeistern, an sich zu glauben - egal, wie tief man fällt.“ Egal, ob „behindert oder nicht“.
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