Rettungsdienste - Tiefer personeller Einschnitt bei der Notfallseelsorge / Immer weniger kirchliche Mitarbeiter

Notfallseelsorge in Mannheim gehen die Mitarbeiter aus

Von 
Peter W. Ragge
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An lila Westen oder Jacken erkennbar: Notfallseelsorger im Einsatz, hier bei einer Übung in Seckenheim. © Helmut Krüger

Mannheim. „Schwer“, sagt Claudia Krüger, fällt ihr der Abschied, „sogar sehr, sehr schwer“, fügt sie an. Nach elf Jahren als Notfallseelsorgerin, davon sechs Jahre als Koordinatorin, scheidet die 60-jährige evangelische Diakonin nun aus. Mit ihr gehen gleich sechs weitere Mitarbeiter, die viele Jahre rund um die Uhr bei Einsatzkräften, Unfallopfern, Angehörigen von verunglückten oder verstorbenen Menschen Erste Hilfe für die Seele geleistet haben. Gerade den Kirchen fehlt Personal für diese Aufgabe.

Krüger geht, weil ihr Mann – der Seckenheimer Pfarrer Helmut Krüger – in den Ruhestand tritt. Beide ziehen ins Markgräflerland, wo sie noch in einer Gemeinde arbeiten wird. Auch ihr Mann war Notfallseelsorger. Mit dem Ehepaar scheiden die Pfarrerinnen Monika Mayer-Jäck und Anne Ressel sowie Diakon Daniel Maier aus, zudem Feuerwehrfrau Nadine Krenz und Sozialarbeiterin Tabea Mayer.

Neuer Koordinator wird Stefan Kraus , bisher in Teilzeit katholischer Gemeindereferent in Käfertal, dessen Arbeitszeit dafür um 20 Prozent aufgestockt wird. Er ist schon fünf Jahre bei dem Dienst dabei, hat nun die Zusatzausbildung für die Tätigkeit als Koordinator und Fachberater für Psychosoziale Notfallversorgung (PSNV) im Stab gemacht. Mit ihm steht erstmals nach dem Abschied von Bernhard Kohl, der den Dienst einst aufbaute und Ende 2018 aufhörte, wieder ein Katholik an der Spitze – aber allein. Eine ökumenische Leitung, wie ursprünglich angedacht und bis 2018 praktiziert, gibt es nicht mehr.

Namen und Zahlen

Die Notfallseelsorge beruht auf einem Vertrag zwischen Stadt, Evangelischer und Katholischer Kirche.

Je zwei Notfallseelsorger sind rund um die Uhr alarmierbar. Dafür tragen sie Piepser, die von der Feuerwehrleitstelle ausgelöst werden. Privatleute können sie nicht anfordern. Die Freiwillige Feuerwehr Innenstadt übernimmt den Fahrdienst – bei Bedarf mit Blaulicht.

An Einsatzstellen sind sie an lila Warnwesten oder Jacken erkennbar.

Jährlich gibt es meist um die 100 Einsätze, im laufenden Jahr bereits 102 – Tendenz steigend.

Derzeit gibt es 27 Notfallseelsorger, davon zehn evangelische Diakone/Pfarrer, drei katholische Mitarbeiter und ein freikirchlicher Pastor sowie 13, die nicht im kirchlichen Dienst sind, darunter eine Muslima.

Davon scheiden jetzt sieben Notfallseelsorger aus, darunter fünf im kirchlichen Dienst.
Neu in ihren Dienst eingeführt werden fünf Ehrenamtliche und drei Muslime, einer davon islamischer Theologe. Drei sind in Ausbildung.

Als Nachfolger von Bernd Meyer, jetzt Feuerwehrkommandant in Weinheim, hat Lars Oehring bei der Feuerwehr Manheim die Zuständigkeit übernommen.

Alarmierungen nehmen zu

Das liegt daran, dass sich immer weniger kirchliche Mitarbeiter an diesem Dienst beteiligen, den bei der Gründung 2004 alleine die beiden großen Konfessionen getragen haben. Bei den Katholiken ist der Priestermangel der Hauptgrund. Die wenigen Seelsorger, die es gibt, müssen alle mehrere Pfarreien versorgen.

