Notfallmedizin

Verletzt der Rettungsdienstplan des Landes Baden-Württemberg das Grundrecht auf Leben?

Mannheimer Stadträte und Ärzte rügen den Rettungsdienstplan des Landes. Er verletze das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Der Grund: Der Rettungsdienst in Baden-Württemberg sei nicht leistungsfähig

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Peter W. Ragge
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Kommen die Rettungswagen schnell genug, gibt es genügend solcher Fahrzeuge? Darum geht es in dem Papier, das nun vor Gericht kommt. © markus prosswitz

Mannheim. Sie sehen das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit verletzt, weil der Rettungsdienst in Baden-Württemberg „nicht leistungsfähig“ sei: So begründen sieben Stadträte und mehrere Ärzte einen Antrag, den sie jetzt beim Verwaltungsgerichtshof (VGH) eingereicht haben. Ihr Normenkontrollantrag richtet sich gegen das Land und den Landesausschuss für den Rettungsdienst. Unterzeichnet haben ihn Holger Schmid (ML), Volker Beisel (FDP), Dennis Ulas (LiParTie), Stefan Höss (SPD) sowie Gerhard Fontagnier, Markus Sprengler und Chris Rihm (alle Grüne) sowie sechs Ärzte, die nicht genannt werden wollen.

Hintergrund ist, dass das Land am 1. September einen neuen Rettungsdienstplan veröffentlicht hat – eine Art Rechtsverordnung, welche die rettungsdienstliche Versorgung regelt. Die Antragsteller werden vom auf Rettungsdienst und Medizinrecht spezialisierten Mannheimer Professor Andreas Pitz, der auf diesem Gebiet auch für die Stadt selbst tätig ist, vertreten – aber ganz unabhängig von seiner Rolle bei der Stadt.

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Pitz argumentiert in seinem Antrag, wenn ein Mensch erst einmal in Lebensgefahr oder in kritischem Gesundheitszustand auf den Rettungsdienst angewiesen sei, könne er nicht mehr klagen oder auf sein Recht pochen. Daher müsse der Rettungsdienst jederzeit so organisiert sein, dass der Schutzpflicht des Staates für das menschliche Leben gleich Genüge getan werde. Die Antragsteller warnen vor einem „rechtswidrigen Zustand mit massiven Auswirkungen auf die Bevölkerung“, wenn die von ihnen nun juristisch angegriffenen Regelungen „nicht schnellstmöglich außer Vollzug gesetzt werden“, so Pitz in dem 54-seitigen Antrag. Schon jetzt fehlten in Baden-Württemberg „aufgrund der seit vielen Jahren gesetzwidrigen Planung die Rettungswägen ganz real auf der Straße, um bei stetig steigenden Einsatzzahlen Menschen zu retten“. „Die Integrierten Leitstellen verwalten derzeit nur noch den Mangel“, warnt er.

Kritik an Selbstverwaltung

Zunächst kritisieren die Antragsteller das, so Pitz, „ungewöhnliche Konstrukt“ in Baden-Württemberg. Hier regelt, anders als in allen anderen Bundesländern, eine Arbeitsgemeinschaft aus Krankenkassen und Hilfsorganisationen in sogenannter „Selbstverwaltung“ das Rettungsdienstsystem, obwohl beide in erster Linie wirtschaftliche Eigeninteressen verfolgten. Obwohl jeder Bürger von den Entscheidungen dieser „Selbstverwaltung“ betroffen sei, seien die Mitglieder dieser Selbstverwaltung den Bürgern nicht bekannt.

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Sie tage hinter verschlossenen Türen, veröffentliche ihre Entscheidungen nicht, und der Staat nehme nur eine Rechtsaufsicht wahr, „so dass die fachlichen Entscheidungen keiner staatlichen Kontrolle unterliegen“. Der neue Rettungsdienstplan weite die Kompetenzen dieser „Selbstverwaltung“ noch aus, die ohnehin nur geringfügig vorhandene kommunalen Kontrolle werde ganz ausgeschaltet. Das betrifft Mannheim insofern aktuell, als hier demnächst Entscheidungen für die Gründung einer weiteren Rettungswache und den Einsatz von mindestens einem, eventuell mehreren zusätzlichen Rettungswagen anstanden – das darf nun aber nicht stattfinden, weil das landesweite Gremium erstmal alle Entscheidungen an sich gezogen hat. Das bedeute „über Jahre hinweg einen Stillstand im Rettungsdienst“, der Krankenkassen wegen der Kostenersparnis und Hilfsorganisationen wegen des Fachkräftemangels gleichermaßen entgegenkomme. Den Menschen indes werde ein gesetzmäßiger Rettungsdienst verwehrt, wenn als notwendig erachtete zusätzliche Fahrzeuge nicht angeschafft werden.

Hilfsfrist gerügt

Zudem rügen die Antragsteller die Neuregelung der Hilfsfrist. Zuletzt hieß es, der Rettungsdienst solle „möglichst nicht mehr als zehn Minuten, höchstens 15 Minuten“ brauchen – laut Rettungsdienstgesetz. Schon das werde, so Pitz, „flächendeckend nicht eingehalten“, da die Selbstverwaltung von sich aus – und vom Staat ungerügt – den Anspruch aus Wirtschaftlichkeitserwägungen heruntergeschraubt habe auf „höchstens 15 Minuten in 95 Prozent der Fälle“. So werde die Statistik „aufgehübscht“, aber selbst diese niedrigere Zielmarke in weiten Teilen des Landes verpasst. Nun sieht der neue Rettungsdienstplan eine Frist von zwölf Minuten in 95 Prozent der Fälle vor. Was laut Landesregierung eine Verbesserung ist, sehen die Antragsteller anders. In der Berechnung geht es nur noch um Rettungswagen, für den Notarzt gibt es gar keine Frist mehr. Alle eiligen Verlegungsfahrten zwischen Kliniken werden nicht eingerechnet. Und die Frist läuft erst „vom Einsatzannahmeende“ in der Leitstelle – die etwa ein bis zwei Minuten, in denen der Disponent Adresse und Krankheitsbild notiert und den Alarm auslöst, fallen unter den Tisch.

Aufgaben der Sanitäter

Der dritte Punkt in dem Antrag richtet sich dagegen, dass der Rettungsdienstplan den Notfallsanitätern ohne staatliche und ärztliche Aufsicht weitere Kompetenzen als „Vorabdelegation“ zuweist – also ohne dass der Arzt den Patienten kennt und selbst eine Diagnose gestellt hat. Dafür fehle jegliche rechtliche Grundlage, das könne nicht einfach per Erlass geschehen und suggeriere Sanitätern Rechtssicherheit, die es nicht gebe. Zudem plane das Land ein Telenotarztsystem, obwohl dem deutschen Medizinrecht „ein derartiges Modell fremd ist“.

Redaktion Chefreporter

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