Ludwigshafen/Hannover. Dass Bilder mehr sagen können als tausend Worte mag abgedroschen klingen, im Fall von Sven Liesy gibt es aber wohl kaum einen treffenderen Satz. Wenn der 36-Jährige malt, dann bringt er sein Innerstes auf die Leinwand. Seinen Schmerz, seine Wut, seine Trauer, seine Hoffnung, seine Freude. Die Emotionen zeigen sich in den knalligen Farben, in den geschwungenen Linien, den abstrakten Mustern.
Die Werke erzählen die Geschichte des gebürtigen Ludwigshafeners, die alles andere als geradlinig verlaufen ist. Sie erzählen von einem Jugendlichen, der früh von zuhause weggelaufen ist. Von Alkohol und Drogen, von Selbstverletzung und Suizidgedanken. Von einer psychischen Erkrankung, dem Weg der Besserung und einer neuen Leidenschaft, die nun im November in einer Ausstellung seiner Werke in einer renommierten Kunstgalerie in China mündet.
Borderline-Diagnose erst als erwachsener Mann
Liesy leidet an einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung. Borderline. Dazu ADS. Die Diagnose erhält der junge Mann erst im August 2022, wie er im Gespräch mit dieser Redaktion berichtet. Zunächst ist sie eine Erleichterung, kann sie doch als Erklärung dienen für vieles, was bislang im Leben passiert ist. Für die Verlustängste, die fehlende Impulskontrolle, die überschäumenden Emotionen. Über Weihnachten verschlechtert sich Liesys Zustand dann jedoch. „Es kam alles hoch“, sagt er. Die Erkrankung, die harte Arbeit bei der Post, die Gedanken an den in seiner Jugend verstorbenen Vater. Der 36-Jährige entwickelt eine schwere Depression.
Zu diesem Zeitpunkt lebt Sven Liesy bereits seit fünf Jahren in Hannover. Über eine Facebook-Gruppe für Tattoo-Fans hatte er 2016 seine heutige Frau Felicitas kennengelernt, für die er die Pfalz verlässt. Das Paar hat drei Kinder, zwei davon hat die Mutter mit in die Beziehung gebracht. Gemeinsam mit seiner Frau entscheidet Sven Liesy sich am Tiefpunkt dafür, eine ambulante Tagesklinik aufzusuchen. Zwischen März und Mai verbringt er neun Wochen in der Einrichtung. Dort nimmt er zum ersten Mal im Leben eine Soft-Pastellkreide in die Hand.
Bis heute hat Liesy im ehemaligen Bastelkeller der Schwiegermutter mindestens 50 Bilder erschaffen. Ab dem ersten Moment in dem Kurs in der Klinik hat ihn das Malen in Trance versetzt, hat ihn die Arbeit mit der Kreide immer und immer ruhiger werden lassen. „Optisch war das anfangs zwar eine Totalkatastrophe, ich hatte ja vorher in meinem Leben noch nie gemalt“, berichtet der 36-Jährige. Eine ausgeprägte Rot-Grün-Schwäche, sie grenze an Farbenblindheit, habe das Ganze zudem verkompliziert. „Ich habe aber sofort gemerkt, wie gut mir das tut.“
Klinikaufenthalt kostet viel Überwindung
Dennoch ist der Klinikaufenthalt schwierig für ihn, insbesondere in den ersten Wochen. Die Gruppengespräche seien zunächst sehr unangenehm gewesen, berichtet er. Sich Fremden gegenüber zu öffnen - eine große Überwindung. „Am Ende war das aber mega cool, man hat gelernt, die eigenen Stärken wieder zu erkennen.“ Die Behandlung hilft dem gebürtigen Pfälzer, mit seiner psychischen Erkrankung umzugehen, sie als einen Teil von sich zu akzeptieren.
Ausstellung und Info
- Werke von Sven Liesy werden von 28. November bis 28. Februar in der Pashmin Art Gallery in Chongqing (China) ausgestellt.
- Die Pashmin Art Gallery hat weitere Standorte in Hamburg, Bad Tölz, Peking und Shanghai.
- Am 2. Dezember plant Sven Liesy zudem eine exklusive Vernissage im Winzerzelt in Hannover. Anmelden können sich Interessierte über die Websiete liesy-art.com.
- Auf Instagram ist Liesy als liesy–art vertreten.
Das Malen gibt ihm dabei Selbstvertrauen. Zunächst bekommt er positives Feedback von seiner Frau, dann von immer mehr Freunden. „Ich selbst habe gedacht, ich mache Kindergekritzel, und die anderen wollen mich nur aufbauen“, berichtet er. Doch auf Drängen seiner Frau stellt er seinen Instagram-Account um, postet dort fortan seine Bilder - mit Erfolg. Die Zahl der Follower steigt stetig an, inzwischen folgen Sven Liesy mehr als 1500 Menschen. Das ermutigt ihn schließlich, sich bei der Hamburger Pashmin Art Gallery für eine Ausstellung zu bewerben. Unter Hunderten Einsendungen wird er als einer von 20 Künstlerinnen und Künstlern für eine Schau in Chongqing, China, ausgewählt. Ab Ende November sind seine Bilder dort in einer großen Galerie zu sehen.
Was die Jury an Liesys Bildern überzeugt hat
Insbesondere die Qualität und Intensität der Farben habe die internationale Jury von Liesys Werken überzeugt, berichtet Davood Khazaie im Gespräch mit dieser Redaktion. „Sein schweres Leben spiegelt sich in den Gemälden wider“, sagt der internationale Kurator der Pashmin Art Gallery. Zwölf Werke des Neulings seien für die Ausstellung ausgewählt worden, mehr als eigentlich üblich.
Der 36-Jährige kann das bis heute nicht richtig glauben. „Ich verstehe eigentlich immer noch nichts von Kunst“, gibt er offen zu. Er versuche einfach nur, seine Emotionen mit Acryl-Farbe oder Kreide auf Leinwände zu bringen. "Soulart" nenne sich sein Stil. Seelenkunst. Kunst mit Seele. „Die Bilder sind sehr abhängig von meiner Stimmung. Mal hell, mal düster“, sagt er. Seine Kunst bewege viele Betrachter, auch Menschen mit ähnlichen Schicksalsschlägen wie den seinen. Ihnen will Liesy als Inspiration dienen, sie ermutigen.
Nicht für Geld, sondern für die Seele
In seinen Job bei der Post steigt der 36-Jährige derzeit mit wenigen Stunden wieder ein. Perspektivisch könnte seine Kunst jedoch noch deutlich mehr Raum einnehmen. In den vergangenen Wochen seien einige seiner Bilder verkauft worden. Darum kümmere sich seine Frau Felicitas. „Ich selbst könnte das gar nicht“, sagt er. Auch der Leiter der Pashmin Art Gallery, Nour Nouri, habe noch einiges mit ihm vor, habe er gesagt. Auch er habe sich eines seiner Bilder für seine Privatsammlung gesichert. Dennoch mache Liesy das alles nicht des Geldes wegen. „Ich mache es für die Seele.“ Vollständig geheilt ist diese nicht. „Ich habe immer noch meine Momente“, sagt Liesy. Durch die entflammte Leidenschaft sei er aber ein völlig anderer Mensch geworden.
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Links in diesem Artikel:
[1] https://www.instagram.com/liesy_art_/
[2] https://pashminart-gallery.com/en/
[3] https://www.terramatermagazin.com/a/m/chinas-unbekannte-monsterstadt-chongqing