Mannheim. Manchmal gibt es solche Schicksalsschläge, ganz plötzlich, und danach ist nichts mehr wie vorher. Genau das ist Familie Oberthür passiert. Daher hat sie den „Schwarzen Adler“ überraschend, aber auf Dauer geschlossen. Seit 100 Jahren in Familienhand – eine Tradition wie diese Gaststätte im Quadrat D 6 kann sonst niemand in Mannheim aufweisen. Aber diese Tradition geht nun zu Ende, eine Institution stirbt.
Der 1632 gegründete „Ochsen“ in Feudenheim ist zwar älteste Gasthaus im heutigen Mannheim – doch er wird nicht 100 Jahre bis heute von einer Familie geführt. Diese Familie spricht am Telefon nur von einer „unerwarteten, schweren Erkrankung“. „Ohne das Herz des Betriebs geht es nicht weiter“, erklärt Claudia Oberthür dazu und meint damit ihren Mann Christian. Der 54-jährige Koch hat einen Schlaganfall erlitten.
"Schwarzer Adler" schließt wegen "unverschuldeten Erkrankung"
Auf ihrer Internetseite bittet sie, „von persönlichen Rückfragen abzusehen“. Man müsse „mit einem schweren Herzen“ und „zutiefst bewegt“, jedoch „erzwungenermaßen aufgrund einer schweren, unverschuldeten Erkrankung“ die Gaststätte schließen. Es sei „unmöglich, den Betrieb in gewohnter Weise fortzuführen“.
Nun werde „die Gesundheit und Genesung unseres erkrankten Familienmitglieds im Vordergrund“ stehen, bitten sie ihre Stammgäste um Verständnis. Sie hätten „unser Restaurant zu einem Ort gemacht, an dem man sich zuhause fühlen konnte“ und den Inhabern „stets das Gefühl gegeben, dass unsere Arbeit geschätzt wird, und wir haben es immer genossen, Sie zu bewirten“, so Familie Oberthür.
Corona-Pandemie oder den Verkehrsversuch mit Sperrung der Kunststraße, wodurch das Mittagsgeschäft völlig eingebrochen war – das alles hatten die Inhaber gut überstanden. Sie pflegten, als Familienbetrieb in vierter Generation, die gut bürgerliche, gemütliche Gastlichkeit in angenehmer Atmosphäre. Die Wände zierten viele alte Stiche Mannheims, dazu – sorgfältig hinter Glas – einige der mehr als 1000 Korkenzieher, die Seniorchef Walter Oberthür gesammelt hat.
Ehefrau des Besitzers: "Es sind viele Tränen geflossen"
Zum 2. Januar 2012 hatte er den Betrieb an Sohn Christian übergeben, der nach einer Lehre im „Europäischen Hof“ in Heidelberg, der Küchenmeister-Ausbildung und Tätigkeit als Chefkoch im „Lindbergh“ seit 2002 in D 6 in der Küche stand. Für den Service sorgte seine Frau Claudia. Sie wisse, dass die Schließung „auch für viele, die oft zu uns kamen, schlimm ist“, sagt sie, aber es gehe einfach nicht mehr: „Es sind viele Tränen geflossen“, seufzt sie.
Einen „Schwarzen Adler“ gibt es in Mannheim laut einem Ratsprotokoll vom 6. Februar 1677 schon lange, wenn auch mit anderer Adresse: Im heutigen H 2,5 führt ein Hugenotte Jean Baptist de Latre „das Schildt Zum schwartzen Adler“. 1689 fällt es aber, wie viele Gebäude, dem Pfälzischen Erbfolgekrieg (1688-1697) zum Opfer. Nach dem Wiederaufbau wird ab 1733 eine Gaststätte mit diesem Namen in R 3,1 geführt. Lange liest man dann nichts, bis 1857 das „Schildgerechtigkeit“ genannte Recht, ein Wirtshaus mit diesem Namen zu führen, auf ein Haus in D 6,18 übergeht. Es ist auch während des Erbfolgekriegs von Franzosen niedergebrannt, zu Beginn des 18. Jahrhunderts wieder aufgebaut worden. Im April 1731 erwirbt Kaufmann Johann Caspar Beuschel das Anwesen, der ab 1733 als Gastwirt an dieser Stelle genannt wird.
