Mannheim. „Himmeldonnerwetter - Menschenskind war das gut!“ prangt mit schwungvoller Unterschrift und dem Hinweis „11.04 Uhr, Sonntag, 12. Januar 2025“ in dem Gästebuch der Vesperkirche. Der Eintrag greift die Botschaft der Eröffnungspredigt von Pfarrerin Ilka Sobottke auf. Zum 28. Mal werden in der evangelischen City-Kirche Konkordien Mittagessen serviert. Für Menschen, die auf der Straße leben. Die mit Minijobs oder Rente kaum über die Runden kommen. Die in ihrer Einsamkeit nur selten Gemeinschaft erleben.
Ilka Sobottke plädiert für Solidarität
Der Mensch steht bei der Vesperkirche im Mittelpunkt. Diesmal auch ausdrücklich in der Predigtreihe. Motto: „Menschenskind!“ Pfarrerin Sobottke beginnt die Eröffnungspredigt sehr persönlich und erzählt, wie der Vater angesichts von drei wilden Kindern oftmals mit einem „Himmeldonnerwetter!“ dazwischen gefahren ist und nach einer Pause „Menschenskinder noch mal“ gestöhnt habe. Angesichts von Armut, die weder zufällig noch unumkehrbar sei, wünsche sie sich „einen Gottesblitz, der in unseren Verstand und ins Herz einfährt“.
Ilka Sobottke plädiert für Chancengleichheit, soziale Teilhabe und Solidarität. Für sie seien jene Menschen „Leistungsträger“, die morgens in einem Heizungsschacht, unter der Brücke oder in einer Wohnung mit Schimmel aufstehen, obwohl sie keine Erwartungen an den Tag haben.
Auch wenn in der Predigt Zorn aufblitzt, erfüllt die Kirche gleichwohl Zuversicht, die sich mit dem von der Empore schwebenden Halleluja der Konkordien-Kantorei vereint. Zum Abschluss des Gottesdienstes entzündet Dekan Ralph Hartmann eine Kerze an dem Osterlicht, um dieses mit Ehrenamtlichen symbolträchtig an die 36 Tische mit kleinen Kerzen in Glasbehältern zu bringen.
Seitlich versetzt über dem Altar werden während der Eröffnung für Vesperbeutel mehr als 400 Brötchen aufgeschnitten und vorwiegend mit Käse belegt, der inzwischen beliebter als Wurst ist. Außerdem gilt es die gespendeten Kuchen - an diesem Sonntag knapp hundert - zu portionieren.
„Nasse Käsekuchen“ sind besonders beliebt
In der Wohnung von Irmgard Kniehl sind am Tag davor 28 Kartons mit Selbstgebackenem abgegeben worden. 16 Kuchen stammen von Tina Hiener. Die süßen Spenden kommen nicht einfach so, „da muss man immer wieder Frauen ansprechen“, sagt Irmgard Kniehl, die seit 27 Jahren in ihrer Gemeinde auf der Rheinau für den Nachtisch in der Vesperkirche trommelt. Sie weiß, dass gerade bei Menschen von der Straße „nasse“ Kuchen besonders begehrt sind - vor allem Käsekuchen, weil dieser Erinnerungen an die Kindheit weckt.
Deshalb weist Pfarrerin Anne Ressel die 50 bis 60 täglich Helfenden in die „Käsekuchen-Gerechtigkeit“ ein: Und die bedeutet, dass an einem Tisch entweder alle oder niemand den Lieblingskuchen serviert bekommt. Weil nun mal Menschen, die immer wieder Benachteiligung erleben, sehr genau hinschauen, ob wenigstens in der Vesperkirche alle gleich behandelt werden.
Oberbürgermeister Specht reiht sich ein
Der Duft von Sauerkraut mit Kasseler durchzieht den Kirchenraum, als Pfarrerin Ressel den noch nicht eingesetzten Ehrenamtlichen die jeweiligen Aufgaben erläutert - ob an der Essensausgabe oder der Spülfront. Eingereiht hat sich mit Schürze Oberbürgermeister Christian Specht, der vor einem Jahr eine „Kanzelrede“ hielt. Diesmal hat er sich „eine tragende Rolle“ ausgesucht. Er bringt Gästen je nach Wunsch warme oder kalte Getränke und sucht dabei das Gespräch. Wie alle anderen Helfenden hat er zuvor erfahren, dass Flüssiges anders als Essen nachgeordert werden kann.
Und nicht selten heißt es bei Kaffee oder Kakao „bitte mehrere Löffel Zucker“ - weil vor allem Männer von der Straße Kalorien „bunkern“.Während früher Wollpullover-Temperatur geherrscht hat, ist es seit der neuen Heizung fast kuschelig. Und weil diesmal sämtliche Kirchenbänke ausgeräumt worden sind, wirkt der gastliche Raum sehr viel übersichtlicher.
Die beiden seitlichen Tische nur für Frauen nutzen vor allem Besucherinnen, die sich in der Vergangenheit von Männern bedrängt gefühlt haben. Und jene Musliminnen, die es aus welchen Gründen auch immer in „Konkordien“ verschlägt, steuern auf die Plätze mit den mehrsprachigen Hinweisschildern zu.
Staunen vor der großen Fotowand mit Gast-Portraits
Andere bevorzugen Begegnung mit lautstarkem Getöse. „Ich verabrede mich hier jeden Tag, weil ich für Treffen im Lokal kein Geld habe, und es für meine Lieblingsbank zu kalt ist“, so eine Frau. Der Mann neben findet es „klasse“, jeden Tag Fleisch oder Fisch zu bekommen. „Sonst ist für mich nur billige Wurst drin.“ Ehrenamtlerin Inge Schmidt ist zu Beginn der Vesperkirche stets etwas nervös, weil 500 bis 600 Essen täglich zwar der Erfahrung entsprechen, aber manchmal der Ansturm die angelieferten Speisen samt vegetarischer Variante übersteigt. Dann holt sie Frikadellen aus dem Kühlvorrat.
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Indes ist die von Fotograf Alexander Kästel täglich erweiterte Bilderwand nicht wegzudenken. Gäste blicken erstaunt auf ihre Portraits - weil sie schon jahrelang nicht mehr fotografiert wurden. Hingegen sind die Beratungstische hinter der Weihnachtskrippe den Blicken entzogen. Hier gibt es Hilfe: Ob Verlust der Wohnung droht, eine Schwangerschaft herausfordert, sich ein Migranten-Schicksal im Bürokratiegestrüpp verheddert.
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