Aber auch ihren evangelischen Kolleginnen und Kollegen gehe es so, „dass sie kaum noch nachkommen mit ihrer Arbeit“, hat Claudia Krüger dafür einerseits Verständnis. Andererseits sei es doch „ein Armutszeugnis“, schimpft sie, wenn die Kirche „für ihr Haupteinsatzgebiet, nämlich die Seelsorge, keine Zeit mehr hat“.

Krüger zog aber die Konsequenz daraus: In ihrer Amtszeit als Koordinatorin versuchte sie, Menschen außerhalb der beiden großen Konfessionen für die ehrenamtliche Mitarbeit bei der Notfallseelsorge zu gewinnen – erfolgreich. Muslime sind seit einiger Zeit dabei, dazu erfahrene Feuerwehrleute und Mitarbeiter aus dem Rettungsdienst, die sich zuvor schon in der Einsatznachsorge bei Kollegen aus den eigenen Reihen engagiert und dann die Zusatzausbildung gemacht haben. Erster Bürgermeister Christian Specht ergriff zudem die Initiative, dass städtische Mitarbeiter die Ausbildung an der Landesfeuerwehrschule zur psychosozialen Notfallversorgung durchlaufen können. Es blieben aber nicht viele langfristig dabei – weil die zeitliche und emotionale Belastung hoch ist, obwohl sechs Supervisionstermine pro Jahr für alle Aktiven verbindlich sind, damit sie verarbeiten können, was sie erlebt haben. Das ist oft bitter. Ging es zunächst darum, Angehörigen oder Einsatzkräften beizustehen, nehmen inzwischen Alarmierungen wegen drohender Suizide, Gewalttaten und häuslicher Gewalt zu.

Verstärkt bittet die Polizei um Hilfe, wenn es darum geht, Todesnachrichten an Angehörige zu überbringen oder Zeugen zu betreuen, die Todesfälle miterlebt haben. Das kann zu Hause oder am Unfallort sein. Plötzlicher Kindstod – deshalb ausrücken zu müssen, sei für sie, auch nach all den Jahren, immer besonders schlimm gewesen. Als heftigsten Einsatz ist bei ihr immer noch das Unglück im Mühlauhafen 2012 sehr präsent, als ein 14-jähriger Ruderer unter ein Schubschiff geriet und starb. „Ein unermessliches Ausmaß an Leid“ sei das gewesen, für die Familien, aber auch für die Einsatzkräfte ganz schwer zu ertragen.

Vermeidbare Corona-Todesfälle

Oft gehe es bei solchen Einsätzen einfach nur darum, dass jemand sich Zeit nimmt, sobald Rettungsdienst oder Feuerwehr abgerückt sind. „Wenn niemand da ist – wir sind da“, so Claudia Krüger. „Für die Leute bricht ja plötzlich die Welt zusammen“, hat sie oft erlebt. Manchmal müsse man reden, manchmal gemeinsam schweigen. „Es geht darum, das einfach mit auszuhalten.“ Auch wegen Corona-Todesfällen ist sie schon gerufen worden, und da ärgerte sie sich ein bisschen: „Vermeidbare Fälle, da nicht geimpft!“

Trotz der Corona-Pandemie habe die Notfallseelsorge ihren Dienst immer aufrechterhalten – was in zwei Fällen aber dazu führte, dass Seelsorger in Quarantäne mussten, da sie Kontakt mit Infizierten hatten. Corona verhindert auch den ursprünglich geplanten großen Blaulichtgottesdienst zu ihrem Abschied – es gibt nur eine kleine Andacht. Dabei hätten ihr viele Mitglieder der „Blaulichtfamilie“ gerne gedankt, dass sie immer so mit Herzblut dabei war – und sie wollte den Kollegen danken, „für enorme Zuverlässigkeit und Solidarität, denn was wir da machen, das ist kein Hobby, sondern Dienst am Menschen“, betont sie.

Redaktion Chefreporter

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