"Schwarzer Adler" war eins Sammelstelle für Auswanderer nach Amerika
Da lautet der Name allerdings „Zur Pauke“, später „Zur goldenen Pauke“ – denn gegenüber wird wirklich die Pauke geschlagen: C 6, wo heute die Friedrich-List-Schule ist, dient bis 1901 als Kaserne, erst für kurfürstliche Truppen, dann für das Badische Grenadier-Regiment. Die Soldaten sollen die besten Gäste gewesen sein.
Zwischenzeitlich sei die Gastwirtschaft sogar „zur Schnaps- und Bierwirtschaft herabgesunken“ und für Militärs verboten gewesen, heißt es in einer alten Chronik. Jakob Böhler, der das Haus 1856 erwirbt, will damit jedenfalls nichts zu tun haben. Er lässt das alte, zweistöckige Anwesen abreißen, errichtet ein dreistöckiges Gebäude und bricht auch mit der alten Kneipentradition. Vielmehr kauft er von Jakob und Philipp Sperling den – zuletzt nicht mehr genutzten – Namen „Zum schwarzen Adler“ und beantragt bei der Stadt, ihn von R 3,1 nach D 6,18 zu übertragen.
Das wird ihm gewährt – und mit dem Namen ändern sich die Gäste: Kaufleute und Angehörige des Mittelstands. Bis 1875 ist Böhler als Wirt verzeichnet, dann folgt für 23 Jahre Michael Ottendörfer. In seiner Zeit dient der „Schwarze Adler“ als Sammelstelle für badische Auswanderer, die in Mannheim auf Schiffe auf den Rhein gehen, Richtung Rotterdam fahren und von dort in die USA. Nach mehreren Besitzerwechseln sorgt ab 1922 Gastwirt Franz Berrar für Kontinuität. Er kommt aus St. Avold in Lothringen, landet nach dem Ersten Weltkrieg in Mannheim und baut sich eine neue Existenz auf.
Lange stoßen hier Stadträte aller Parteien an
Im Zweiten Weltkrieg gelingt es der Wirtin Lina Berrar, trotz schwieriger Zeiten, ständiger Bombenangriffe und Lebensmittelmangel den Betrieb aufrechtzuerhalten – bis das Haus am 1. März 1945, beim letzten Luftangriff, zerstört wird. Die Tochter des Gastwirts, Mathilde Berrar, die 1938 den Hamburger Kaufmann Walter Oberthür geheiratet hat, geht mit ihrer Mutter ab 1952 den Wiederaufbau an und schafft 1953 die Neueröffnung. Ab 1956 wird Mathilde Oberthür als alleinige Inhaberin geführt, ab 1966 von ihrem Sohn Walter Oberthür unterstützt. Der bringt nicht nur Erfahrungen von seiner Lehre als Koch in der französischen Schweiz und Stockholm mit ein, sondern auch seine aus Schweden stammende Frau Mary. In den 1960er bis in die späten 1980er Jahre, als der Gemeinderat im Florian-Waldeck-Saal des Zeughauses tagt, ist der „Schwarze Adler“ Ort nächtlicher Gesprächsrunden. So sehr sie sich vorher öffentlich streiten – hier stoßen nach der Sitzung Stadträte aller Parteien an, dazu Vertreter von Verwaltung und Presse.
Auch zum Mittagstisch sind in D 6 Mitarbeiter aus dem Rathaus E 5 anzutreffen, ebenso Künstler und Museumsleute, und manche Dinge lösen sich auf dem „kleinen Dienstweg“. „Ihr alle werdet uns fehlen“, bedauert Claudia Oberthür mit Blick auf die Gäste, dass sie nach den regulären Betriebsferien nicht mehr öffnen konnte. Für die Auszubildende als Restaurantfachfrau hat sie schon einen neuen Betrieb gefunden, mit dem Koch-Gesellen und dem Koch-Azubi räumt sie jetzt auf. Die seien schon in Gesprächen für neue Stellen. Was aus den Räumen der Gastwirtschaft wird, „das weiß ich nicht, das ist alles zu frisch“.
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